Vom Salz in der Suppe. Manfred Steinert

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Vom Salz in der Suppe - Manfred Steinert

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»Kilometerfressen« angesagt ist, weil man bestimmte Ziele in bestimmter Zeit erreichen musste, (Stichpunkt: Treffpunkt mit Klaus in Genthin) da kam mir in der Höhe von Torgau, als der Tag zur Neige ging und ich mich hätte langsam nach einem Platz zum Zelten umsehen sollen, der Gedanke einer Nachtfahrt. Insbesondere hier die Ufer weitflächig mit großen Bruchsteinen stabilisiert worden waren und somit alles andere als zum Zelten einluden:

      Also wurde noch mal richtig gegessen, die Spritzdecken festgezurrt und ab ging die Post. Eine helle Sternen- und Mondnacht verhieß einigermaßen gute Sicht und als einziges Risiko dachte ich an die Möglichkeit der Kollision mit Ketten von Gierfähren, die sich aber des Nachts ohnehin nicht in Flussmitte befinden würden. Dass es nach ein paar Stunden Fahrt plötzlich stockdunkel wurde und sich ein heftiges Gewitter entlud, das hatte ich nicht auf der Rechnung gehabt. Da das Gewitter urplötzlich losbrach und dazu von heftigem Sturm begleitet wurde, hatte ich nun die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder zu versuchen an Land zu kommen, mit dem Risiko, bei Dunkelheit, Sturm und Wellengang das Boot auf den spitzen Ufersteinen ernsthaft zu beschädigen – oder zu versuchen, das Gewitter im Boot so gut es ging »auszusitzen«, mit dem Risiko, zu kentern. Und das mulmige Gefühl der Blitze wegen, das versuchte ich (erfolgreich) zu verdrängen. Trotzdem, obwohl ein nächtliches Kentern im großen Fluss auch nicht einladend wirkte, es außerdem inzwischen bereits in Strömen goss, entschied ich mich für Letzteres, der Weiterfahrt.

      Und – es ging einigermaßen gut. Das »einigermaßen« bezieht sich dabei nur darauf, dass ich zwar nicht kenterte und mich auch kein Blitz erschlug. Alles andere war jedoch kein Spaß. Denn trotz festgezurrter Spritzdecken saß ich nun bis zum Morgengrauen etliche Zentimeter hoch im Wasser, fror wie ein junger Hund, alle Sachen, einschließlich Ausweis, Geld etc. waren völlig nass. Frierend und hungrig baute ich an der Mündung der Schwarzen Elster nach insgesamt etwa 90 Tageskilometern (sonst auf der Elbe allein im Zweier etwa 30 Kilometer) das nasse Zelt auf, spannte Leinen zum Trocknen meiner Utensilien (für die Geldscheine hatte ich Klammern dabei) – und legte einen Ruhetag ein. Wobei das Wort »Ruhe« auch relativ zu sehen ist, denn ich war, wie später noch so viele Male, auf einer Kuhkoppel gestrandet. Dabei konnte ich feststellen, dass diese eher gemütlich wirkenden Milch- und Fleischlieferanten auch recht neugierig sein können. Doch, nachdem man sich gegenseitig soweit »kennengelernt« hat, dass man vom jeweils anderen nichts Böses zu erwarten hat, kann man sich arrangieren.

      Nach dem erwähnten schönen Auwald ab Wittenberg, irgendwo nach Dessau, ereignete sich eine weitere, der weiter oben erwähnten Ausnahmen. Und war die Nachtfahrt noch auf eigene Entscheidung zurückzuführen, kam die folgende Ausnahme völlig unverhofft:

      Da war ich zwischen zwei Buhnen an einem aus meiner Sicht schönem Strand an Land gegangen, ohne dem aufgewühlten Sand neben mir besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Das wäre fast ins Auge gegangen. War ich doch (wieder mal) auf einem Truppenübungsplatz gelandet und gerade in dieser Nacht war wohl eine Elbüberquerung mit Schwimmpanzern angesagt gewesen. Wie groß war mein Schreck als ich des Nachts durch mächtiges Gebrumm geweckt wurde, schlaftrunken aus dem Zelt schaute und nur ein paar Meter neben mir die dunklen Ungetüme, aus der Elbe kommend, die Böschuung hinauf brummten. Die Soldaten in den Panzern, egal ob NVA oder Sowjetarmee – das hab ich in der Dunkelheit nicht erkennen können – die hätten in der Nacht niemals mein kleines olivgrünes Zelt bemerken können. Das wärs dann gewesen und es hätte nicht mal für eine Schlagzeile in der Zeitung gereicht, weil derartige Unfälle geflissentlich unter der Decke gehalten wurden. Die Nacht war somit natürlich gelaufen. Nachdem der Pulsschlag sich wieder normalisiert hatte, blieb ich nicht nur solange neben dem Zelt sitzen, bis sich das Panzergedröhn verzogen hatte, sondern bis es begann hell zu werden. Auch dann war nichts mehr mit Schlafen, sondern es wurde gepackt, noch mal die Panzerspuren im Hellen »begutachtet« und dann ging es, nachdenklicher als die Tage zuvor, weiter.

      Noch vor Barby und Schönebeck mündet links die Saale in die Elbe. Ich fuhr die Saale gleich »bergauf« ein paar hundert Meter, um dort auf einer Apfelplantage zu zelten. (Das nächste Frischobst gab’s dann erst wieder in Mecklenburg). Nach Magdeburg mit seinem gewaltigen Dom und dem recht hübschen Tangermünde2 kommt bald jene Stelle, wo es damals als DDR-Paddler absolut nicht mehr weiterging: Die innerdeutsche Grenze, die wohl damals am schärfsten bewachte Grenze in der Welt. Natürlich wäre ich die Elbe gerne weiter gefahren, doch das lag außerhalb jeglichen Vorstellungsvermögens.

      Also würde es nun bald von der Elbe in die Havel gehen.

      Welche »Abschiedszeremonien« da die Elbe mit meinem Boot zelebrierte, das zählte zweifellos zum Thema Ausnahmen, obgleich es dabei nicht ums Leben, jedoch um das jähe Ende der Fahrt gegangen war. Etwa in Höhe der Havelmündung, wo ich ja bald in diesen Fluss abbiegen würde, wollte mir die Elbe offenbar zeigen, dass auch ihr der Abschied von mir schwerfiel:

      Beim morgendlichen Packen am letzten Platz an der Elbe in einer idyllischen Buhnennische (etwa gegenüber des Dorfes Werben) und ohne spürbare Strömung und Wind, hatte ich die Bootsleine des bereits im Wasser liegenden und schon weitgehend beladenen Bootes nicht extra festgebunden. Vor dem Start wollte ich hinter dem Damm noch etwas erledigen, was sich später im engen Boot weniger gut machen würde. Warum eigentlich hinter dem Damm? Niemand weit und breit. Seit dem letzten Großeinkauf vor Tagen hatte ich keinen Menschen gesehen. Na gut, so ist der einigermaßen zivilisierte Mensch eben. Jedenfalls, als ich wieder über den Damm kam, … war kein Boot mehr da. Das trieb in der Ferne auf dem Fluss und war gerade im Begriff hinter einer Kurve zu verschwinden. Da gab es nicht viele Möglichkeiten, außer alles stehen und liegen zu lassen und am Ufer elbeabwärts zu sprinten, was das Zeug hielt. Bis plötzlich … ein toter Wasserarm den weiteren Weg versperrte. Ohne groß zu überlegen, ob das vielleicht auch gefährlich sein könnte oder sinnvoll war, sprang ich somit ins Wasser und schwamm nun meinem Boot hinterher. Dass ich mit der Strömung schwamm, nützte mir dabei gar nichts, denn mein Abstand zum Boot wurde nur um soviel geringer als ich schneller schwamm als das Boot mit der Strömung trieb. Erst später kamen mir Zweifel. Denn klüger wäre gewesen, erstmal nur den toten Arm zu durchschwimmen und an dessen anderem Ufer dann an der Elbe weiterzurennen und so viel schneller wieder in Bootsnähe zu gelangen. So aber, längst war mein Startplatz hinter der Kurve verschwunden, hatte ich den Ausreißer nach geschätzten zwei, drei Kilometer angestrengten Schwimmens endlich ein, ging erst einmal an Land (was zudem noch das gegenüberliegende Ufer war) um mich von meinem »Langstreckenschwimmen« etwas zu erholen. Zum Glück war nicht nur das Gepäck schon im Boot gewesen, sondern auch das Paddel. (Was ich hätte machen können, wenn das Paddel noch nicht im Boot gewesen wäre – dazu fällt mir auch bis heute nichts Gescheites ein). Mühsam, weil nun gegen die Strömung, ging es dann zurück. Schließlich an meinem Startplatz angekommen, um dort die restlichen Utensilien einzusammeln, war der Vormittag gelaufen, mein Tagesplan nicht mehr zu schaffen. Noch ein paar Kilometer stromaufwärts in die Havel, bis wieder eine Kuhkoppel zum Zelten einlud. Na egal, noch mal gut gegangen!

      Und das mit der nicht festgezurrten Bootsleine? Das passierte mir wirklich nicht wieder.

      Und jener überraschende Wasserarm, der das weitere Rennen am Elbufer verhindert hatte?

      Das war die frühere Havelmündung, nun nur ein toter Arm. Denn die Mündung hatte man aus Hochwasserschutzgründen in den fünfziger Jahren künstlich um etwa neun Kilometer elbabwärts (Gnevsdorf) verlegt, so dass Elbe und Havel nun dieses Stück, nur durch einen Damm getrennt, fast parallel nebeneinander flossen. Auch dieser zusätzlichen neun Kilometer wegen (für mich natürlich 18), konnte ich, zusammen mit der verlorenen Zeit meines »Schwimmwettkampfes« in der Elbe, mein ursprüngliches Ziel, das etwa in der Gegend von Rathenow hätte sein sollen, an diesem Tag nicht mehr erreichen. Und anstatt dann am Tag darauf schon in Genthin landen zu können, machte ich notgedrungen bereits am Rand von Havelberg Station. Die Stadt an der Havel wählte ich nur deshalb, weil ich dort einen Bahnhof vermutete, von dem aus ich sicher würde Genthin erreichen können.

      Die Havel, eigentlich ein idealer Wanderfluss, wegen geringer Strömung auch flussaufwärts, hatte (damals) für mich

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