Unschuldsengel. Petra A. Bauer

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Unschuldsengel - Petra A. Bauer

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ging es ihm nahe», gab Charlotte zu bedenken. «Ick denke, du hast die Männer durchschaut? Die sind nich wie wir, die sind sehr einfach jestrickt. Denen jeht janüscht nahe. Vermutlich isser jetzt schon glücklich verlobt mit seiner Cousine.»

      Charlotte versuchte offenbar, ein Gähnen zu unterdrücken, was ihr jedoch misslang. «Sei mir nicht böse, ich muss früh raus. Eine Kollegin hat mich gebeten, für sie einzuspringen.»

      «Mensch, Lotte, ick hab die ganze Zeit nur von mir jesprochen.» Mina hatte schlagartig ein schlechtes Gewissen. «Ick hab nich ma jefragt, mit wat du eijentlich dein Geld verdienst.»

      Charlotte lachte. «Ich bin das Fräulein vom Amt. Ich stöpsle die Telefonverbindungen zusammen. Und wenn es bei einem Gespräch mal ganz heiß hergeht, dann zieh ich den Stöpsel auch wieder.»

      Die beiden lachten, bis ihnen die Tränen kamen.

      «Aber glaub mal nicht, dass das nur schön ist. Ich darf nämlich nicht heiraten.»

      Mina sah die Freundin ungläubig an.

      «Ehrlich! Ich musste vor der Ausbildung unterschreiben, dass ich ledig bin und es auch bleibe. Und wenn mir einer am Telefon einen Antrag macht, muss ich sagen: ‹Besetzt! Werde melden, wenn frei!›»

      Sie sahen sich an und begannen von neuem mit der Lacherei. «Danke, Charlotte! Mir geht et jetzt wieder viel besser. Du bist ’ne jute Freundin. Ick hoffe, ick kann dir det mal zurückjeben.»

      Hermann Kappe hatte sich auf dem harten Holzstuhl niedergelassen, der neben dem Besucherstuhl die einzige Sitzgelegenheit in seinem Bureau darstellte. Er verfluchte wohl zum hundertsten Mal, dass er immer wieder vergaß, Klara um ein Sitzkissen zu bitten. Sie könnte ihm sicher eines aus ihrem Fundus an Stoffresten fertigen. Es musste ja nicht ausgerechnet der Blümchenstoff sein, der beim Nähen von Klein-Margaretes Sonntagskleid übrig geblieben war. Doch Blümchen hin oder her, sein Hinterteil und nicht zuletzt sein Rücken würden es ihr ewig danken. Er war gerade einmal 38 Jahre alt, aber wenn er Stunden auf dem harten Stuhl verbracht hatte, fühlte er sich mitunter wie 70.

      Neiderfüllt dachte Kappe an die Möbel, die im Amtszimmer von Kriminalpolizeirat Ernst Gennat im ersten Stock des Polizeipräsidiums standen: ein grünes Plüschsofa und ein Sessel im selben Farbton. Man munkelte, dass der füllige Gennat gerne einen Teil seines Arbeitstages auf dem Sofa liegend verbrachte, doch niemand nahm ihm das übel. Seine Ermittlungsergebnisse sprachen für sich. Gennat war eine lebende Legende. Er hatte am Fall des Serienmörders Fritz Haarmann mitgewirkt und insgesamt eine sehr hohe Rate an aufgeklärten Mordfällen vorzuweisen. Hartnäckigkeit war eine seiner Tugenden, und so war es auch Gennats Bemühungen zu verdanken gewesen, dass die Zeit des ständig unterbesetzten Mordbereitschaftsdienstes, wie er bisher bestanden hatte, ihr Ende gefunden hatte. Seit dem 1. Januar 1926 gab es eine Zentrale Mordinspektion, deren Leitung Ernst Gennat übertragen worden war. Diesem unterstanden drei Mordkommissionen, die im Wechsel vierwöchigen Bereitschaftsdienst hatten, so dass jeweils eine aktive Mordkommission von zwei Reserve-Mordkommissionen unterstützt wurde. Gennat koordinierte die Kommissionen und hatte die Kontrolle über alle Morduntersuchungen inne. Außerdem suchte er selbst die fähigsten Kriminalisten aus, was Kappe mit einem gewissen Stolz erfüllte, da er schließlich selbst einer der Auserwählten war. Wenn er Gennat nur noch davon überzeugen könnte, dass auch die fähigen Kriminalbeamten für ihre Ermittlungsarbeit ein weiches Ruhekissen brauchten! Doch dazu müsste Kappe ihn überhaupt darauf ansprechen, und das kam ihm dann doch vermessen vor. Er würde lieber endlich Klara um ein Stuhlkissen bitten. Wenn er es nur nicht wieder vergaß! Denn seltsamerweise verschwendete er jeweils nach Verlassen des Dienstgebäudes keinen Gedanken mehr an den fehlenden Sitzkomfort.

      Ich muss mir das bei Gelegenheit endlich notieren, als Gedächtnisstütze, dachte Kappe und konzentrierte sich wieder auf die Papiere, die vor ihm auf der Schreibtischplatte lagen.

      Keiner der befragten Nachbarn in der Chausseestraße, wo der bestialische Mord an der jungen Frau geschehen war, wollte etwas gehört oder gesehen haben. Dabei mussten die Qualen des Mädchens doch fürchterlich gewesen sein. Kappe hoffte inständig, dass sie schon an den ersten Verletzungen gestorben war, obwohl Kniehase ihm diesbezüglich wenig Hoffnungen hatte machen können.

      «Die Wunden haben zu stark geblutet», meinte dieser. «Das Herz muss noch lange gepumpt haben. Aber Näheres kann ich erst bei der Obduktion sagen.»

      Irgendwo da draußen müssen doch Menschen sein, die die Tote vermissen, dachte Kappe. Menschen, die sie geliebt hatten oder die sich zumindest nach einiger Zeit fragen würden, weshalb sie sich nicht meldete. Wer würde mich eigentlich vermissen, wenn ich ermordet würde? Kappe ließ den Bleistift zwischen Zeige- und Mittelfinger wippen. Klara natürlich. Hartmut und Gretchen würden sicher auch fragen, wo ihr Vater war. Die Kollegen würden es bemerken, wenn auch erst am nächsten Tag. Es konnte schließlich durchaus vorkommen, dass er zu Ermittlungszwecken länger unterwegs war. Obwohl Klara sicher schon nachts im Präsidium anrufen würde. Oder nicht? Und was war mit der schönen Chinesin Lienhwa Li und mit Clärenora Stinnes? Verschwendeten sie überhaupt noch einen Gedanken an ihn? Immerhin hatte jede der beiden Frauen für sich eine Zeitlang in seinem Leben eine ziemlich bedeutende Rolle gespielt.

      Kappe nahm die Vernehmungsprotokolle nicht mehr wahr, sondern sah die beiden Frauen so plastisch vor seinem geistigen Auge, als könne er sie berühren. Er gab sich einen Ruck, fokussierte die Protokolle mit einiger Willenskraft und legte sie anschließend in die Akte zurück.

      So ein Unsinn! Lienhwa und Clärenora waren Geschichte, und das sollten sie auch bleiben. Kappe wäre mit keiner von beiden wirklich glücklich geworden, das wusste er inzwischen. Er lebte ein völlig anderes Leben. Ihm reichte die Aufregung, die sein Beruf mit sich brachte.

      Unglaublich, auf was für Gedanken er manchmal kam! Gut, dass diese nicht zu hören waren. Er würde sich ja pausenlos blamieren.

      So summte er leise Die Gedanken sind frei vor sich hin, als seine Bureautür aufgerissen wurde und Galgenberg hereinplatzte. «Bei mir is ’ne Vermisstenmeldung einjetroffen! Ein jewisset Fräulein Anna Ebeling is jestern nich nach Hause jekommen.»

      «Seit wann kriegst du denn die Vermisstenmeldungen?», fragte Kappe.

      «Keene Ahnung. Vielleicht hat die Zentrale falsch durchjestellt. Aber hör doch mal zu! Die Beschreibung passt exaktemente auf die durchlöcherte Tote: zwanzich Jahre, schlank, braune Oogen, braune Locken.» Galgenberg legte die Notizen vor Kappe hin.

      Der warf einen kurzen Blick darauf. «Die Beschreibung passt auf die Hälfte aller jungen Frauen.»

      «Aber die sind nich alle jestern nich nach Hause jekomm», konstatierte Galgenberg und ließ sich in den Besuchersessel fallen, der ein bedrohliches Quietschen von sich gab. «Brauchta Öl, oder fällta bald auseinander?»

      «Beides! Der ist nur für schlanke Besucherinnen konstruiert, Kollege.»

      Galgenberg grinste schief, sagte aber nichts. «Wat is nu? Soll ick jemanden hinschicken, damit wir mehr erfahren und vielleicht sojar een Photo kriejen?»

      Kappe suchte auf dem Blatt die Anschrift von Frau Martha Ebeling, die die Meldung gemacht hatte. «Ich übernehme das selbst! Es liegt praktisch direkt auf meinem Heimweg.»

      «Heimweech klingt jut. Ick mach ooch Feierahmt für heute. Frau und Kinder rufen.» Galgenberg seufzte, erhob sich und blieb dabei beinahe in Kappes Besuchersessel stecken.

      «Vielleicht solltest du nach Hause laufen, Gustav. Bisschen Bewegung! Sonst musst du dir beim nächsten Mal einen eigenen Sessel mitbringen, falls

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