Der gläserne Vogel. Albrecht Gralle
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Читать онлайн книгу Der gläserne Vogel - Albrecht Gralle страница 4
Gina stand als letzte davor und trat von einem Fuß auf den anderen. Und je länger sie die Kugel betrachtete, desto mehr kam es ihr vor, als ob das glasartige Gebilde irgendwie lebendig sei und atmete, aber das war sicher Unsinn.
„Und wenn wir nie mehr zurückkommen?“, murmelte sie. Schließlich gab sie sich einen Ruck, schlug zur Vorsicht noch schnell ein Kreuz und tauchte ebenfalls in die Kugel ein.
Sie saßen alle drei leicht verdattert auf dem weichen Waldboden und sahen sich an.
Gina räusperte sich und meinte: „Also, da wären wir: Im zeitlosen Wald!“
„Nicht ganz“, sagte Joker. „Schaut mal nach oben in die Bäume.“
Alle folgten seinem ausgestreckten Arm und merkten jetzt, dass sie nicht mehr in einer Tannenschonung saßen, sondern auf einer kleinen Lichtung, die von Gestrüpp umgeben war. Über ihnen bewegten sich vollbelaubte Buchenäste leise im Wind, und für April war es viel zu heiß.
„In diesem Wald ist es nicht mehr Frühling, sondern Sommer“, stellte Phil fest.
„Vielleicht ein ewiger Sommer“, sagte Joker. „Nie mehr Eis und Kummer – im ewigen Summer.“
Phil stand auf und klopfte sich den Dreck aus der Hose. „Oder es gab eine Zeitverschiebung. Wir sind ein paar Monate in die Zukunft gebeamt worden …“
„Oder ein paar Monate zurück in die Vergangenheit …“, sagte Gina.
„Egal, wie auch immer“, meinte Joker und stand ebenfalls auf. „Wir können es nur herausfinden, wenn wir auf Entdeckungsreise gehen.“
Er gab Gina die Hand und zog sie hoch. Neugierig blickten sie sich um. In einer Ecke der Lichtung, gut versteckt hinter einem Haselnussstrauch, lag die Kugel und schimmerte hell.
„Wir brauchen irgendein Zeichen, an das wir uns halten können, wenn wir die Kugel wiederfinden wollen“, sagte Gina. „Ich hab‘s!“
Alle blickten zu ihr hinüber. Sie deutete auf einen Baum, der vermutlich durch einen Blitzeinschlag gespalten war und dessen helles Holz zerfasert nach oben stach.
„Und dort scheint auch ein Weg zu sein“, rief Gina.
„Vor allem“, sagte Phil, „müssen wir auf jeden Fall zusammenbleiben.“
„Und wenn wir getrennt werden?“ Joker kickte einen Stein in ein Gebüsch.
„Dann muss jeder auf eigene Faust zu der Kugel gelangen und durchschlüpfen.“
„Klar. Wenn uns die Eingeborenen nicht fesseln und langsam über dem Feuer braten.“
Phil hob den Finger. „Hört mal!“
Die anderen zwei erstarrten und horchten.
„Hört sich an wie Autos aus der Ferne.“
„Stimmt“, nickte Joker. „Also, die Eingeborenen fahren mit Autos herum, irgendwie beruhigend.“
Langsam gingen die Kinder weiter mit wachen Sinnen und offenen Augen, aber es passierte nichts. Im Gegenteil, dieser Teil des Waldes war sogar besonders schön, mit seinen hohen Bäumen und dem saftigen Grün der Blätter, die gegen das Sonnenlicht hunderte von verschiedenen Grüntönen erkennen ließen. Der Weg schien seit Ewigkeiten nicht mehr begangen worden zu sein, denn er war von Gras und Blumen überwuchert.
„Ich kann‘s immer noch nicht ganz glauben, dass wir in einem anderen unbekannten Wald sind“, meinte Gina nach einer Weile. „Und die Zeit spielt keine Rolle mehr.“ Sie blieb stehen und schrie: „Hallo, wir sind in einem zeitlosen Waahald!“
„He! Bist du verrückt?“, rief Phil. „Wenn uns einer hört!“
„Wer soll uns denn hören, Phil?“ Joker zuckte mit den Schultern. „Hier sind doch nur Vögel und irgendwelche Waldtiere.“
Über den Kindern zwitscherten tatsächlich ein paar Vögel, und an einem Buchenstamm sah Joker ein Eichhörnchen.
„Schaut mal, ein Eichhörnchen!“
„Wo?“
Alle blieben stehen. „Bei dieser großen Buche da hinten!“
Jetzt sahen es die anderen auch. Es sah lustig aus, wie das Tier nach oben raste, sich bewegungslos an der Rinde festkrallte und dann den Kopf hin- und herbewegte.
„Niedlich“, lachte Gina.
Sie gingen weiter und merkten, dass die Hitze zunahm, als sie den Wald verlassen hatten. Vom Waldrand aus sahen sie die Straße und blieben stehen. Es war eine normale Asphaltstraße mit weißen Strichen in der Mitte.
„Wir müssen uns die Stelle merken, wo der Waldweg abbiegt“, sagte Phil. „Hier unten bei diesem komischen Stein, neben der Straße.“
„Au!“, rief Gina und fasste sich am Kopf. „Jemand hat irgendwas nach mir geworfen!“
Erschrocken drehten sich die Kinder um und starrten in den stillen Wald. Aber es war niemand zu sehen.
„Vielleicht ist ein … ein Tannenzapfen heruntergefallen“, schlug Joker vor.
„Toll! Hier stehen aber gerade Buchen und keine Tannen oder Fichten!
„Kommt, lasst uns auf die Straße gehen und …“, sagte Phil, aber er wurde von etwas unterbochen, denn er schrie: „Au!“ und fasste sich am Kopf. „Was war das?“
„Verdammt! Irgendjemand wirft mit Nüssen nach uns!“, sagte Gina, bückte sich und hob eine Haselnuss auf. „Eine Frechheit! Wenn ich den Kerl erwische, dann …“
„Aua!“ Jetzt war Phil an der Reihe, getroffen zu werden. „Lasst uns aus dem Wald verschwinden!“, rief er und zog die anderen mit sich fort. Eine Nuss flog knapp an seinem rechten Ohr vorbei. Und Joker wurde zum zweitenmal getroffen. Blitzschnell drehte er sich um. Dann kratzte er sich am Kopf und fing plötzlich an zu lachen.
„Sag mal, spinnst du?“ Gina blieb stehen und blickte ihren Freund ärgerlich an.
„Das glaubt mir keiner“, lachte Joker. „Ich glaub‘s ja selber kaum.“
„Was denn?“
Joker schüttelte nur den Kopf. „Das kann nicht sein!“
Gina rüttelte ihn hin und her. „Bist du total verblödet? Was ist denn los?“
Joker atmete tief durch. „Ob ihr‘s glaubt oder nicht, aber als ich mich vorhin blitzschnell umgedreht habe, kam es mir vor, als ob ein Eichhörnchen Nüsse nach uns geworfen hat, dieses niedliche Eichhörnchen von vorhin. Ich weiß,