Wellenwasser. Reinhard Kessler

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Wellenwasser - Reinhard Kessler

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und drückt doch viel aus. Es ist eher eine verbindende Geste als eine trennende Aggression. Das müssen wir uns merken, denn es passiert in diesem Buch noch öfters.

      Morgen würden sie also erstmal getrennte Wege gehen. Zusammen nach Wismar fahren, dann getrennt jeder zu seinem Frisör, bei ihm nur schneiden, bei ihr auch färben, dann Einkäufe und so weiter. Sie hatten ja Zeit. Das Meer läuft nicht weg, also hier im Osten jedenfalls nicht.

      Er wollte in eine Buchhandlung, er brauchte noch einen Ferienkrimi und ein paar neue Karten von der Umgebung. Ein Stadtführer wäre auch nicht schlecht. Man lernt doch immer noch was dazu.

      Sie bräuchte etwa 2’000 Ansichtskarten – weiss der Teufel, wem sie wieder alles schreiben will – und Briefmarken. Offensichtlich muss die ganze Welt über ihre neuen Koordinaten informiert werden.

      „Und die Bluse aus dem Outdoorladen bei uns, die gibt es doch hier bestimmt auch.”

      „Da kannst du auch im Karstadt schauen.”

      „Was? Die haben hier auch ein Karstadt?”

      „Nein, Frau. Die anderen haben auch ein Karstadt. Von hier kommt der. Das erste Geschäft wurde 1881 hier in Wismar gegründet.”

      „Man lernt nie aus! Woher weisst du das?”

      „Das steht in dem Reiseführer, den ich mir morgen kaufen werde.”

      „Das muss ich jetzt nicht verstehen, oder?”

      „Nee, das habe ich schon bei unserem letzten Aufenthalt hier gehört.”

      Der nächste Tag war somit grob geplant.

       Dunkle Gestalten und Gerome

      Jelato und seine Frau fuhren also wie besprochen am nächsten Tag morgens zusammen nach Wismar, trennten sich dort und verabredeten sich auf eine bestimmte Zeit später an der Wasserkunst. Wir kommen noch darauf zu sprechen, was das genau ist. Auf jeden Fall ist das ein charakteristischer Punkt, ideal für Verabredungen. Heute heissen solche idealen Treffpunkte auf neudeutsch Meeting-Points. Na dann doch lieber die Wasserkunst. Das klingt doch nach was, irgendwie spektakulär, irgendwie avantgardistisch, kultur-elitär – macht auf jeden Fall einfach mehr her.

      Jelato traf dort in der Nähe zufällig seinen alten Freund Gerome wieder. Gerome, wer ist das überhaupt? Wie kam es zu diesem Treffen? Dazu müssen wir etwas zurück in der Zeit ...

      … früher:

      Gerome und Jelato waren vor gefühlten Millionen Jahren zusammen auf der Polizeischule gewesen und hatten sich dann irgendwie später aus den Augen verloren. Es war viel Zeit inzwischen vergangen.

      Ein einziges mal hatten sie sich in den vergangenen Jahren zufällig in der Schweiz getroffen. Jelato besuchte damals zur Weiterbildung einen Kongress an der Universität in Lausanne mit dem Arbeitstitel „European Meeting of Forensic Science”. Sein Hauptinteresse galt zwei oder auch drei Gebieten, wo er sich mit den neuesten Entwicklungen aus der Welt der Spurensicherung vertraut machen wollte.

      Karli, der Forensiker aus Basel, der, den sie immer Mr. Hmm nannten (warum, erfahren wir später auch noch), hatte ihn auf den Kongress aufmerksam gemacht. Jelato hatte sich das Programm schicken lassen und dann drei Schwerpunkte ausgesucht: Forensic Paint Analysis – Forensic Drug Analysis – Firearms And Gunshot Residues.

      Da könnte er auch als Nicht-Forensiker sicher jede Menge nützlicher Details lernen. Und natürlich Kollegen aus der ganzen Welt kennenlernen. Vor allem mit den Jungs vom FBI hätte er sich doch ganz gerne mal unterhalten, was da so läuft auf der anderen Seite vom grossen Teich.

      Nach dem Mittagessen auf dem Weg zurück zum Vortragssaal fiel ihm ein dunkelhäutiger Kongressbesucher auf. Er kam im Pulk der anderen Zuhörer zur Tür rein und Jelato erkannte ihn sofort. Das war doch Gerome, sein Kumpel aus alten Tagen! Die Überraschung! Da gab es natürlich erstmal eine anständige Begrüssung und die nächste Veranstaltung wurde selbstverständlich geschwänzt, um die genannten alten Zeiten auch entsprechend aufzuwärmen.

      Gerome war englischsprachig, aber er sprach auch exzellent deutsch. Jelato beherrschte im Gegenzug auch ein bisschen englisch, so etwa auf Schulniveau, aber ausreichend. Die Sprache war also noch nie ein Problem gewesen. Nebenbei, die Hautfarbe auch nicht. Ich sage das hier nur, damit das klar ist, denn die beiden pflegten gelegentlich einen robusten Umgangston miteinander und Aussenstehende könnten schon manchmal denken, da wird einer in rassistischer Weise fertig gemacht. Das stimmt aber nicht, das gegenseitige Foppen ist absolut gleichberechtigt und findet, wie man heute so sagt, auf Augenhöhe statt, und das, obwohl sie nicht gleich gross sind.

      Und wie zu erwarten wurde das gegenseitige Gefrotzele von früher nahtlos wieder aufgenommen, so als wäre die Zeit stehen geblieben.

      „Na, schwarzer Mann, du willst wohl hier ein paar Tricks lernen, damit sie dich nicht erwischen, alter Gauner, häh?”

      „Und du, weisser Mann, glaubst du im Ernst, dass du in deinem Alter noch was dazulernen kannst?”

      „Ha, ich habe schon viel gelernt. Zum Beispiel die Bestimmung des Todeszeitpunktes von Mordopfern am Schmatzgeräusch der Maden.”

      „Habe ich auch gehört. Manche Themen sind originell seltsam oder seltsam originell, wie man will.”

      „Erinnert mich an eine andere Arbeit, da haben wir schon als Schüler darüber gelacht: Der Sauerstoffverbrauch des Maikäfers im Rückenflug.”

      „Schutz des Grashalmes vor dem Sensenschnitt.”

      „Ja, ja. Kenne ich. Einfluss des Blitzschlages auf das Wachstum der Eiche und so.”

      „Alles ganz wichtige Beiträge.”

      „Das beste, was ich bei Doktorarbeiten bis jetzt gelesen habe, das war bei einem Mediziner. Thema: Untersuchungen zur optimalen Lochgrösse in Salzstreuern.”

      „Häh?”

      „Ja. Die Mediziner sind doch der Meinung, dass zuviel Salz gesundheitsschädlich ist. Bluthochdruck und so. Und da hat einer untersucht, wie sich der Salzverbrauch in der Kantine über die Lochgrösse von Salzstreuern steuern lässt.”

      „Und was hat Schweinchen Schlau rausgefunden?”

      „Ist das Loch zu gross, kommt zuviel Salz.”

      „Nein.” „Doch.” „Ohh!”

      „Warte, es kommt noch besser. Ist das Loch zu klein, dann ist das noch schlechter.”

      „Wieso das denn?”

      „Weil die Gäste es dann mit der Gabel grösser bohren und es kommt noch mehr Salz.”

      „Nein.” „Doch.” „Ooohh!”

      „Warte, ich bin noch nicht fertig. Er hat schlussendlich auch noch rausgefunden, wie der Salzverbrauch in der Kantine am effizientesten zu senken ist.”

      „Wie?”

      „Der Salzverbrauch ist am niedrigsten, wenn keine Salzstreuer auf dem Tisch stehen.”

      „Nein.”

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