Kunst sehen und verstehen. Sibylle Zambon

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Kunst sehen und verstehen - Sibylle Zambon

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aus dem Neuen gegenüberstellte. Signiert ist das Werk mit den lateinischen Worten QVOD NICOLAVS OPVS VIRDVNENSIS FABRICAVIT (was Nikolaus von Verdun herstellte).

      Erst in der Renaissance erfuhr die Stellung des Künstlers eine grundlegende Änderung. Leonardo da Vinci war Maler, Bildhauer, Architekt, Kunsttheoretiker, Anatom, Ingenieur und Erfinder; Albrecht Dürer Maler, Grafiker, Mathematiker und Kunsttheoretiker. Beide waren also Maler und Wissenschafter und verbanden ihr „Handwerk“ mit theoretischen Erkenntnissen. Sie betrachteten die Malerei nicht mehr als handwerkliche Fertigkeit, sondern betrieben sie als Wissenschaft. Dadurch gewannen sie und ihre Kunst nicht nur ein neues Selbstverständnis, sondern auch an gesellschaftlichem Ansehen.

      Schon eine Generation später kennzeichnete den Maler, Bildhauer und Architekten Michelangelo Buonarroti (1475 – 1564) eine ganz andere Persönlichkeit. Mit seinem ausgeprägten Willen und seiner schöpferischen Kraft, seiner technischen Meisterschaft und dem eigenwilligen Temperament verkörperte er den Künstler-„Typ“ schlechthin. Er war, was man postum auch gerne als Genie bezeichnet, ein Exzentriker im Sinne eines das Normale überragenden Individuums. Als solches schwankte er zwischen Melancholie und Inspiration, Leiden und Schöpferkraft, als einer, der sein Leben ganz der Kunst und die Kunst Gott widmete.

      Abb. 6: Michelangelo Buonarroti Die Erschaffung Adams (Detail aus dem Deckenfresko), 1508 – 1512 Vatikan, Sixtinische Kapelle

      Auch der Norden hatte seine überragenden Meister: Allen voran Peter Paul Rubens und Rembrandt van Rijn. Während der eine weltmännisch von sich sagte, er erachte die ganze Welt als seine Heimat11 (in einer Zeit, als man darunter noch vorwiegend Europa verstand), und nicht nur sein malerisches, sondern auch sein diplomatisches Können in den Dienst der spanischen Krone stellte12, fühlte sich der andere zeitlebens den Armen und Ausgestoßenen verbunden. Während der eine seine Doppelrolle geschäftstüchtig auszunutzen verstand, sah sich der andere am Lebensende mit dem finanziellen Ruin konfrontiert. Während die Kunst von Rubens durch Licht und Farbe besticht, zeichnet sich die Malerei Rembrandts durch dramatisches Hell und Dunkel aus. Eines aber hatten die beiden gemeinsam: In ihren Ateliers gaben sie ihr Wissen an viele Schüler weiter, denn die Lehrtätigkeit war ein wichtiger Bestandteil ihres Künstlerberufes. Diese wurde allerdings erst im Lauf des 17. und 18. Jahrhunderts mit der Gründung von Kunstschulen und Akademien zu einem lukrativen und prestigeträchtigen Amt.

      Ab dem 18. Jahrhundert schlüpfte der Künstler vermehrt in eine neue Rolle. Maler wie William Hogarth (1697 – 1764), der Spanier Francisco de Goya (1746 – 1828), die Franzosen Honoré Daumier (1808 – 1879) und Gustave Courbet (1819 – 1877) wurden zu eigentlichen Gesellschaftskritikern, indem sie in ihren Werken Missstände aufzeigten.

      Hintergrund zum Bild: Nachdem seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die englische Bevölkerung ermutigt worden war, Gin zu brennen und zu verkaufen, um so die Kornpreise und die Exporte in die Kolonien hochzuhalten, zeigten sich ein Jahrhundert später die negativen Auswirkungen im eigenen Lande. Sozialer Abstieg, Verzweiflung und Tod vieler waren die Folgen. Hogarth prangerte mit seinem Kupferstich die desolaten Zustände an und stellte ihnen in einer zweiten Illustration, der Beer Lane, die Alternative eines prosperierenden, auf Bierproduktion gegründeten Alltags gegenüber (vgl. auch Kapitel Genremalerei).

      Abb. 7: William Hogarth Gin Lane

      Solche und ähnliche Bilder entstanden immer häufiger aus dem Mitteilungsbedürfnis der Maler, das mehr und mehr zur treibenden Kraft ihres Schaffens wurde. Während sich der Künstler allmählich von seinen traditionellen Auftraggebern und Mäzenen emanzipierte, gewannen künstlerische Freiheit und Unabhängigkeit die Oberhand über Kunstfertigkeit und naturalistische Darstellung. Ein Prozess, der nicht selten auf Kosten sozialer Anerkennung ging. So zeugen die zu Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts entstehenden „Ismen“, wie Impressionismus oder Symbolismus, von jenem Aufbruch in der Malerei, der von der Gesellschaft vorerst mehrheitlich nicht verstanden wurde und Künstler ins gesellschaftliche Abseits manövrierte. Viele führten deshalb mehr oder weniger freiwillig ein Leben als Bohemiens. Dieses Außenseitertum ging vermehrt mit einer dezidiert antibürgerlichen Haltung einher. Der unverstandene Künstler, der an sich und der Welt leidet, der um seiner Kunst willen Entbehrung und Krankheit auf sich nimmt, der geradezu zum Märtyrer wird, wurde bald zum Inbegriff wahren Künstlertums. Gerade dieses Leben außerhalb der Konventionen scheint den Künstler seit dem 19. Jahrhundert und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zu charakterisieren. Künstlerische, oft auch moralische Freiheit und gesellschaftliche Ungebundenheit garantierten aber noch lange keine Unabhängigkeit. Denn im gleichen Maß, wie sich der Künstler von seinen Auftraggebern löste, wurde er vom freien Markt abhängig.

      Notabene: Der Versuch einer Rückbindung des Künstlers an die Gesellschaft findet sich wieder in den totalitären Regimes des Kommunismus und des Nationalsozialismus. Ersterer betrachtete die Kunst, wie jede andere Arbeit auch, als einen Sektor der Planwirtschaft. Ziel war das Kunstwerk als Produkt einer rationalisierten Gemeinschaftsarbeit unter Einbezug der neuesten technischen Entwicklungen. Stilwille und individueller Ausdruck – die als künstlerische Eitelkeit verpönt waren – wurden dagegen für die Entfremdung zwischen der Kunst und dem Volk verantwortlich gemacht. Es galt das Primat des Inhalts über die Form. Beliebt waren in beiden Ideologien Arbeitersujets.

      Seit Beginn des 20. Jahrhunderts schlossen sich einzelne Künstler vermehrt auch in Gruppen zusammen, um so einer Kunstauffassung mehr Gewicht zu verleihen. Die Brücke, Der Blaue Reiter, De Stijl, aber auch die Dada-Bewegung (vgl. Kapitel Die Moderne) machten ihr Kunstverständnis durch Gemeinschaftsausstellungen oder -veranstaltungen und theoretische Schriften publik. Eine solche Bewegung jüngeren Datums war in den 1960er-Jahren die Fluxus-Bewegung. Diese Kollektivkunstbewegung wollte den Kunstbetrieb anonymisieren und zugunsten des Kollektivs auf das Signieren der Werke verzichten. Hand in Hand mit der Forderung nach Entpersonalisierung des Künstlers ging der Wunsch, das Gefälle zwischen Künstler und Kunstpublikum zu überwinden. Bestrebungen dieser Art finden sich bis heute in der Kunstszene. Mittlerweile zeichnen zahlreiche Künstlerkollektive oder -paare gemeinschaftlich für ihre Werke (Christo und Jeanne Claude, Gilbert & George, Fischli/​Weiss). Nicht selten sind sie auch selber nicht mehr Ausführende ihrer Kunst, sondern lediglich Ideengeber, Konzepter oder, um einen Begriff aus der Wirtschaft zu verwenden, Manager.13

      Die Nähe von Kunst und Wirtschaft hat selbstverständlich auch ihre Wirkung auf die Künstlerlaufbahn. So scheint gegenwärtig der Karriereerfolg in erster Linie von der Marktnische oder vom Trend abzuhängen, die sich Kunstschaffende zunutze machen können. Das heißt, ob es ihnen gelingt, durch etwas ganz Neues oder durch die originelle Umsetzung einer bereits bestehenden Idee auf sich aufmerksam zu machen. Ist ein Künstler dann erst einmal etabliert, wird alles zum Kunstwerk, was den Weg ins Museum schafft oder seine Unterschrift trägt. Was so eine Signatur für eine Bedeutung haben kann, zeigt ein Tagebucheintrag von Andy Warhol vom 8. März 1981:

      Die Anekdote zum Thema: „Wir frühstückten mit Joseph Beuys. Er bestand darauf, dass ich in sein Haus komme und mir sein Atelier anschaue. Ich sollte sehen, wie er lebt, mit ihm Tee trinken und Kuchen essen. Es war sehr nett. Er schenkte mir ein Kunstwerk, das aus zwei Flaschen mit Sprudelwasser bestand. Sie explodierten in meinem Koffer und zerstörten alles, was ich mithatte. Ich kann den Koffer nicht aufmachen, weil ich nicht weiß, ob es sich noch um ein Kunstwerk handelt oder nur um zerbrochene Flaschen. Wenn er nach New York kommt, muss ich ihn dazu bringen, den Koffer zu signieren, denn sonst ist er zu nichts mehr zu gebrauchen.“14

      In

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