Unschuldsengel. Petra A. Bauer
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Читать онлайн книгу Unschuldsengel - Petra A. Bauer страница 6
«Männer!» Charlotte nahm die Freundin in den Arm und drückte sie fest. «Uff die kannste dich doch nie verlassen. Nimm meinen Konrad! Der verschwindet öfter mal für ein paar Tage, so wie jetzt, und dann sagt er nicht, wohin er geht. Ich kann das schlucken oder so lange nachfragen, bis er irgendwann gar nich mehr wiederkommt. Also kannste dir ja denken, wofür ich mich entscheide.»
«Klar kann ick det! Aber wofür is det jut? Wieso machen wir uns zum Hampelmann, und die Mannsbilder können sich reineweg allet erlauben?»
«Das ist der Lauf der Welt, Minchen! Da wirst du nichts dran ändern und ich auch nicht. Wir können bloß zusehen, dass wir das Beste draus machen.» Charlotte goss den letzten Schluck Sekt in Minas Glas. «Apropos machen: Was willst du jetzt machen? Wie soll es weitergehen mit dir? Bleibst du in Berlin? Wovon willst du leben? Du kannst gerne ’ne Weile bei mir wohnen, aber viel Platz ist hier nicht, das siehst du ja selbst. Und wenn Konrad hier angebraust kommt…» Charlotte sprach nicht weiter, aber Mina wusste ohnehin, dass sie dann stören würde.
«Ick wollte mir ’ne Arbeitsstelle suchen und ’n möbliertes Zimmer. Oder ’ne Mädchenkammer. Vielleicht komm ick ja bei ’ner Familie unter.»
«Warte mal!» Charlotte holte eine Berliner Abendzeitung aus dem Korb neben dem Ofen. «Damit wollte ich zwar Feuer machen, aber vielleicht ist die ja noch zu was anderem nütze.» Sie reichte Mina die Zeitung. Zwei Studenten bei Autorennen auf Avus getötet stand auf der Titelseite. «Die ist schon ein Weilchen alt, aber Probieren geht über Studieren.»
Mina schlug die Seite mit den Stellenanzeigen auf und überflog die Angebote.
Hauptsächlich Männer wurden gesucht für Bauarbeiten und für die Fabrik. Hin und wieder mal eine Näherin, doch Nähen war nicht ihre Stärke.
Mina wollte der Mut schon sinken, als Charlotte plötzlich auf eine der Annoncen deutete. «Hier! Die Mudrack-Eiswerkesuchen eine Reinemachefrau.»
«Da steht keine Telefonnummer. Bloß: Am Schäfersee. Wo is det denn?»
«Das ist noch ein ganzes Stück von hier. Der Schäfersee liegt in Reinickendorf. Da hat mal eine Tante von mir gewohnt. Ich war da als Kind sogar baden. Ich habe neulich gehört, dass sie jetzt einen Park drum herum anlegen. Fahr doch einfach mal vorbei, und melde dich auf das Inserat! Vielleicht ist die Stelle ja noch nicht besetzt, oder sie haben eine andere Arbeit für dich.»
«Hoffentlich! Ick kann einfach nicht zurück nach Bückchen. Wenn ick Siegfried noch mal sehe, ick weeß nich, wat ick mit dem mache.» Mina ließ sich gegen die Sofalehne plumpsen. «Mir nimmt doch ooch keena mehr, nachdem det mit Siegfried und mir rausjekomm is.»
«Habt ihr das nicht ein bisschen diskreter hinbekommen?» «Du kennst doch meene Brüder! Friedrich hat uns mal jesehn.
Ausjerechnet, wo mir der Siegfried hinter ’ner Hecke jeküsst hat. Kannste dir wohl denken, dat der det rumerzählt hat.»
«Friedrich hatte es ja schon immer faustdick hinter den Ohren», pflichtete Charlotte ihr bei.
«Von Jefühle hat der noch nüscht jehört.»Mina dachte an den Tag zurück, als alle beim Essen saßen und der Jüngste plötzlich zu grinsen anfing.
«Der feine Schnösel hat unsere Mina jeküsst!»
Es war bei Familie Kowalewski streng untersagt, während der Mahlzeiten zu sprechen, weil einst eine Großtante sich deswegen am Essen verschluckt hatte und erstickt war. So hatte denn Klein Friedrichs Nachricht bei Tisch auch wie eine doppelte Bombe eingeschlagen. Einfach los reden – und dann noch so eine Botschaft! Mina hatte zwar krampfhaft auf ihren Suppenteller gestarrt, doch der Vater hatte darauf bestanden, dass sie ihn ansah.
Eigentlich war er ein gütiger Mann. Mina hatte ihm oft angesehen, wie er darunter litt, dass er nicht so streng zu seinen Kindern war, wie man es von einem Familienoberhaupt erwarten konnte. Doch er liebte seine Sprösslinge zu sehr, als dass er die entsprechende Härte an den Tag gelegt hätte.
An jenem Tage aber bedachte er Mina mit einem Blick, der ihr Angst einjagte. Die Mutter hatte ihr später zu verstehen gegeben, dass es einzig die Sorge um das Wohlergehen seiner Tochter war, die den Vater so hatte schauen lassen.
«Ist das wahr, Wilhelmina?», hatte er gefragt und war dabei ganz ruhig geblieben.
Sie nickte und versuchte, eine Erklärung anzubringen, die jedoch mit einer einzigen Handbewegung unterbunden wurde.
«Ich bin sehr enttäuscht», sagte Vater nur und löffelte seine Suppe weiter.
Mina hatte eine Strafe erwartet, Gebrüll, vielleicht Schläge. Irgendeine Art der Zurechtweisung. Die Stille war schlimmer. Ihre sieben anwesenden Geschwister – August war ja tot, und Lieselotte hatte nach Senftenberg geheiratet – starrten ebenfalls angestrengt in ihre Suppenteller, wagten es nach einem Weilchen jedoch, untereinander zu wispern.
«Still!» Vaters Hand donnerte auf den Tisch und ließ die Teller tanzen, so dass die Suppe schwappte.
«Wir sprechen uns noch!», zischte Mina Friedrich zu, als sie später die Teller abräumte.
Friedrich hatte die Warnung verstanden und ging Mina in der folgenden Zeit aus dem Weg.
Mutter hatte Mina hinterher beiseite genommen und ihr eine lange Standpauke gehalten, deren Inhalt sich auf einen Satz reduzieren ließ: Ehrbare Töchter poussieren nicht mit jungen Männern!
Währenddessen fuhrwerkte sie mit dem Geschirr im Spülstein herum und schrubbte es so fest, dass Mina glaubte, die Teller würden jeden Moment in Stücke brechen.
«Und dann noch so eener!», rief Mutter plötzlich aus, als hätte sich Mina einen Landstreicher zum Geliebten erkoren. «Wat gloobste denn, was passiert? Der vergnücht sich mit dir, und heiraten tut er ’ne andere. Die dürfen sich doch ja nich unter ihrem Stand vaehelichen. Biste denn völlich blind vor Liebe, Minchen?»
Da war die Härte der Liebe gewichen, und Mina hatte sich an Mutterns Busen wiedergefunden.
Mina seufzte. «Mir wär det ooch lieber jewesen, wenn det nich alle jemerkt hätten. Aber meene Jeschwister konnten ja den Mund nich halten und haben erzählt, wat an dem Abend bei uns zu Hause los jewesen is. Und ick fürchte, uff die Art haben es ooch Siegfrieds Eltern erfahren.»
Charlotte zog die Hausschuhe aus und legte die Füße auf das Sofa. «Hat er denen denn vorher nüscht von seinen Absichten erzählt?»
Mina stieß ein resigniertes Schnaufen aus. «Er wollte ’nen jeeigneten Zeitpunkt abwarten. Sein Vater wollte ihn mit ’ner Cousine verkuppeln, und er wollte sagen: ‹Vater, ich liebe eine andere, und das kannst du mir im Leben nicht ausreden!›» Mina verstellte dabei ihre Stimme. «Er hat mir sojaa vorjespielt, wie er ihm det sagen wollte. Wenn et nich so traurich wäre, könnte ick heute drüber lachen.»
«Und am Ende hat er gar nichts gesagt, stimmt’s?»
«Ick war ja nich dabei. Aber viel kannet nich jewesen sein. Er hat danach drei Tage jebraucht, bis er uffjetaucht is, um mir