Unschuldsengel. Petra A. Bauer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Unschuldsengel - Petra A. Bauer страница 4

Unschuldsengel - Petra A. Bauer

Скачать книгу

Oberkommissar!»Galgenberg knallte zackig die Absätze zusammen und legte die rechte Hand zum Gruß an eine imaginäre Mütze.

      Wieder verdrehte Kappe die Augen, und Galgenberg lachte. Seit ihr Vorgesetzter, Dr. Brettschieß, Kappe zwei Jahre zuvor aus taktischen Gründen zum Oberkommissar befördert hatte, zog Galgenberg ihn damit auf. Mit der Beförderung war keine Gehaltserhöhung verbunden gewesen, und so hielt Galgenbergs Neid sich auch in Grenzen. Als er 1918 aus dem Krieg gekommen war und feststellen musste, dass Kappe in der Zwischenzeit die Stellung eines Kommissars innehatte, hatte ihn das tatsächlich getroffen. Aber diese «Oberkommissar-Nummer», wie er Kappes erneute Beförderung nannte, fand er einfach nur zum Schießen. «Keen Wunder! Die Idee stammt ja ooch von Brettschieß», pflegte Galgenberg dann und wann zu kalauern.

      Dr. Arnulf Brettschieß hatte 1924 die Nachfolge des Waldemar von Canow bei der Polizei angetreten. Von Canow, als Schlaftablette bekannt, war harmlos gewesen. Er hatte Kappe und Galgenberg nicht in die Arbeit hineingeredet, sich aber auch nicht sonderlich für sie eingesetzt. Galgenberg hatte ihm keine Träne nachgeweint, aber Kappe hatte immer gedacht, dass sie es mit von Canow eigentlich ganz gut getroffen hatten, obwohl Kappe ihn nicht als seinen Freund bezeichnet hätte. Er hegte die ärgsten Befürchtungen, als von Canow in den Ruhestand ging. Am selben Tag wurde ihnen dann auch bereits Dr. Brettschieß präsentiert: ein junger Spund von damals vierzig Jahren mit stechendem Blick und einer sehr eigenwilligen Auffassung von Polizeiarbeit. In erster Linie hatte er sich anfangs darauf beschränkt, Kappe und seine Kollegen von der Arbeit abzuhalten, indem sie am laufenden Band Statistiken und Berichte verfassen mussten.

      So war Kappe zunächst geradezu froh gewesen, als Brettschieß ihn zu Cläre Stinnes geschickt hatte. Die Industriellenwitwe behauptete, ein Arzt hätte ihren Mann bei einer Operation absichtlich sterben lassen, und verlangte, dass Kappe diesen einsperrte. Nachdem Kappe dem Manne beim besten Willen nichts nachweisen konnte, wurde zunächst Druck vonseiten Brettschieß’ und höherer Ränge auf ihn ausgeübt. Es war gewissen Kreisen nämlich sehr daran gelegen, die einflussreiche Cläre Stinnes bei Laune zu halten. Doch das funktionierte nicht, weil der prinzipientreue Kappe sich nicht vorschreiben lassen wollte, wie seine Ermittlungsergebnisse auszusehen hätten. Eher hätte er den Dienst quittiert. Also hatte Brettschieß es mit der Beförderung versucht, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Kappe hatte stur weiter ermittelt und am Ende die Wahrheit ans Licht bringen können. Dabei hatte auch die Tochter von Cläre Stinnes eine Rolle gespielt, sowohl beruflich als auch privat. Die ungestüme Rennfahrerin Clärenora Stinnes hatte Kappe nämlich ziemlich den Kopf verdreht. Klara hatte die beiden beim Austausch von Küssen beobachtet, woraufhin sie kurzfristig zu Hause ausgezogen war. Kappe hatte dies sehr bekümmert. Natürlich brannte das Feuer zwischen ihnen beiden nicht mehr so heiß, schon gar nicht, seitdem zwei Kinder Klaras volle Aufmerksamkeit beanspruchten. Abends war sie immer sehr müde. Trotzdem fehlte sie überall. Nicht nur im Haushalt, sondern auch in Kappes Herzen. Und niemand war darüber mehr erstaunt als er selbst.

      Er war heilfroh gewesen, als Clärenora eines Tages mit ihrem Rennwagen gen Paris aufbrach. Und noch viel froher war er, als Klara bald wieder vor der Tür stand. Danach hatten sie sich erst einmal eine Zeitlang misstrauisch beäugt, aber dann war eine ganz neue Qualität in ihre Beziehung getreten. Beinahe so etwas wie eine neue Art von Liebe.

      Mina hätte vor Wut heulen können. Dabei war sie so verdammt froh gewesen, sich trotz des schweren Koffers bis zur Nummer 77 geschleppt zu haben. Auf dem Weg in den dritten Stock des Hinterhauses wäre sie um ein Haar zusammengebrochen. Ein großes Glas Wasser hätte sie gebraucht. Stattdessen stand sie nun wieder durstig auf der Straße.

      «Nee, die wohnt hia nich mea», hatte eine zahnlose Alte gesagt, als Mina an der Tür klingelte, an dem das Namensschild ihrer Freundin hing. «Die is nach’n Wedding jezogn. Det wa dem Frollein hier nich vorneem jenuch.»

      «Kenn’ Se denn ihre neue Adresse?» Minas Stimme zitterte. Was sollte sie nur tun, wenn Charlotte nicht aufzufinden war?

      «Warten Se ma, die hat mir ’n Zettel hierjelassen, falls ma jemand nach se fraren tut.» Die Alte schlurfte durch den Flur. Ihre Erscheinung war seltsam, denn zu ihrem graubraunen abgewetzten Rock trug sie eine modische rosafarbene Bluse, die eher für ein junges Mädchen gemacht zu sein schien. Die Alte kam mit einem kleinen Blatt Papier zurück, und Mina sah, dass die Bluse noch recht neu war, wenn sie auch etliche Flecke aufwies. «Hia steht, det se jetze inne Liesenstraße wohnen tut. Den Ssettel könn’ Se ham. Und saren Se ia ’n schön Jruß! Iare Bluse jefällt ma jut. Die hab ick mia untan Narel jerissen, wo se die doch hia inn Schrank vajessn hat.» Die Alte knallte die Tür ohne ein weiteres Wort zu.

      Mina schleifte den Koffer die Treppe wieder hinunter und stellte sich in den Hauseingang. Was nun? Sie sah zum Rosenthaler Platz hinüber. Mit einem Mal fielen ihr die stark geschminkten Frauen auf, die trotz der relativ frühen Stunde auf und ab liefen und hin und wieder einen Mann ansprachen. Deshalb war Charlotte also von hier fortgezogen! Als sie sich eben mit ihrem Koffer abgeastet hatte, hatte sie den Blick auf das Straßenpflaster geheftet und keinen Sinn für das Geschehen um sich herum gehabt. Die vereinzelten Prostituierten hatte sie komplett übersehen und auch nicht bemerkt, wie heruntergekommen die gesamte Gegend wirkte. Sie sollte zusehen, dass sie hier wegkam, bevor es dunkler wurde und das lichtscheue Gesindel womöglich auf sie aufmerksam wurde.

      Sie hievte den Koffer weiter in Richtung des Platzes und stieß einen tiefen Seufzer aus. Dieser Moloch von einer Stadt hatte mit Sicherheit nicht auf eine ungebildete Landpomeranze wie sie ge-wartet. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Und wo sollte sie hin? Sie hatte doch gar keine Ahnung, wie sie zur Liesenstraße gelangen sollte.

      Sie trat gegen eine Straßenlaterne und fing sich damit den bösen Blick einer alten Frau ein, die gebeugt vorüberging.

      Natürlich wusste Mina genau, weshalb sie nach Berlin gemacht hatte. Arbeit wollte sie finden. Das war der Grund, den sie auch vor sich selbst offiziell angegeben hatte, weil es zu sehr schmerzte, darüber nachzudenken, was wirklich hinter ihrer Flucht steckte. Denn eine solche war es – da konnte man beschönigen, so viel man wollte …

      Siegfried war der wahre Grund. Siegfried, den sie so sehr liebte, dass es weh tat. Der mehr war als alles, was sie sich je erträumt hatte. Der ihr versprochen hatte, sie eines Tages zu heiraten. Sie hatte ihm geglaubt und sich ihm hingegeben. Was hatte das schon ausgemacht, wo sie doch ohnehin bald seine Frau sein sollte?

      Als sie daran dachte, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Anstelle der Gebäude, die den Platz säumten, sah Mina den Tag vor sich, an dem Siegfried zu ihr gekommen war und verkündet hatte, dass er sie nicht heiraten dürfe. Sein Vater hatte ihm untersagt, sich mit einem mittellosen Mädchen einer kinderreichen Familie abzugeben. Falls sie sich weiterhin träfen, würde er seinen Sohn enterben. Und Adalbert Plath war ein Mann, der seine Drohungen wahr machte. Als einer der Direktoren des Braunkohlefeldes Grube Ilse, Angehöriger des Chemieunternehmens Kunheim & Co, war er es gewohnt, über Leichen zu gehen. In einer der prächtigen Direktionsvillen wohnte man nicht, wenn man ein Menschenfreund war. Seit Kunheim & Co die Braunkohlefelder gekauft hatte, war klar, wer in der Gegend das Sagen hatte.

      Als Siegfried sie dann eines Tages angesprochen hatte, hatte es Mina glatt die Sprache verschlagen. Sie hatte mit «denen da oben» bislang nichts zutun gehabt. Mit ihren Freundinnen hatte sie sich gern über die arroganten Schnösel in ihren vornehmen Anzügen lustig gemacht.

      Siegfried war aber gar nicht arrogant gewesen. «Junges Fräulein, bitte erschrecken Sie nicht!», hatte er gesagt, kurz bevor er ihr auf die Schulter tippte.

      Heftig erschreckt hatte sie sich trotzdem. Ob es wegen der unverhofften Ansprache war, wegen seiner sanften Stimme oder weil er mit seinem Anzug und dem gestärkten weißen Hemd eindeutig als einer der Privilegierten zu identifizieren war, konnte sie später nicht mehr sagen. Sie wusste nur, dass sie ihn mit einem unsäglich einfältigen Blick angesehen hatte. Ihr hatte sogar der Mund

Скачать книгу