Wellenwasser. Reinhard Kessler

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Wellenwasser - Reinhard Kessler

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      „Ich fühle mich ertappt.”

      Gemütlich schlenderten sie zufrieden zurück zum Parkplatz. Auf der Rückfahrt in die Ferienwohnung fragte Jelato seine Frau: „Rate mal wen ich vorhin in Wismar getroffen habe?”

      „Ach, Mann, es gibt ein paar Milliarden Menschen auf der Welt, ich habe keine Lust, lange zu raten, also sag schon.”

      „Den Gerome.”

      „Welchen Gerome?”

      „Ach, ich habe dir doch mal erzählt. Der schwarze Kollege, der mit der Geschichte mit den Kindern auf dem Spielplatz. Ich bin sicher, ich habe das schon erzählt.”

      „Kann ja sein, aber mir sagt das jetzt nichts.”

      „Gut, dann erzähle ich es halt nochmal. Du vergisst in letzter Zeit sehr viel. Muss ich mir Sorgen um dich machen?”

      „Das musst du gerade sagen. Wer sucht denn in letzter Zeit immer seine Brille, du oder ich? Und jetzt erzähl schon diese Geschichte.”

      „Gut. Also: Gerome ging mal in einem Dorf an einem Spielplatz vorbei und die Kinder bemerkten ihn. Aber nicht abwertend oder rassistisch, sondern einfach so, wie Kinder halt etwas bemerken, was sie nicht so häufig sehen. Er hatte sofort die Anerkennung der Kinder. Sie bewunderten ihn und sagten: „Guck mal, der hat‘s gut, der muss sich nicht waschen“. Die Kinder meinten das durchaus ernst, kein bisschen bösartig. Jemand der sich nicht waschen muss, das ist doch klasse, das will ich auch, so ungefähr. Er realisierte das und anstatt sie zu beschimpfen, wie sie dazu kämen, sich über einen Neger lustig zu machen, dämpfte er ihre Begeisterung und zeigte ihnen seine helleren Handinnenseiten: „Wieso? Ich wasche mich doch.“ Da war er bei ihnen sofort der Grösste, sie erkannten das neidlos an. Ich bin sicher, seitdem haben sie grossen Respekt vor Schwarzen.”

      „Ach die Geschichte. Ja, das hast du schon erzählt, jetzt erinnere ich mich. Du hast damals auch gesagt, dass Kinder, die solche Lehrer hatten, niemals Rassisten werden können. Und was macht dieser Gerome jetzt?”

      „Der ist auch bei der Kripo, hier im Norden irgendwo, muss ihn mal fragen wo.”

      „Sachen gibt’s.”

      „Wir haben uns für morgen mittag im Hafen verabredet, und ich gehe mit ihm vielleicht durch die Stadt oder so. Ist das okay für dich? Wir haben uns solange nicht gesehen.”

      „Das trifft sich sogar gut. Dann mache ich morgen mein Wellness-Programm. Ich habe irgendwo in der Ferienwohnung einen Prospekt gelesen, da trifft sich jeden Tag eine Gruppe am Strand. Gymnastik, Joggen, Walking, immer was anderes.”

      „Das passt ja prima!”

      „Aber was anderes. Du hast vorhin Neger gesagt. Darf man das überhaupt noch, ich meine von wegen pc?”

      „PC – Personal Computer?”

      „Nein, pc, political correctness.”

      „Ah. Gute Frage. War mir auch nicht klar. 40 Jahre lang haben wir das gesagt, ohne an was Böses zu denken. Damals gab es sogar noch den Sarotti-Mohr. Und jetzt wird man nieder gemacht, wenn man das sagt. Man wird ja richtig unsicher. Da habe ich einfach mal den Gerome gefragt.”

      „Und, was hat der gesagt?”

      „Der hat nur den Kopf geschüttelt wegen dem Blödsinn. Neger wäre absolut okay und überhaupt nicht rassistisch, jedenfalls für ihn nicht. Im Gegenteil, der zwanghafte Wahn, das Wort Neger zu vermeiden, führt jetzt zu neuem Rassismus.”

      „Wie das denn?”

      „Diese Zwangsneurose, nur ja nicht rassistisch sein zu wollen, führt dazu, dass nun alle diejenigen diskriminiert und verfolgt werden, die das Wort verwenden. Obwohl die das nicht rassistisch meinen. Jetzt gibt es sogar Fanatiker, die alle möglichen Bücher und Geschichten umschreiben lassen wollen. Zehn kleine Negerlein soll gestrichen werden, Wilhelm Buschs Geschichte Die Rache des Elefanten mit dem Neger und dem Elefanten soll womöglich verboten werden. Da ist zum Beispiel folgende Stelle drin:

       Ein Mohr, aus Bosheit und Pläsier,

       Schiesst auf das Elefantentier.

       Da dreht der Elefant sich um

       Und folgt dem Neger mit Gebrumm.

       Vergebens rennt der böse Mohr,

       Der Elefant fasst ihn beim Ohr.

      Weiter kann ich es nicht mehr. Aber merkst du was? Das grenzt fast an die bekannte Bücherverbrennung, nur jetzt angeblich gut gemeint. Das haben die Braunen früher auch gesagt. Diese Zwangsneurotiker hetzen jetzt gegen alles, was nicht in ihr Rassismus-Antirassismus-Bild passt.”

      „Also vielleicht nur Show und oberflächlich?”

      „Ich fürchte, die meinen das bitterernst und verfolgen jeden Lehrer, der solche Gedichte noch in der Schule behandelt. Aber wie sagt der Dichter:

       Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“

      „Hesse?” „Nein, Heine!” „Das bekannte Palindrom darf der Lehrer dann auch nicht mehr sagen.”

      „Was?”

      „Na der Satz: ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie. Der ist vorwärts und rückwärts gelesen gleich. Jetzt ersetz doch mal Neger durch was angeblich politisch Korrektes, dann funktioniert es nicht mehr. Das ist dann politisch korrekter Mist – hihi, eine neue literarische Kategorie – politisch korrekter Mist.”

      „Also Neger ist okay?”

      „Ja, Neger ist okay, aber nur, wenn man es anständig meint. Das hat Gerome gesagt, und der sollte das wohl besser wissen als wir. Im scharfen Gegensatz allerdings zu Nigger, was ein absolut rassistisches Schimpfwort darstellt, vor allem wegen des geschichtlichen Sklavenhintergrundes.”

      „Und was ist mit Mohrenkopf?”

      „Was soll damit sein. Schmecken gut, die Dinger.”

      „Aber man darf das nicht mehr sagen, oder?”

      „Dann sag halt Negerkuss.”

      „Ist doch auch rassistisch?”

      „Ach was! Was ist mit Berliner? Wiener Würstchen? Lyoner? Amerikaner? Frankfurter? Oder auch sehr verbreitet, der Hamburger. Ist doch alles Quatsch. Da ist nix rassistisch dran. Schmeckt alles gut – oder auch nicht. Egal. Gegen Zigeunerschnitzel haben die Saubermänner auch noch nicht gewettert, das kommt noch. Das wird dann von allen Speisekarten gestrichen. Dann kommt das Jägerschnitzel dran. Am Schluss verbieten diese Pseudo-Demokraten noch den Champagner, weil wir damit Verachtung für diese Gegend und ihre Bewohner ausdrücken würden.”

      „Apropos, wir sollten heute abend eine Flasche köpfen. Was meinst du?”

      „Aber kein Champus. Wir nehmen ein Rotkäppchen!”

      „Gut.”

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