Der gläserne Vogel. Albrecht Gralle

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Der gläserne Vogel - Albrecht Gralle

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Sie alle Eichhörnchen ab, die Ihnen vor die Flinte kommen.‘“

      „Sehr witzig“, sagte Phil. „Kommt, lasst uns endlich zur Straße gehen und diesen seltsamen Wald hinter uns bringen.“

      Eine Art Findling, so groß wie ein Koffer, lag neben dem Weg, der in die Autostraße mündete.

      Während die Kinder noch dastanden, hörten sie Bremsen quietschen und sahen, dass ein Auto hielt. Es war ein alter Mercedes, der schon bessere Tage erlebt hatte. Dort, wo der Auspuff saß, qualmte weißer Rauch nach oben. Hinter dem Steuer saß ein Mann, der nicht gerade Vertrauen erweckend aussah, denn er hatte einen wilden Vollbart, der bis auf die Brust reichte, eine lange Narbe zog sich über die Stirn, und seine Augen sahen für die Kinder irgendwie stechend aus. Die Seitenfenster waren heruntergekurbelt.

      „Na?“ Seine Stimme klang laut und unangenehm, und Phil sah, dass im offenen Handschuhfach ein Revolver lag.

      „Wo wollt ihr denn hin?“

      „Wir machen gerade einen … einen Spaziergang und wollen zur nächsten Ortschaft“, antwortete Gina.

      „Aha“, brummte der Bärtige. „Und wo kommt ihr her?“

      „Na, aus dem Wald da hinten“, sagte Gina und ihre Stimme zitterte ein wenig.

      Der Bärtige trommelte nervös auf dem Steuerrad herum und blickte schnell hin und her.

      „Los, steigt ein!“, befahl er. „Ich fahre euch zur nächsten Stadt.“

      Die drei zögerten.

      „Steigt ein, hab ich gesagt“, brüllte der Mann und griff nach dem Revolver. „Wenn ihr nicht sofort einsteigt, knall ich euch alle nieder!“ Das kürzte die Entscheidungsfindung erheblich ab.

      Alle drängten sich nach hinten.

      „Die Rothaarige soll nach vorne.“ Der Mann fuchtelte mit seiner Waffe herum, und Gina ließ sich zitternd auf dem Beifahrersitz nieder.

      Er drehte an einem Knopf und fuhr langsam weiter.

      „Manche Leute muss man zu ihrem Glück zwingen“, brummte er in seinen Bart. „Möchte bloß wissen, wo ihr herkommt, sonst wüsstet ihr, dass die Gänseblümchen wieder gefährlich werden, gerade jetzt um diese Zeit. Hier!“, er zeigte mit dem Revolver zu der Wiese hin, die neben der Straße lag. „Alles voll davon. Verdammte Killerblumen!“ Er schoss während der Fahrt in die Wiese und zog seine Hand wieder zurück.

      „Das hätte schlimm enden können für euch, wenn ihr über die Wiesen gegangen wärt mit euren schmalen Schuhen. Seid froh, dass der alte Hieronymus euch gerettet hat. Natürlich hätte ich euch nicht wirklich erschossen.“

      „Wie … wieso sind denn Gänseblümchen gefährlich?“, fragte Gina vorsichtig.

      Hieronymus antwortete nicht, sondern streckte den Arm aus und winkte. Hinter ihnen quietschten Bremsen, und ein Ford zog links an ihnen vorbei. Gerade noch rechtzeitig vor dem Gegenverkehr.

      „Hab ihn vorgelassen“, sagte Hieronymus. „Die Leute haben keinen Respekt mehr vor Langsamfahrern. Werden immer waghalsiger. Kein Gefühl mehr für Gefahr.“ Dann blickte er die Kinder an.

      „Und was soll die blöde Frage, warum Gänseblümchen gefährlich sein sollen?“

      Er seufzte und beantwortete seine Frage selber: „Seid wahrscheinlich aus einer netteren Gegend als hier, vielleicht hat die Veränderung noch nicht überall so tief eingegriffen.“ Er drückte wieder auf einen Knopf. Der Wagen wurde etwas schneller.

      Bäume säumten die Straße. Dann tauchte das Ortsschild auf.

      „Garbstetten“, lasen die drei verwundert. Hieß nicht eine Ortschaft in ihrer Nähe auch so ähnlich?

      Wieder quietschten die Bremsen, und der Fahrer hielt. „Ich lass euch hier mal raus, muss gleich abbiegen. Also, ihr Hinterwäldler, passt auf euch auf.“ Er kramte in seiner Tasche und gab Gina eine Karte.

      „Meine Adresse. Falls ihr mich mal braucht.“

      Gina räusperte sich und sagte: „Vielen Dank, ähm … Hieronymus, aber trotzdem möchte ich wissen, warum Gänseblümchen nun gefährlich sind.“

      Die andern auf der Rückbank blickten sich vielsagend an.

      Hieronymus ließ die Hände sinken und blickte träumend nach draußen.

      „Oh, ihr Glücklichen, wenn ihr‘s nicht wisst. Ich kann mich noch erinnern, dass meine Tochter Gänseblümchen im Haar gehabt hat.“

      Gina zuckte zusammen, weil Hieronymus‘ Kopf auf das Lenkrad knallte. Dann hörte sie, wie er laut schluchzte. „Stellt euch das vor: Gänseblümchen im Haar!“

      Er hob den Kopf, wischte sich über die Augen und sagte: „Gänseblümchen sind gemein. Sie töten hemmungslos, wo sie können. Natürlich sind nicht alle Gänseblümchen so. Das ist ja das Gemeine. Aber man weiß nie. Am besten nicht anfassen, sonst bist du erledigt. Mein Gott! Gänseblümchen im Haar!“

      Er blickte wieder sinnend ins Weite, dann fuhr er fort und seine weinerliche Stimmung war verflogen. Stattdessen kam Wut hoch: „Aber daran ist nur dieser Vogel schuld. Wenn ich es könnte, ich würde seinen Kopf mit meinen bloßen Händen umdrehen, und es würde mir das größte Vergnügen bereiten …“

      Die drei saßen schweigend im Auto und begriffen immer weniger. Als Hieronymus nichts mehr von sich gab und nur verzweifelt nach draußen sah, sagte Gina vorsichtig: „Also … wir steigen dann mal aus und vielen Dank fürs Mitnehmen.“

      Sie öffnete leise die Tür und kletterte aus dem Auto. Die anderen taten es ihr nach. Hieronymus blickte auf, nickte den Kindern zu, tippte an seine Stirn, als trüge er eine Mütze, und fuhr weiter.

      Als das Auto um die Ecke gebogen war, sagte Joker: „Mann! Das war das Schärfste, was ich je erlebt habe. Da fuchtelt dieser Hieronymus doch echt mit einem Revolver in der Luft herum und erschießt Gänseblümchen. Ich glaube, er hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.“

      „Scheint mir auch so“, sagte Phil. „Diese stechenden Augen gefielen mir von Anfang an nicht.“

      „Ich möchte jetzt nur eins“, erklärte Gina mit selten entschlossener Stimme: „Ich will möglichst schnell die Straße zurückgehen bis zu unserem Stein, leise durch den Wald schleichen, mich in die Kugel stürzen und auf der netten, harmlosen, gemütlichen Schonung ankommen, dann nach Hause gehen, duschen, lange schlafen und nie mehr diesen Wald besuchen.“

      „Ich schließe mich meiner Vorrednerin an“, sagte Joker.

      „Okay“, meinte Phil. „Ich komm auch mit, schließlich kann man euch nicht so allein durch die Gegend gehen lassen.“

      Sie gingen im Sturmschritt die Straße zurück. Nach kurzer Zeit lief ihnen der Schweiß nur so herab, aber das war ihnen gleichgültig.

      Sie erreichten den Stein, bogen zum Wald ab und schlichen mucksmäuschenstill den Weg entlang. Keine Nüsse flogen durch die Luft. Jokers Beobachtung musste eine Täuschung gewesen sein. Sie kamen zu dem abgebrochenen Baum, und da war auch schon ihre kleine Lichtung.

      Mit

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