Die Einmischer. Thomas Wagner

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Die Einmischer - Thomas Wagner

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akademische Haltung, die hofft, durch ihre Einflüsterungen bei den Mächtigen Einfluss zu erlangen. Es geht darum, globale Verteilungsordnungen und Machtordnungen zu begründen, die einen großen Teil der Menschheit von der Mitgestaltung, von der Mitbestimmung über die Ressourcen fernhält. Münkler versucht das in seinem Buch Imperien ausführlich damit zu kaschieren, dass er sagt: »Na ja, in den Imperien hat ja auch die Peripherie profitiert. Das Imperium hat versucht, die Peripherie mit hereinzuholen.« Im Grunde macht Münkler so etwas Ähnliches wie Samuel Huntington, nur unbedeutender: Er dient sich den Eliten als Theoretiker der Herrschaft an.

      Der bürgerliche Staat birgt eine extreme Form organisierter Gewalt. Was bedeutet das für eine linke, eine emanzipatorische Politik, die sich für die Abschaffung von Herrschaft einsetzt, wenn sie im Rahmen von Staatlichkeit agiert?

      Das ist eine große, strategische Frage. Ich würde, wenn es um die Frage der Gewalt geht, zunächst sagen, dass es gut ist, sich nicht auf ein Terrain zu begeben, eine Auseinandersetzung zu suchen, in der der Widerspruch so stark eskaliert. Die Linke hat historisch ja sehr stark in den Kategorien des Gegensatzes und des Widerspruchs, der Zuspitzung der Widersprüche gedacht. Wenn man sich die Geschichte der siebziger Jahre in Westeuropa anschaut, glaube ich, dass sich das zumindest teilweise als Irrtum herausgestellt hat. In Italien etwa gab es eine massenhafte Desertion von Menschen aus Ordnungen heraus, auch eine breit verankerte Massenmilitanz, die sich zum Beispiel in fröhlichen Plünderungen ausdrückte, wie man sie bei Dario Fo nachlesen kann.

      Die Militarisierung des Konflikts u. a. durch die Roten Brigaden hat dazu geführt, dass es für die staatliche Macht sehr einfach war, ihre Ordnung wieder zu etablieren. So hat der Krisenstab in Italien sogar versucht, diese dichotomische Zuspitzung zu fördern. Ihnen war es viel angenehmer, einen klaren Gegner wie die Roten Brigaden zu haben, als die diffuse Desertionsbewegung, wie sie Ende der siebziger Jahre für Italien kennzeichnend war. Wenn die Staatsmacht so geschickt darin ist, Gewaltverhältnisse auszubauen, ist es nicht klug, sich auf so ein Feld zu begeben. Mal abgesehen von den furchtbaren menschlichen Kosten, die das ja auch immer nach sich zieht. Die andere Sache, die ich vertreten würde, ist: Ich würde mich nicht so sehr auf die Frage einlassen, ob man sich innerhalb der Staatlichkeit oder gegen sie bewegt. Die Linke sitzt einerseits oft dem Irrtum auf, der Staat sei neutral, man könne ihn einfach reformieren. Sie verkennt dann, dass Staatlichkeit die Institutionalisierung von Herrschaftsverhältnissen ist. Andererseits ist es natürlich auch falsch zu glauben, man würde permanent gegen den Staat stehen. Man kann den Staat durchaus als ein Terrain sehen, auf dem man sich auseinandersetzt. Ich meine damit gar nicht so sehr Politik, sondern Mikroebenen: Wenn man in einer emanzipatorischen Weise städtische Sozialarbeit macht, die ja Teil von Staatlichkeit ist, kann das Gesellschaft verändern. Man steht also nicht konsequent außerhalb. Der Staat ist ein facettenreiches und widersprüchliches Feld, auf dem man sich illusionslos bewegen muss. Er integriert eine Fülle von Meinungen und Optionen. Zum Beispiel bildet sich Widerstand gegen autoritäre Bewegungen im Staat oft auch im Staatsapparat selbst heraus. Um so etwas zu begreifen, braucht es eine komplexe Staatstheorie.

      Wie schätzen Sie die Rolle der Partei Die Linke im Hinblick auf emanzipatorische Veränderungsprozesse ein?

      Ich bin einerseits skeptisch wegen der Zusammensetzung der Partei aus sozialdemokratischen Gewerkschaftseliten und einer staatssozialistischen DDR-Linken. Das sind aus meiner Perspektive nicht unbedingt Träger eines antiautoritären Emanzipationsprozesses. Auf der anderen Seite aber muss man sehen: Wenn Dinge zusammenkommen, sind Umformierungen möglich. Was neu entsteht, kann mehr sein als die Summe der beiden Teile. Ich finde einige Sachen, die in letzter Zeit vertreten worden sind, auch durchaus positiv. Zum Beispiel haben Oskar Lafontaine und Katja Kipping in der Diskussion um die Gewalt während der Proteste gegen den G8-Gipfel in Rostock einen klaren Kopf bewahrt und nicht eingestimmt in den Chor, der meinte, sich distanzieren zu müssen. Sie haben gesagt, wir wollen nicht nur über ein abgebranntes Auto reden, sondern darüber, welche Gewalt von den Leuten hinter dem Zaun ausgeht. Das haben selbst viele Leute der Interventionistischen Linken nicht so deutlich gesagt. Positiv finde ich zudem, dass die Linkspartei heute die Gewerkschaften unter Druck setzt, sich aus ihrer Umklammerung durch die Sozialdemokratie zu lösen. Solange man nicht glaubt, dass es sich um Träger eines anderen Politikmodells handelt, kann man sicherlich mit einigen Leuten in dieser Partei sehr sinnvoll zusammenarbeiten. Einige Leute machen sehr gute Arbeit. Um einen Bereich zu nennen, in dem ich mich auskenne: Wenn heute im Rahmen der Lateinamerika-Arbeit versucht wird, die Kolumbien-Initiativen zusammenzubringen, wird auch die außerparlamentarische Politik gestärkt.

      Sie beschäftigen sich intensiv mit Venezuela. Welche Rolle spielt dort der Staat im Hinblick auf die Entwicklung einer partizipativen Demokratie?

      Die Veränderungen waren nicht erst das Ergebnis der Regierungsübernahme durch Hugo Chávez. Bereits in den 1970er Jahren bildeten sich Stadtteilprojekte und vielfältige Netzwerke, die allerdings nicht sehr groß waren. Alternative Medien und Piratensender haben aber sehr interessante Impulse in die venezolanische Gesellschaft gesendet. Polizei, Militär und aufständische Plünderer, die sich noch 1989 bei den Unruhen als Feinde gegenüberstanden, bildeten dann in den neunziger Jahren wichtige Allianzen, die Chávez erst hervorgebracht haben. In diesem Prozess sind die Grenzen zwischen radikal und reformistisch weitgehend verwischt. Christlich inspirierte Leute, genossenschaftlich orientierte Leute mit sozialliberalem Hintergrund entwickelten zum Teil sehr radikale Ideen. Andererseits verteidigten klassische Marxisten plötzlich eine ziemlich zweifelhafte Wohlfahrtspolitik.

      Autoren wie Gilles Deleuze oder Michel Foucault haben Begriffe entwickelt, mit denen sich solche Phänomene vielleicht als facettenreiche Prozesse der Verkettung begreifen lassen, die reich sind an unerwarteten Überschlägen und Querverbindungen. Viele Nachbarschaftsprojekte, die wir als anarchisch beschreiben würden, sind daraus entstanden, dass aus dem Maoismus oder Guevarismus hervorgegangene Kader ihre Organisation verließen oder ihre Gruppen sich aufgelöst hatten und sie ihre politische Arbeit in Nachbarschaftsprojekten fortsetzten. Wie sie das erklären, ist oft unglaublich dogmatisch, ihre Praxis aber überhaupt nicht.

      Die Regierung Chávez hat diese Öffnung des politischen Raumes zwischen 1999 bis 2001 unterstützt, indem sie die bis dahin vorherrschende staatliche Repression beendete. Als sie 2002/​2003 von der Massenmobilisierung durch die Aktiven in den Basisnetzwerken mehrfach vor dem Kollaps, das heißt: den Umsturzversuchen durch die Opposition, gerettet wurde, begann sie Reformprogramme, um die Basisorganisationen zu stärken und neue zu schaffen. Die Gesundheitskampagne funktionierte zum Beispiel anfangs nicht über staatliche Behörden, sondern über selbstorganisierte Gesundheitskomitees in den Nachbarschaften. Das hat die Partizipation der Bevölkerung gestärkt. Heute wird dieser Impuls von der paternalistischen Politik des Staates teilweise aber wieder unterbrochen. Wichtige Aktivisten der Basisbewegungen arbeiten heute in den Behörden, ihre ehemaligen Basisorganisationen sind schon dadurch geschwächt. Der Staat bindet die sozialen Bewegungen an sich und verhindert damit unabhängige Entwicklungen.

      Sie haben mit einer Reihe von Regierungsmitgliedern gesprochen, die jetzt nicht mehr im Amt sind. Was haben Sie von denen erfahren?

      Leute wie der 2005 entlassene Wohnungsbauminister Julio Montes oder die 2003 entlassenen Planungsminister Felipe Pérez und Roland Denis haben mit Modellen der Ko-Regierung experimentiert. Sie haben versucht, Stadtteilbauprojekte gemeinsam mit Barrio-Bewohnern zu organisieren. Bei öffentlichen Baumaßnahmen ist die soziale Kontrolle der einzige wirksame Schutz gegen Korruption. Vor diesem Hintergrund hatte zum Beispiel Montes die Großprojekte zunächst einmal gestoppt. Das ist von Chávez öffentlich kritisiert worden, weil anstatt von, ich nenne jetzt mal eine Hausnummer, statt der 180 000 für das Jahr geplanten Wohneinheiten nur 25 000 gebaut wurden. Das quantitative Wachstum wurde in alter staatssozialistischer Manier höher bewertet als das qualitative Wachstum. Das war nicht so erfreulich. Andererseits habe ich aber von fast allen Regierungsmitgliedern, die ich interviewt habe, zum Beispiel Exvizepräsident José Vicente Rangel, eigentlich ein ganz gutes Bild. Auch von Chávez. Er versucht in seiner Fernsehsendung, kritisches linkes Denken von Leuten wie Antonio Gramsci oder Paulo Freire breiter

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