Kunst sehen und verstehen. Sibylle Zambon
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Nachdem Sie ein Bild in seiner formalen und allenfalls inhaltlichen Dimension erfasst haben, kann noch ein dritter Schritt folgen. Er betrifft nun die geistige Dimension eines Werkes. Dieser Zugang ist freilich nicht immer gegeben und fordert vom Betrachter Zeit und Muße. Trotzdem kann es sein, dass ein bestimmtes Werk in einer Ausstellung Sie nicht mehr loslässt und Sie zum Verweilen oder mehrmaligen Zurückkehren einlädt. Vielleicht können Sie den Grund dieser Attraktion sofort benennen. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass Sie vorerst nicht in Worte fassen können, was Sie anzieht. Eine solche Faszination könnte man am besten – um nochmals auf das Kommunikationsmodell zurückzukommen – mit nonverbaler Kommunikation vergleichen. Es sind gleichsam unterschwellige oder begleitende, nicht benennbare Bildaspekte, die zu uns sprechen und die einem Bild eine Bedeutung verleihen, die Form und Inhalt übersteigt. Es ist dann, als würde über das Materielle hinaus – und dies ist ganz ohne esoterischen Beigeschmack zu verstehen – der Geist des Malers die Bildatmosphäre durchdringen. Oder wie es der bekannte deutsche Kunsttheoretiker Werner Schmalenbach in seinem ebenso lesens- wie liebenswerten Buch Über die Liebe zur Kunst und die Wahrheit der Bilder formulierte: „In dem, was auf dem Bild passiert, […] ist natürlich Geistiges enthalten.“25 Das löst möglicherweise Fragen nach der Persönlichkeit des Malers, nach seiner Verfassung, nach seiner Motivation aus, die uns sozusagen in Konversation mit dem Werk bringen. Wenn Sie ein Werk derart ausloten, kann es auch hilfreich sein, mit jemandem darüber zu sprechen.
Das Zitat zum Thema: „Das Besondere der Kunsterfahrung ist jedoch, dass Reiz und Reaktion sich gegenseitig beeinflussen und verändern. Mit dem Empfinden wächst auch die Empfindungsfähigkeit, mit dem Sehen das Gespür für das Ansehnliche und mit dem Betrachten die Mündigkeit des Betrachters.“26
Zusammenfassung: Gehen Sie selbstbewusst auf ein Kunstwerk zu und fühlen Sie sich angesprochen! Gehen Sie von Ihrem „ersten Eindruck“ aus und versuchen Sie ihn zu begründen (gefällt mir/gefällt mir nicht, weil …). Machen Sie noch einen Schritt weiter und differenzieren Sie. Wenn Ihnen ein Bild also nicht gefällt, so suchen Sie nun etwas, das Sie trotzdem anspricht und umgekehrt. Und schließlich tragen Sie innerlich zusammen, was Sie sehen, und geben dem Bild einen Titel oder ein Thema. Scheuen Sie sich nicht, ein Werk, das Sie anspricht, weiter auszuloten.
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