Cantata Bolivia. Manfred Eisner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Cantata Bolivia - Manfred Eisner страница 2

Cantata Bolivia - Manfred Eisner

Скачать книгу

diesem dritten Roman begleiten wir unsere Freunde aus der Kleinstadt Oldenmoor in den Elbmarschen Schleswig-Holsteins in ihr Exil in Bolivien, jenes Land, das sie nach ihrer in letzter Minute noch geglückten, abenteuerlichen Flucht aus den Fängen ihrer nationalsozialistischen Häscher edelmutig aufgenommen hat. Zusammen mit ihnen erleben wir die ersten Begegnungen und die dabei gewonnenen Eindrücke in der für sie bis dahin unbekannten und bizarren, neuen Welt. Viele der geschilderten Begebenheiten haben sich entweder wirklich oder wenigstens so ähnlich abgespielt; einige sind aber auch frei erfunden, um Ihnen die wahren Orte und die Landesszenerie etwas näher zu bringen.

      Nach und nach gelingt unseren Protagonisten, ebenso wie den zahlreichen mit ihnen geflüchteten Immigranten, eine allmähliche Annäherung an die fremde Sprache, die Umgebung und die Einheimischen mit einer ihnen so fremd erscheinenden Kultur. Übrigens sind neben manchen fiktiven auch mehrere Personen, von denen hier die Rede ist, real und aus der damaligen Zeit gegriffen, manche mit imaginärem, andere mit ihrem tatsächlichen Namen. Sollte heute noch jemand von denen am Leben sein, mögen sie ihr Mitwirken in diesem Roman freundlicherweise dem Autor nicht nachtragen.

       1. Ferrocarril Arica – La Paz

      Während Clarissa Keller in der ersten Maihälfte 1940 mit ihren beiden Kleinkindern Oliver und Elisabeth an Bord der MN Conte Biancamano ihrem Kurs mit Ziel Arica in Chile folgt, tobt in Europa und Nordafrika längst der grausame Zweite Weltkrieg. Die infame Rechnung Adolf Hitlers, der zunächst Polen vernichtend geschlagen und besetzt und Anfang des Jahres zur vollständigen Beherrschung Europas aufgerufen hat, scheint aufzugehen. Deutsche Truppen sind bereits am 7. April in Norwegen eingefallen und am 9. April in Dänemark einmarschiert. Am 10. Mai überfällt Hitlers Wehrmacht Belgien, die Niederlande und Luxemburg, die sich einer nach dem anderen wegen der deutschen Übermacht nach kurzen Kämpfen geschlagen geben müssen und kapitulieren. Schließlich beginnt Hitler auch den Blitzkrieg gegen Frankreich. Deutsche Truppen überqueren die bis dahin für unpassierbar gehaltenen Ardennen und sind auch an der Maas nicht mehr aufzuhalten. Die mörderische nationalsozialistische Gewaltwalze rollt über Europa hinweg und Himmlers SS-Schergen verbreiten den Terror unter den Besiegten.

       * * *

      Auch Oldenmoor, die kleine, zwischen Elbmarsch und Geest gelegene schleswig-holsteinische Stadt, bleibt von der Ausbreitung des Krieges nicht unberührt. Zahlreiche Männer, vorwiegend die jüngeren, sind aus dem Stadtbild verschwunden, weil sie von den Streitkräften eingezogen wurden. Der Mangel an Arbeitskräften macht sich bald allseitig deutlich bemerkbar und es werden immer mehr Kriegsgefangene ins Deutsche Reich verschleppt, um die fehlenden Männer zu ersetzen. In dem am Rande Oldenmoors gelegenen „Jammertal“, das vormals vorwiegend von armen Leuten bewohnte Elendsquartier, haben Stadtverwaltung und NSDAP-Ortsgruppe die meisten Bauruinen abgerissen und durch einfachste Baracken ersetzt, die als Notunterkünfte von und für die Zwangsarbeiter errichtet wurden.

       * * *

      Im Büro der Marschländer Backwarenfabrik berät gerade der jetzige Firmenchef und Clarissas Vater, Hans-Peter von Steinberg, mit seinem Geschäftsführer und dem leitenden Bäckermeister die schwierige Lage. Beide Männer, sowohl Thorsten Steenfahrt als auch Heino Tiedemann, haben in diesen Tagen ihren Einzugsbefehl zur Wehrmacht erhalten. Hinnerck Reimers, der treue Fuhrparkmeister, wurde bereits vor zwei Wochen als Mechaniker nach Neumünster zum dortigen Fliegerhorst beordert. Auch einige der jüngeren Bäckergesellen und sogar der junge Bote, Volker Thies, der bisher wegen körperlicher Schwäche vom Militärdienst zurückgestellt wurde, sind eingezogen worden. Es wird eng für die Aufrechterhaltung des ordentlichen Funktionierens der Bäckerei. Da offensichtlich in der ganzen Umgebung Oldenmoors ähnliche Bedingungen herrschen, schlägt der getreue NSDAP-Parteigenosse Tiedemann vor, sich sowohl bei seinem Ortsgruppenleiter Straßner als auch beim Orts-Handwerksführer Voss für die Zuteilung von Ersatz-Arbeitskräften – sprich: ausländischen Kriegsgefangenen – einzusetzen. Hans-Peter hat ein ungutes Gefühl, die in seinen Augen bedauernswerten Opfer und widerrechtlich deportierten Menschen zur Zwangsarbeit in seinem Betrieb beschäftigen zu müssen, aber eine andere Wahl bleibt wohl auch ihm nicht. Er kann sich vorstellen, was sein Schwiegersohn Heiko Keller und dessen Freund Josef Rembowski, die ins Exil gegangenen, eigentlichen Inhaber der Backwarenfabrik, zu einer solchen Maßnahme sagen würden. Mit der deutschen Besetzung Hollands ist allerdings auch die bisherige Deckanschrift des Bäckermeisters van der Merwe in Amsterdam, über die bisher noch ein Briefkontakt mit Heiko und Josef in Bolivien möglich war, verloren gegangen.

       * * *

      Nach der dreiundzwanzigtägigen Schifffahrt von Genua aus – über das Mittelmeer und durch die Enge von Gibraltar, dann über den Atlantischen Ozean sowie durch den Panamakanal und schließlich entlang der Ostküste Südamerikas – gelangt endlich die Conte Biancamano samt den 1.700 Flüchtlingen an Bord heil und mit Glück in die Bucht vor Arica, wo sie in den aufgewühlten hohen Wellen des Pazifischen Ozeans ihren Anker setzt. Das große Schiff ist zu mächtig, um an der viel zu kurzen Pier des kleinen chilenischen Hafens festmachen zu können.

      Heute – es ist der 18. Mai 1940 – ist just der Tag, an dem die kleine Lissy Keller ihren fünften Geburtstag feiert. Während Oliver und Lissy noch im tiefen Schlaf in ihren Kojen versunken sind, ist Clarissa schon beim ersten Morgenlicht, das durch die Bullaugen in die Kabine drang, ganz leise aufgestanden.

      Sie schaut hinaus über das raue Meer und erblickt trotz des hin und her rollenden Schiffes die etwas entfernte Küste, Frachtschiffe, Kräne und die Hafengebäude Aricas. Dann unterzieht sie sich einer schnellen Katzenwäsche – die muss für heute genügen! Nachdem sie sich angezogen hat, packt sie mit gezieltem Griff die restlichen noch im Spind befindlichen Kleidungsstücke in den offen liegenden Handkoffer. Behutsam legt sie die Tageskleidung bereit, die ihre Kinder bei der Ausschiffung anziehen sollen. Darunter auch ein neues Kleid, eine kleine niedliche Puppe und einige Süßigkeiten als Geburtstagsgeschenke.

      Oliver ist währenddessen erwacht und hat die Augen geöffnet. Lautlos beobachtet er das Hin- und Hergehen der Mutter, bis diese bemerkt, dass der Junge wach ist. Mit einem Lächeln geht sie an seine Koje, umschließt ihn mit den Armen und küsst ihn. „Guten Morgen, mein Liebling“, flüstert sie ihm ins Ohr. „Stell dir vor, das Schiff ist endlich angekommen, und heute gehen wir von Bord.“ Erfreut erwidert Oliver die liebevolle Umarmung der Mutter. Diese legt dem Kind den Zeigefinger auf die Lippen: „Pst, mein Schatz, leise! Lass Lissy noch etwas schlafen. Du könntest jetzt aufstehen, dir die Zähne putzen und dich ein wenig waschen. Dann zieh dich an, deine Sachen liegen schon auf dem Stuhl bereit.“

      Während Oliver sich wäscht, packt Clarissa seinen Pyjama in den Koffer. Dann schaut sie zu Elisabeths Koje und bemerkt, dass diese im Begriff ist aufzuwachen. Sie eilt zu ihrem Mädchen, nimmt es in die Arme und küsst es liebevoll. „Herzliche Glückwünsche zu deinem Geburtstag, liebste Lissy! Alles, alles Gute, bleib gesund, mein liebes Kind!“ Auch Oliver ist herbeigeeilt, küsst und beglückwünscht seine Schwester. Besonders erfreut sich Lissy an ihrer neuen kleinen, blonden Puppe und an dem neuen Kleidchen, das Clarissa ihr anzieht. Kurz darauf beklagt sie jedoch, dass irgendetwas sie am Rücken kratzt. Clarissa geht dem nach und entdeckt, dass im Futter des Kleides etwas mit einer winzig kleinen Sicherheitsnadel befestigt ist. Überrascht holt

Скачать книгу