Wellenwasser. Reinhard Kessler

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Wellenwasser - Reinhard Kessler

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Fortsetzung der Sklavenbefreiung.”

      „So ein Quark! Man könnte allerdings Schach auch mit grünen und roten Figuren spielen – wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht oder Halma.”

      „Neulich hat einer gemeint, dass in Zukunft überwacht wird, ob in einem Klavierstück die schwarzen Tasten genau so oft gedrückt werden wie die weissen.”

      „Hihi, ist ja irre. Was da alles an Musikstücken verboten werden müsste. Erinnert mich an Ebony and ivory…”

      „Live together in perfect harmony. Oh, frau kennt die Beatles.”

      „… in der Version von Paul McCartney und Stevie Wonder.”

      „Das waren noch Zeiten. Lange her.”

      „Verdammt lang her, ja. Also diese Leute sind rassistische Antirassisten, weil sie Rassismus unterstellen und Leute, die diese Wörter verwenden, in fast rassistischer Weise diskriminieren.”

      „Kannst auch Klugscheisser dazu sagen.”

      „Lehrer?” „Oberlehrer!”

      „Diskriminieren wir jetzt Lehrer?”

      „Nein. Wir benutzen das Wort Lehrer nur als Synonym für Besserwisser. Motto: der liebe Gott weiss alles, der Lehrer weiss alles besser. Das Wort Lehrer beinhaltet aber keine ethnische Komponente, ist also kein rassistisches Schimpfwort.”

      „Die betreiben ja dann sowas wie Volksverhetzung?”

      „Ja, vielleicht, sie hetzen, und alle anderen sind doofe Rassisten, nur sie, sie sind reinen Gewissens und sauber, und sie hetzen fleissig weiter, aber natürlich nur für das Gute, diese sprachlichen Saubermänner.”

      „Und wenn die recht haben mit ihrer sprachlichen Säuberung?”

      „Dann würde mir das wohl Gerome als erster sagen. Schliesslich ist er ja ein direkt Betroffener.”

      „Stimmt.”

      „Aber siehst du, das Wort sprachliche Säuberung ist auch schon ein deutlicher Hinweis, dass da was nicht gut ist an diesem Antirassismus-Getue bei Sachen, wo gar kein Rassismus im Spiel ist.”

      „Eigentlich kannst du ja auch ganz viele Worte als normales Wort und als Schimpfwort gebrauchen. C’est le ton qui fait la musique.”

      „Oh, man parliert perfekt auswärts, besser frau parliert perfekt auswärts. Aber recht hast du. Man kann doch nicht das Wort ‘Huhn’ verbieten, bloss weil einer es abschätzig verwendet und zu seiner Frau ‘du Huhn’ sagt.”

      „Da hätten wir noch viele Worte aufzuzählen.”

      „Genau wie Neger. Wenn man das anständig meint, dann ist es anständig. Und wenn man das als Schimpfwort verwendet, dann ist es ein Schimpfwort. Die Absicht dahinter zählt.”

      „So meint er das! Da ist doch Sauschwob, was wir bei uns gelegentlich hören, wohl eher und eindeutiger diskriminierend.”

      „Eindeutig – obwohl das Bundesgericht anders entschieden hat. Die Verwendung der Bezeichnung „Sau” in Verbindung mit einer bestimmten Nationalität stellt keine Rassendiskriminierung dar. Es ist kein Angriff auf die Menschenwürde, sagt das Gericht.”

      „Aha.” „Genau wie Tschingg.”

      „Klar, aber das müssen wir wohl erklären. Tschingg nennt man in der Schweiz abschätzig italienisch sprechende Menschen, weil sie oft cinque sagen und oft auch einen Cinquecento fahren.”

      „Rassistisch?”

      „Auf jeden Fall nicht politisch korrekt. Ausser Tschinggeli, das ist nicht so schlimm, das ist fast ein Kosename. Das Bundesgericht unterscheidet zwischen rassistischer Diskriminierung und primitiver, fremdenfeindlich motivierter Ehrverletzung.”

      „Das unterscheidet dann aber auch nur das Gericht. Der Bürger im Alltag differenziert hier wohl eher nicht und verwendet beides mit gleicher Absicht. Man könnte die Meinung vertreten, das Gericht sei weltfremd.”

      „Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass die Worte Sauausländer, Drecksasylant und Scheissjugo von Polizisten verwendet wurden, die man unbedingt frei sprechen wollte.”

      „Ohje, das hat es Gschmäckle, wie der Schwabe sagt. „Mag sein, mag sein.”

      „Ich habe früher auch immer geglaubt, dass Kümmeltürke ein Schimpfwort ist.”

      „Was zum Teil auch stimmt. Aber es handelt sich dabei dann um eine Fehlinterpretation. Mit den Kümmeltürken von Halle waren die Studenten gemeint, nicht etwa türkische Landsleute. Das ist also wie bei Huhn. Es ist Wort und Schimpfwort zugleich, je nachdem wie man es verwendet.”

      „Haha, da fällt mir ein Ausdruck ein, den finde ich klasse. Da können die Sprachputzer dann auch lange hirnen, ob das rassistisch und diskriminierend ist, haha, der ist gut…”

      „Nämlich?”

      „Dänisches Protestschwein!”

      „Das ist aber sicher eine schwere Beleidigung?”

      „Überhaupt nicht. Das ist eine spezielle Züchtung. Der dänischen Minderheit war es früher in Friesland verboten, ihre rot-weisse Landesfahne zu hissen. Da haben die Bauern diese speziellen Schweine gezüchtet, die sind rot und in der Mitte weiss, und diese Schweine haben sie dann in ihren Vorgärten laufen lassen als Ersatz für die Fahne. Deswegen Dänisches Protestschwein.”

      „Das ist ja saulustig!”

      „Im wahrsten Sinne des Wortes.”

      „Die haben wir in Hamburg gesehen, im Zoo, weisst du noch?”

      „Ja, im Hagenbeck, ich erinnere mich.”

      „Siehst du, und vorhin hast du gedacht, Dänisches Protestschwein wäre eine diskriminierende Beleidigung, und was ist es tatsächlich? Saulustig!”

      „Ach, nur noch so nebenbei, die Chinesen nennen uns Europäer Langnasen.”

      „Wer sich darüber aufregt, ist doch selber schuld. Man könnte ja auch drüber lachen.”

      Bei diesem Gespräch, dessen eigentliches Thema menschlicher Anstand und anständige Erziehung war, verging die Zeit wie im Fluge. Sie waren schon etwa in der Mitte der Insel, da bog Jelato spontan ab und sie verbrachten noch einen gemütlichen Abend im Hafen von Kirchdorf. Schliesslich kann man da Fisch essen und gleichzeitig auf’s Hafenbecken rausschauen.

      Nach dem Essen machten sie noch einen Verdauungspaziergang, eine Runde um die historische Kirche, in der sie eine interessante Konstruktion bewunderten. Eine alte Sitzheizung. Praktische Sache, das, speziell im Winter, speziell für ältere Leute.

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