Verschwiegene Wasser. Stephan Hähnel

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Verschwiegene Wasser - Stephan Hähnel

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Polizei hatte den Bereich am Märkischen Ufer weiträumig abgesperrt und Stellwände errichtet, um die Schaulustigen fernzuhalten. Einzelne Gaffer hielten dennoch ihre Handys in die Höhe und fotografierten. Einem Fotografen der Boulevardpresse war es sogar gelungen – vermutlich gegen ein kleines Entgelt –, sich Zutritt zu einem der Häuser am Ufer zu verschaffen. Seelenruhig stand er am Fenster im oberen Stockwerk und machte Aufnahmen.

      Taucher hatten die unbekleidete Leiche geborgen und auf das Deck der Spreeschnuppe gelegt. Zweifelsfrei handelte es sich um eine junge Frau. Die Spurensicherung hatte die Leine gelöst, die um den Körper geschnürt gewesen war. Zusammen mit dem betagten Schöpfeimer und einem Feldstein, der zur Beschwerung in den Eimer gepresst worden war, wurde die Tote zur Untersuchung ins Labor gebracht.

      Kriminalhauptkommissar Hans Morgenstern wartete am Uferweg und verfolgte die Arbeiten. Gerd Füllgrabe, Chef der Spurensicherung und praktizierender Pedant, untersuchte das Seil. Er schien fündig geworden zu sein. Ein kurzer Fingerzeig, und der Polizeifotograf machte von der Entdeckung Bilder. Beide waren ein eingeschworenes Team, das seit ewigen Zeiten zusammenarbeitete. Selbst von der Straße aus konnte Morgenstern erkennen, dass die Leiche mit hoher Wahrscheinlichkeit nur eine Nacht im Wasser gelegen hatte. Genaueres würde Sonja Bubka, die Rechtsmedizinerin, herausfinden.

      Erneut schaute Morgenstern zu dem Paparazzo, der geschickt das Objektiv der Kamera gegen ein anderes austauschte und seinen verständnislosen Blick mit einem Feixen quittierte. Es ärgerte Morgenstern, mit welcher Selbstverständlichkeit sich der Kerl über ihre Bemühungen, die Würde des Opfers zu schützen, hinwegsetzte. Kopfschüttelnd richtete er den Blick wieder auf die Arbeit seiner Kollegen. Hannes Gärtner, der Polizeifotograf des LKA, korrigierte die Einstellungen an seiner Kamera. Er ließ sich Zeit. Das Klicken der Blende war zu hören. Ein bedächtiger Ton, der anzeigte, dass ein einzelnes Foto gemacht wurde, kein automatisches Surren für eine ganze Serie von Bildern, denen allen eines gemeinsam war: Sie verpassten regelmäßig den richtigen Moment.

      »Drehen Sie den Körper auf die rechte Seite. Ich brauche Fotos von der Schulterpartie.«

      Ein junger Beamter tat, um was er gebeten wurde, und verzog dabei keine Miene. War es Selbstbeherrschung oder jene Art von Abgestumpftheit, zu der seine Arbeit führte? Morgenstern entschied, dem Mann ein hohes Maß an Selbstkontrolle zuzusprechen.

      Der Polizeifotograf nahm eine Reihe von Bildern auf. Er wusste, worauf es ankam. »Danke, ich bin fertig.« Sorgsam betrachtete Gärtner noch einmal die Leiche und versicherte sich, dass er nichts übersehen hatte. Bedächtigen Schrittes stieg er die Stufen, die zur Straße führten, nach oben. Er schaute Morgenstern prüfend an. »Soll ich ihn abschießen?«

      »Wie bitte?«, erkundigte sich Morgenstern, weil er glaubte, sich verhört zu haben.

      Statt eine Antwort zu geben, zielte Gärtner mit der Kamera auf den Paparazzo im ersten Stock. Ein paarmal klickte der Apparat und löste eine Salve von Bildern aus. »Typen wie der sind die voyeuristischen Augen einer sensationshungrigen Gesellschaft. Egal, welch hehrem Anspruch Fotografen zu folgen vorgeben, letztendlich füttern sie die Bedürfnisse der Neugierigen. Sehen Sie es ihm nach! Voyeurismus ist ein Menschenrecht, oder?«

      Morgenstern wusste darauf keine Antwort.

      »Die Fotos der Leiche haben Sie in einer Stunde auf Ihrem Schreibtisch.«

      Wie lange Gärtner schon für das LKA arbeitete, hätte Morgenstern nicht sagen können. Sie kannten einander, hatten aber nie Vertrautheit aufgebaut. Genau genommen, kannte er nur dessen Fotos. Bilder, die menschliche Abgründe in allen Facetten dokumentierten. Vielleicht lag es an der Perfektion der Aufnahmen, dass Morgenstern und Gärtner nie mehr als drei Sätze wechselten.

      Klausen hielt sich hilflos am Ende des Stegs auf. Er schien unter Schock zu stehen, riss sich aber zusammen und beantwortete die ihm gestellten Fragen. Er war eine beeindruckende Erscheinung, groß gewachsen, kräftig und von der Sonne braun gebrannt. Kriminalkommissar Bruno Biondi, Computerspezialist und bestangezogener Mitarbeiter der Mordkommission, der unablässig auf der Suche nach einem passenden Partner war und jede Gelegenheit nutzte, um auf sich aufmerksam zu machen, erfasste routiniert die Daten. Aus Erfahrung wusste Morgenstern, wie wichtig es war, Zeugen sofort zu vernehmen, um zu vermeiden, dass unterschwellige Wertungen die Aussagen beeinflussten.

      Als Biondi seinen Chef bemerkte, winkte er kurz und machte eine Bewegung, als wischte er hektisch über eine imaginäre Scheibe. Morgenstern stieg die Stufen hinab, ging an das Ende des Stegs und stellte sich zu ihm und Klausen.

      »Ich reinige das Deck routinemäßig jeden Morgen«, erklärte Klausen und beobachtete, wie Biondi die Aussage auf seinem Tablet erfasste.

      »Ist es üblich, Wasser aus der Spree zu nehmen?«, erkundigte sich Morgenstern. Er deutete auf den Eimer, den die Spurensicherung in einen Plastikbeutel verpackt hatte. Dann ergänzte er: »Hans Morgenstern, Kriminalhauptkommissar. Ich zeichne für die Ermittlungen verantwortlich.«

      Ein schneller Blick auf den Ausweis genügte Klausen, bevor er antwortete: »Das ist gang und gäbe. Wasser ist Mangelware auf einem Schiff.«

      Biondi, der ein untrügliches Gespür dafür zu haben schien, welcher Tatort welche Garderobe verlangte, notierte auch diese Information. Stilsicher hatte er nach dem Aufstehen eine blaue Hose, die passenden Sneakers sowie ein blau-weiß gestreiftes Hemd gewählt, das, hochgekrempelt, seine sonnengebräunten Arme vorteilhaft präsentierte. Für Morgenstern ein Rätsel, kam doch die Meldung über die entdeckte Leiche im Historischen Hafen, als Biondi im Büro vor dem Computer saß. Schon des Öfteren hatte Morgenstern den Kollegen ehrenhalber in den Kreis der Verdächtigen aufgenommen, weil der in Kleidung erschienen war, die auf den Mordfall abgestimmt zu sein schien. Den obligatorischen Kommentar verkniff sich Morgenstern. Stattdessen stellte er Klausen die nächste Frage: »Ist Ihnen gestern oder heute früh etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

      Klausen überlegte kurz und griff dann in seine Hosentasche. Er zog das Freundschaftsband heraus und betrachtete es erneut. »Das habe ich an Bord gefunden. Scheint gestern jemand verloren zu haben. Allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, dass einer meiner Passagiere so etwas getragen hat.«

      Biondi holte eine Beweismitteltüte aus seiner Tasche und ließ das Band darin verschwinden. Dabei machte er ein Gesicht, als entsorge er einen schweren modischen Fauxpas.

      »Können Sie mir sagen, wie Sie gestern Abend Ihre Zeit verbracht haben?«

      Klausen schaute Morgenstern mit einem resignierenden Blick an, der eine tiefsitzende Verbitterung nicht zu kaschieren vermochte. Er hatte die Frage erwartet. »Ich war allein in meiner Wohnung. Niemand hat mich gesehen. Keine Anrufe. Keine Zeugen.«

      Morgenstern, dem die Anspannung des Kapitäns der Spreeschnuppe nicht entgangen war, fragte instinktiv: »Ist Ihnen die Tote bekannt?«

      Klausen rieb sich unsicher die Hände. Während er kräftig ausatmete, nickte er müde und ließ dabei die Schultern hängen.

      Morgenstern und Biondi wechselten erstaunte Blicke. Mit dieser Reaktion hatte keiner von beiden gerechnet.

      »Ihr Name ist Sina Rogatz. Eine ehemalige Studierende von mir. Wir hatten ein …«, er hielt kurz inne, »… ein Missverständnis miteinander.«

      »Sina Rogatz? Die Adoptivtochter von diesem Immobilienhai?«, fragte Biondi unvermittelt. Als seine Annahme mit einem Nicken bestätigt wurde, atmete er besorgt aus und ließ ein leises Pfeifen hören.

      Dem Leiter der Mordkommission 1 entging das nicht, wusste er doch aus der bisherigen Zusammenarbeit, dass dies

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