Unschuldsengel. Petra A. Bauer
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Читать онлайн книгу Unschuldsengel - Petra A. Bauer страница 5
«Darf ich mich erbieten, sie Ihnen zurück ins Haar zu stecken?», hatte der junge Mann freundlich gefragt.
Und da hatte Mina endlich ihre große Klappe wiedergefunden. «Ick weeß ja nich mal, wie Sie heißen. Wat macht denn dit für ’n Eindruck, wenn mir ’n fremder Mann an die Haare jeht?»
Der Unbekannte hatte ein zerknirschtes Gesicht gemacht und Mina die Hand gereicht. «Wie töricht von mir! Ich wollte Ihren guten Ruf sicher nicht beschmutzen. Plath ist mein Name, Siegfried Plath.»
«Wilhelmina Kowalewski», hatte Mina artig erwidert und einen Knicks angedeutet, weil sie nicht ganz sicher gewesen war, ob sich das in ihrem Alter einem Mann gegenüber schickte. So oft hatte sie zu solchen Begegnungen nicht die Gelegenheit.
Siegfried Plath hatte danach Anstalten gemacht, ihr die Spange zurückzugeben, aber der junge Mann hatte ihr ja vom ersten Moment an gefallen, und so drehte sie ihm den Rücken zu. «Machen Se ruhig! Nu kenn’ wa uns ja.»
Es hatte sich wie ein ganzer Ameisenstaat an ihrem Hinterkopf angefühlt, als Siegfried behutsam die Spange zwischen ihre kastanienbraunen Locken schob und dort befestigte. Mina hatte die Augen geschlossen und lächelte. Allerdings hatte sich dieses Lächeln in ein freches Grinsen verwandelt, als Siegfried verkündete, er wären un mehr fertig.
«Det ham Se wohl schon öfter jemacht, so geschickt, wie det jing.» Genüsslich hatte sie Siegfried Plath dabei betrachtet, wie seine Ohren sich leicht ins Rötliche zu verfärben begannen.
«Bitte, denken Sie nicht schlecht von mir! Ich habe eine jüngere Schwester. Der habe ich oft beim Frisieren geholfen», erklärte er.
«Jüngere Schwestern hab ick ooch jenuch», sagte Mina und dachte unmittelbar danach, dass es dumm war, so etwas zu sagen. Sie sollte sich nicht gleich als Mitglied einer kinderreichen und damit armen Familie zu erkennen geben!
Doch der junge Mann hatte diesbezüglich entweder keine Vorurteile, oder er war noch immer zu nervös, um zu begreifen, was sie gerade gesagt hatte. «Halten Sie mich bitte nicht für unverschämt!» Siegfried Plath knetete seine Hände und sah eine Weile zu lange auf seine Schuhspitzen, bevor er Mina wieder ins Gesicht schauen konnte. «Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Sie dereinst wiedersehen könnte.»
An Mina hatte noch nie jemand Worte wie dereinst gerichtet, aber es hätte ihr auch genügt zu wissen, dass der Fabrikantensohn Siegfried Plath sie offenbar wieder zusehen wünschte.
«He, dich kenn ich doch!»
Mina schrak aus ihren Tagträumen hoch. Adrenalin durchströmte ihren Körper, und sie griff sich unwillkürlich ans Herz. «Hast du mir erschreckt! Meine Jüte!»
«Tut mir leid, das wollte ich nicht.» Charlotte Burgschweiger sah allerdings kein bisschen schuldbewusst aus. «Was machst du denn hier in der großen Stadt?»
«Und wat machst du hier, wo de doch ja nich mehr hier wohnst?», fragte hingegen Mina.
«Ich hab in der alten Wohnung meine Lieblingsbluse vergessen. Die wollte ich mir holen.»
«Die is nicht zufällich rosa?»
«Doch, genau!»
«Dann vergiss sie besser!», sagte Mina. «Sie hat eine andere Besitzerin gefunden.»
«Och, hat die olle Schrapnelle sich mein bestes Stück unter den Nagel gerissen?» Charlotte zog einen Flunsch. «Aber nun sag doch mal: Was machste denn hier? Und vor allem, wo willste hin?»
Anstelle einer Antwort brach Mina in Tränen aus. Sie konnte nichts dagegen tun, ihre Tränendrüsen gaben einfach frei, was sich in der letzten Zeit angesammelt hatte. Und das war mehr Flüssigkeit, als die Spree hinab floss.
«Minchen, was ist los?»
Mina hatte den Eindruck, dass Charlotte für einen Moment irritiert war. Doch die Freundin war schon immer eine Frau der Tat gewesen. Mina fand sich plötzlich in deren Armen wieder.
«Du hast gar keine Bleibe, was?»
Mina schüttelte den Kopf.
«Pass mal auf, ich nehm dich mit zu mir! Bin sowieso grad wieder für ein paar Tage allein in der Wohnung.»
Mina sah sie dankbar an. Was für ein unverschämtes Glück, dass Charlotte ausgerechnet heute ihre Bluse holen wollte!
«Hier haste ’n Taschentuch. Trockne erst mal die Tränen! Die Leute gucken ja schon. Am Ende denken die noch, ich hätte dir was angetan. Dann kommste mit einkaufen, und beim Abendessen erzählste mir dann alles der Reihe nach. Ich stell dir auch ’nen Eimer hin für die Tränen, die noch kommen.»
Mina musste wider Willen lächeln.
Charlotte mochte sich zwar in einigen Bereichen verändert haben – zum Beispiel waren ihre langen rotbraunen Haare einem modischen Bubikopf gewichen –, aber im Grunde war sie ganz die Alte geblieben.
«Ach, Lotteken, du bist so jut zu mir», schluchzte Mina, während sie sich tapfer die Tränen wegwischte. «Wird schon jehn!»
Juli 1908
Die Angst in den Augen des Jungen rührte ihn nicht. «Drehwurm» hatte er mit ihm spielen wollen, also hatte er den Steppke an der linken Hand und am linken Fuß gepackt und ihn im Kreis gedreht, wie es größere Kinder beim Spielen öfter mit kleineren taten oder Väter mit ihren Söhnen. Anfangs hatte der Junge in einer Mischung aus Freude und Nervenkitzel gekichert. Sicher spürte er ein Kribbeln im Bauch. Doch der Große drehte sich schneller und schneller. Das Gewicht des Jungen zerrte zunehmend an seinen Armen, und das Lachen des Kleinen verstummte, wich angsterfülltem Schreien. Als er richtig panisch wurde, ließ der Große los. Zwar war die Erde weich, doch die Fliehkraft schleuderte das Kerlchen bis an einen Baum, der seinen Aufprall an der Schulter unsanft stoppte. Begleitet von der Kakophonie des Weinkrampfes, der der kleinen Kehle entströmte, machte der Ältere sich pfeifend auf den Weg. So also fühlte es sich an, wenn man die Macht besaß. Er begann, seine Eltern zu verstehen.
DREI
MINA spürte die Wirkung des Alkohols schon.
Charlotte hatte zur Feier des Tages eine Flasche Sekt organisiert. «Damit du auf andere Gedanken kommst», hatte sie gesagt.
Aber das funktionierte nicht. Vielmehr löste das Prickelwasser Minas Zunge, und sie erzählte Charlotte von Anfang bis Ende, was geschehen war. «Heiraten wollte er mir. Det war ernst jemeint, det weeß ick. Deshalb hab ick ja ooch …». Mina nahm noch einen Schluck, um das Geständnis ein wenig hinauszuzögern. «Deshalb war ick ja ooch im Bett mit ihm.»
Mina hatte erwartet, dass ihre Freundin entsetzt wäre, doch die war komplett unbeeindruckt. «War’s denn wenigstens schön?»
Mina zögerte, bevor sie antwortete. «Wunderschön!