Von Blüten und Blättern. Elisabeth Göbel
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20. Januar, Donnerstag
Es sind die Tage der Leiter. Der Mann zieht sich feste Schuhe an. Er stellt die Leiter ans Dach, um nachzusehen, ob die Schneelast Löcher hinterlassen hat, durch die der Marder schlüpfen könnte, er sprüht ein Vergrämungsmittel an alle Ecken und für eine Weile stinkt es draußen und drinnen im Haus. Er stellt die Leiter an die Hochstämme der Apfelbäume, denn es ist Zeit für den Frühjahrsschnitt. Wenn der Mann auf die ausfahrbare Leiter steigt, unter deren Holmen der nicht mehr gefrorene Boden nachgibt, mache ich mir Sorgen und gehe ins Haus.
Die Apfelbäume heißen der Brettacher, die Landsberger Renette, der Boskop. Heute ist der Brettacher dran. Zuerst wird die Kletterhortensie, die sich jedes Jahr beeilt, bis in seine Krone vorzudringen, zurückgeschnitten, dann folgt der Frühjahrsschnitt am Apfelbaum. Wenn er unterbleibt, wird die Krone zu dicht und die Früchte bleiben klein. Jetzt lasse ich den Mann mit Säge und Baumschere werkeln; auf der Leiter stehen und einen Hochstamm schneiden, erfordert Konzentration. Ich gehe zum Schreiben ins Haus. Durch einen gut geschnittenen Baum kann man einen Hut werfen, sagt der Gärtner.
2. Februar, Mittwoch
Das Gärtnern macht Pause, ich sammle Wörter.
Schneeglöckchen heißt Galanthus: gala, griechisch, die Milch, deshalb auch Milchblume, anderswo, das ist mir neu, Hübsches Februar-Mädchen, Weiße Jungfrau oder Schnee-Durchstecher. Und was vom Frühjahr bis zum Herbst die ziemlich unangenehm riechende Wolke unter der Trauerbirke verursacht, ist die massenhafte Population der Birkenwanze, ich las es in einer Schrebergartenzeitung – Kleidoceris resedae. Obgleich Reseda ja duften soll. Nun werden zum Tag des Offenen Gartens im Mai Besucher kommen, die unterm Birkenbaldachin verweilen und dort Kaffee und Kuchen zu sich nehmen wollen. Grasmilben verbreiten sich ebenfalls, so die grüne Presse. Also sind außer den allbekannten Zecken nun auch Milben zu erwarten, die parasitisch leben und von im Grünen sitzenden Warmblütern Lymphe und Zellsäfte saugen. Eine Hirsesorte, lese ich weiter, ist der freche Eindringling in lückigen Rasenflächen, der sich rasend schnell verbreitet, weil er massenhaft kleine braune Samen produziert und so niedrig ist, dass er beim Mähen keinen Schaden nimmt. Der »Totalunkrautvernichter« Roundup in der Flasche mit dem »Anti-Gluck-Auslauf« sei nicht zu empfehlen, weil er alles Übrige ebenfalls beseitige. Auch für die anderen Plagen gebe es kaum wirksame Mittel. Also werden wir’s im Sommer ertragen müssen. Immerhin habe ich wieder ein paar neue Wörter aus meiner Zeitungslektüre. Hier noch eins: Nicht nur Unkraut gibt es, es gibt auch Ungras.
Zum altmodischen Resedagrün gesellt sich das Wort Bleu mourant und will mir nicht mehr aus dem Sinn. Was ist bleu mourant in meinem grünen Garten? Verblühende Vergissmeinnicht, der Sommerhimmel, die vergehende Hortensie im Herbst. Viel Zeit bis dahin.
Jetzt noch ein Wort aus der Tageszeitung. Bascha Mika, die streitbare frühere taz-Chefin hat es geprägt: Vermausung. Frauen, die aus welchen Gründen auch immer, nicht Karriere machen, Frauen, die Kinderwagen schieben und den Kleinen die Grasmilben und die Zecken absammeln, Frauen, die Spaß haben auf dem Boden zu knien (!), zu Kreuze zu kriechen gewissermaßen, und da unten herumzuwerkeln – Vermausung. Also auch ich … Schwarze Fingernägel und so weiter.
Ich wollte ja nach den Schneeglöckchen schauen. Schon vor zwei Wochen hörte ich eine Frau sagen, in ihrem Garten blühten die hübschen Februar-Mädchen bereits. Auch blühende Hamamelis sehe ich seit Tagen in einem Vorgarten in Zehlendorf. Bei uns kommen gerade mal die Spitzen der Schneeglöckchen heraus und an der Hamamelis findet sich nicht die Spur von Gelb. Zaubernuss heißt der magische Strauch, im Moment sieht er nach gar nichts aus, Vermausung auch da. Zum Ausgleich finde ich in einer anderen Zeitung den Satz: Gärtnern muss der Mensch. Wie schön, dieser grüne Imperativ. Ich assoziiere Grün und nicht Grau.
In dem wunderbaren Kinderbuch Ich sammle Wörter speichert Frederick, die Maus, im Sommer Wörter für den Winter, um in der dunklen Jahreszeit Farbe, Schönheit und Sonne zu haben. Die anderen Mäuse bunkern Futter.
3. Februar, Donnerstag
Als wir uns entschieden, von Berlin in mein Kleinmachnower Elternhaus zurück zu ziehen, haben wir eines nicht bedacht: die Topografie. Dass ich etwas weitere Wege gehen oder mit dem Rad fahren müsste, war kein Hinderungsgrund für den Wechsel. Wie unbequem die Wege hier draußen sein können, merkte ich erst, als ich sie regelmäßig befuhr oder beging. Unsere Straße hat eine leichte Wölbung von der Mitte zu den Rändern hin, die Gehwege fallen vom Zaun zum Bordstein etwas ab. Bei Glätte gibt es keinen zuverlässigen Halt unter den Füßen. Autofahrer merken das nicht, ich aber habe längst die Zäune kennen gelernt, denn bei der in diesem Winter häufigen Glätte bewege ich mich ganz am Rand – den auch die Hunde gerne nutzen –, wo ich mich zur Not an Drahtgittern, Eisenstangen oder Holzlatten festhalten kann. Dankbar bin ich den Anwohnern, die schon frühmorgens ein wenig Granulat, Sand oder, mir ist das egal, auch Blumenerde streuen. Die wenigsten tun es. Entweder, weil sie länger schlafen als ich oder weil sie sich nur vom Haus zur Garage bewegen müssen. So lerne ich in diesem Winter die Mitbewohner meiner Straße kennen. Die Frühstreuer, die Feger und Streuer, die Besenfeger oder die Schneeschieber und die Nie-Streuer.
Die Straße führt durch eine Senke, wo es noch Teiche und Tümpel als Überbleibsel einer eiszeitlichen Schmelzwasserrinne gibt. Wenn es getaut oder noch schlimmer, getaut und geregnet hat, geht mein Weg durch Pfützen und zentimetertiefen Matsch. Früher habe ich die Menschen im ländlichen Polen oder Russland bedauert, die so schwierige Wege zu beschreiten hatten, und ich erinnere mich, dass man auch bei uns die guten Schuhe in einem Beutel ins Theater oder in die Oper trug. Kaum habe ich aber die Grenze zu Zehlendorf überschritten, ist alles anders. Die Leute haben saubere Schuhe an, die Sonne scheint und trocknet alles rasch weg, und ich stehe da mit meinen Winterwanderstiefeln und komme mir vor wie eine aus der Provinz.
5. Februar, Samstag
Im Garten ruft ein Vogel mit einem hohen hellen Pfeifton und ich denke, ich sollte endlich die Vogelstimmen lernen. Melodien merke ich mir schlecht, aber die Erkenntnishilfen aus der Schulzeit weiß ich bis heute – Ida, wo kommst du her … (Schuberts Unvollendete), Der Graf hat sich in die Hosen ge … (Tannhäuser). So etwas müsste es doch auch für Vogelstimmen geben. Ich suche im Internet, wo man mir gute Ratschläge gibt: hören, erkennen, üben, wiederholen – und zahlreiche CDs werden angeboten. Er habe die Vogelstimmen wie Vokabeln gelernt, berichtete ein Vogelfreund, anders gehe es nicht, eine CD könne durchaus hilfreich sein. Ich habe es aber doch schon zur Schallplattenzeit versucht. Man hört draußen einen Vogel, denkt, so und so ging es, man geht ins Haus, legt die Platte auf, sucht den vermuteten Vogel, doch sowie man irgendein zutreffendes oder auch anderes Vogelgezwitscher vorgespielt bekommt, ist das zuerst gehörte Gartenlied vergessen. Wieder nach draußen – der Vogel ist natürlich weg. Die Schwierigkeit vergrößert sich durch die Tatsache, dass mitunter mehrere Vögel gleichzeitig quinquilieren und dass neben dem Morgen- oder Abendlied auch Lockrufe zu hören sind, außerdem Balzrufe und Warnrufe, und schließlich, dass sich Jungvögel anders anhören, weil sie noch am Lernen sind.
Ich greife erstmal zum Buch und werde fündig im altmodischen Brehm. Brehms Tierleben, Kleine Ausgabe für Haus und Schule von 1920. So sehr wird sich der Gesang der gefiederten Musikanten in knapp hundert Jahren ja nicht geändert haben. Oder doch? Stare, das weiß man, ahmen längst die Klingeltöne der Handys nach.
Also