Kunst sehen und verstehen. Sibylle Zambon

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Kunst sehen und verstehen - Sibylle Zambon

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ich dort war, verbrachten sechs Stunden damit, das aufzuschreiben, was der Reiseführer ihnen diktierte. Sie schauten die ganze Zeit so gut wie nie auf die Bilder.“24

       Sie sind gefragt:

      Wie gehen Sie mit dem Bild auf der rechten Seite um? Hier die Hilfestellungen:

      1 Gefallen/​Nichtgefallen

      2 Begründen

      3 Differenzieren

      4 Hauptthema

      5 Details/​genauer Blick

      6 Begleittafel

      Antwort: Nachdem Sie die ersten drei Punkte individuell für sich beantwortet haben, setzen wir unsere Betrachtung mit dem Bildthema fort. Hauptgegenstand ist zweifellos ein Paar. Als weitere Bestandteile erkennt man einen Innenraum, der offenbar ein Schlafzimmer ist, denn auf der rechten Bildseite befindet sich ein Himmelbett ganz in Rot. Im Bildhintergrund steht eine Liege oder eine ebenfalls mit roten Kissen bedeckte Bank. Von der Decke herab ragt ein mehrarmiger Leuchter. Zwischen dem Paar an der Wand im Hintergrund hängt ein runder Spiegel. Auf der linken Bildseite befindet sich ein geöffnetes Fenster. Auf dem Fußboden vor dem Paar steht ein kleiner Hund. Außerdem fallen zwei Paar Schuhe auf, die einen gut sichtbar in der unteren Bildecke, links des Mannes, die anderen von dominanter roter Farbe, etwas im Hintergrund, zwischen dem Paar vor dem Liegebett. Wir stellen fest, dass die Farben Grün, Rot und Braun dominieren und die Szene sehr genau und detailgetreu gemalt ist. Des Weiteren ersehen wir aus der Kleidung des Paares und der Einrichtung des Raumes, dass es sich um eine ältere Darstellung handelt. Je nachdem, wie gut sich jemand in Kostümkunde und Interieurs auskennt, lässt sich sogar das Jahrhundert bestimmen. Die pelzbesetzten Gewänder der Dargestellten, die kunstvolle Fältelung am Kleid der Frau sowie ihre spitzenbesetzte Haube lassen zudem auf begüterte Verhältnisse schließen. Die Einrichtung des Raumes bestätigt diesen Eindruck. Geht man nun ins Detail, erkennt man, dass auf dem Leuchter eine einzige Kerze steckt, die angezündet ist. Zudem wird die ganze Szene vom Spiegel wiedergegeben. Über dem Spiegel ist in verschnörkelten Buchstaben eine Inschrift an die Wand gemalt. Scharfe Augen vermögen die Worte „Johannes de Eyck fuit hic“ (Johannes van Eyck war hier) zu entziffern.

      Abb. 13:

      Wenn Sie dieses Bild im Original an seinem Stammplatz in der National Gallery in London oder als Abbildung in einem Buch sehen, erhalten Sie noch die folgenden Angaben mitgeliefert: >

      Künstler: Jan van Eyck Titel: Die Arnolfini-Hochzeit Datierung: 1434

      Technik: Öl auf Holz

      Größe: 82 x 60 cm

       Standort:

      National Gallery, London

      Was Sie vielleicht schon vermuteten, erschließt sich nun aus der Bildlegende: Es handelt sich um die Darstellung eines Hochzeitspaares, dem Namen nach eines italienischen. Tatsächlich ist es der Spross einer Kaufmanns- und Bankiersfamilie, Giovanni Arnolfini, mit seiner Braut Giovanna Cenami. Vielleicht tippten Sie sogar bei der Datierung ins 15. Jahrhundert richtig. (Hier soll man ruhig auch Spaß am Spiel haben!) Der Name des Künstlers schließlich verweist auf eine nördliche Herkunft, im Falle van Eycks auf das flämische Brügge. Der Maler ist kaum erkennbar im Spiegel zwischen den Eheleuten abgebildet. Was wir aber aus einer Reproduktion nicht erschließen können, ist die Größe eines Bildes. Mit den genannten Maßen von nicht einmal einem Meter Höhe und einer Breite von etwas über einem halben Meter ist das Bild möglicherweise kleiner beziehungsweise größer, als wir es uns vorgestellt hätten.

      Aus der Bildlegende erfährt man also einiges, unter anderem, dass zwischen unserer Gegenwart und dem Entstehungsjahr des Bildes eine Zeitspanne von fast sechshundert Jahren verflossen ist. Dass wir heutigen Betrachter das Bild anders wahrnehmen als ein Mensch des 15. Jahrhunderts, versteht sich von selbst. Es kann denn auch ganz spannend sein, herauszufinden, was ein Zeitgenosse von van Eyck alles in der Arnolfini-Hochzeit „mitgelesen“ haben könnte. Vieles ist uns dank der kunstgeschichtlichen Erforschung der Bildinhalte und der Symbolik auch heute bekannt. Generell können wir davon ausgehen, dass in einem Bild aus dem 15. Jahrhundert jeder Gegenstand, ja, jede Geste eine Bedeutung haben konnte. Einige der wichtigsten seien hier genannt:

Hund: Symbol der Treue
Spiegel: einerseits (Selbst-)Erkenntnis, Wahrheit, andererseits Eitelkeit, Wollust
ausgezogene Schuhe: Betreten von heiligem Boden
Bett: Hochzeitssymbol
Kopfbedeckung: Zeichen der verheirateten Frau
Leuchter/​Kerze: begleitet das Ablegen eines Eides, das allwissende Auge Gottes
Orangen: Symbol der Fruchtbarkeit
Apfel: Symbol des verlorenen Paradieses

      Was machen wir aber mit einem ungegenständlichen Bild der folgenden Art?

      Abb. 14: Mark Rothko, Four Darks in Red (Vier Dunkelheiten in Rot) 1958, Öl auf Leinwand, 2,59 x 2,94 m Whitney Museum of American Art, New York

      Gehen Sie genau gleich vor wie im ersten Beispiel. Stellen Sie sich die Frage, ob Ihnen das Bild gefällt, fragen Sie sich anschließend genauer, was Ihnen gefällt beziehungsweise nicht gefällt. Gehen Sie dann einen Schritt weiter und stellen Sie fest, was Sie sehen. Hier könnte die Antwort folgendermaßen lauten: Ich sehe vier dunkle Flächen/​Streifen auf einem roten Grund. Zwischen jedem Streifen schimmert ein schmaler Streifen des roten Grundes durch. Die drei oberen Flächen erstrecken sich über die gesamte Bildbreite, während die untere von der roten Farbe eingerahmt wird. Der oberste Streifen ist der schmalste. Er ist von dunkelgrüner Farbe. Die folgende Fläche dominiert die anderen durch ihre Größe und ihre dunkle Farbe. Die zwei unteren Streifen haben in etwa den gleichen oliven Farbton, der das Rot des Untergrundes durchscheinen lässt. Geben Sie dem Bild nun einen Titel oder ein Thema. Also etwa „Vier dunkle Flächen auf rotem Grund“ oder „Der schwarze Balken“. Vielleicht erinnern Sie die vier Streifen auch an Dünen, einen Sandstrand und das Meer mit einem Streifen Himmel im Hintergrund. Dann nennen Sie es „Am Meer“ …

      Sie werden merken, dass es gar nicht so einfach ist, dieses an sich schlichte Bild zu beschreiben. Versucht man es trotzdem, wird man gezwungen, genau hinzusehen. Welche Formen sind vorhanden, in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Wie beschreibe ich die Farbtöne, die Nuancen etc.? Diese Fragen schulen unser Auge. Wir haben also durchaus einen Gewinn, wenn wir ein Bild genau betrachten, selbst dann, wenn es uns auf den ersten Blick vielleicht nichts bedeutet.

      Notabene: Hier stößt man allerdings

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