Mörderische Bilanz. Christopher Stahl
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mörderische Bilanz - Christopher Stahl страница 3
Normalerweise ist eine Autofahrt durch die Rheinhessische Schweiz ein Vergnügen für das Auge und die Seele. Ein fast fühlbarer Zusammenklang von beruhigenden Sinneseindrücken überwältigt einen, wenn man die Reize der Landschaft auf sich wirken lässt. Auch wenn es ein wenig werbeträchtig erscheinen mag, der oft geprägte Vergleich mit der Toskana ist doch recht treffend: Romantische Weindörfer und Winzerhöfe, stille, verträumte Winkel in denen die Zeit still zu stehen scheint, Gaumenfreuden einer traditionellen Küche und die lebensbejahende, vielleicht auch von den exzellenten Weinen beflügelte Lebensart der Menschen mit ihrer abwechslungsreichen und teilweise absonderlichen Mundart – das alles schafft ein beinahe südländisches Flair.
Aber all das konnte mich an diesem Morgen nicht von meinem schlechten Gefühl abbringen. Zunächst ärgerte ich mich über das, was im Rundfunk über den Mannesmannprozess berichtet wurde. Es gehörte schon immer zu meiner Kanzleiphilosophie, dass für meine Mandanten, die Mitarbeiter und mich Fairness und Rechtsbewusstsein auf einer höchstmöglichen Ebene selbstverständlich sein sollten. So schwer es auch manchmal sein mochte, ich betrachtete das als berufliche und menschliche Herausforderung. Umso mehr verstimmte es mich, als wieder einmal mit Chuzpe elementare ethische Werte auf dem Altar der Selbstgefälligkeit geopfert und damit der Selbstbedienungs- und Ellenbogenmentalität Auftrieb gegeben wurde.
Ein Rechtsanwalt, der aufgrund seiner Anzeige denSkandal ins Rollen gebracht hatte kam zu Wort: „Nach einem sehr emotional geführten und teuren Abwehrkampf gegen die Übernahme, gab man innerhalb von Stunden diesen Widerstand auf. Gleichzeitig wurden alleine an Herrn Esser über 60 Millionen Mark Abfindung gezahlt. Ich denke, da drängt sich doch jedem der Verdacht auf, dass hier eine Käuflichkeit vorgelegen haben könnte.”
Ein wegen Bestechlichkeit angeklagte Manager aus dem Mannesmannvorstand verteidigte seine Handlungen mit der Anmerkung: „Ich stehe zu dem, was ich gemacht habe. Ich finde das gut. In der Schweiz hat jemand gerade einen vergleichbaren Bonus bekommen.”
Wie sollte ich meinen Mandanten bei derartigen Selbstverständnissen Verhaltensnormen im Umgang mit der Steuergesetzgebung, den Banken und den vielen anderen Partnern im unternehmerischen Prozess klar machen, die in ihrem eigenen Interesse notwendig waren. Zum Beispiel, dass sie nicht nur alle ihre Einnahmen ordnungsgemäß zu deklarieren, sondern auch ihre Rechnungen formgerecht zu stellen hatten und zudem tausend weitere zeitintensive Vorgaben beachten sollten, die sie davon abhielten, überhaupt erst einmal einen Umsatz zu tätigen.
Dennoch wich meine Verstimmung sehr schnell dem einlullenden Fatalismus, den die Leipziger Popgruppe „Die Prinzen” in einem ihrer Songs so treffend beschrieben: „Das alles ist Deutschland, das alles sind wir.” Außerdem wurde mein Unmut zusehends überlagert von der Erinnerung an eine Fahrt vor einem halben Jahr, mit dem gleichen Ziel und aus ähnlichem Anlass.
Peter Simonis, ein Berufskollege aus Alzey, hatte anonyme Drohungen erhalten und war dann auch tatsächlich auf entwürdigende Art und Weise umgebracht worden. Erst nach einem weiteren Mord konnten wir die Schuldigen ermitteln: Sabine Ulmer, eine bei ihm angestellte Rechtsanwältin, die, wie es sich im Lauf der Recherchen herausgestellt hatte, zudem seine nichteheliche Tochter war. Das hatte er selbst allerdings erst im Moment seines gewaltsamen Todes erfahren. Ein weiterer Mitarbeiter Simonis‘, der außerdem der Halbbruder der Ulmer war, wurde als Komplize verhaftet. Beide warteten nun auf ihren Prozess, er in der Untersuchungshaft, und sie hatte man aufgrund ihres labilen psychischen Zustandes in dem gesicherten Bereich der Landesnervenklinik in Alzey untergebracht.
Dass man mich bei dieser Geschichte kaltblütig umlegen wollte, hatte ich zwar nicht verdrängt, aber auch immer noch nicht richtig verarbeitet. Wenn, so wie jetzt auf der Fahrt zu Heribert Koman, die alten Bilder wieder vor meinem inneren Auge auftauchten, reagierte mein Körper mit mehr als nur einem leichten Frösteln. Meine Kehle wurde trocken und im Mund hatte ich einen widerlichen, metallenen Geschmack. Adrenalin ließ meinen Blutdruck steigen, als ob die Bedrohung immer noch real wäre.
Ich hatte mehrmals überlegt, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber dann hatte ich stets davon Abstand genommen. Ich meinte, aufgrund der bei mir gegebenen, besonderen Umstände drauf verzichten zu können. Im Gegensatz zu vielen anderen, die eine ähnliche Situation hatten durchleben müssen, war nämlich mein persönliches Umfeld – damit meine ich Sonja und Heribert – ebenfalls unmittelbar in das Geschehen eingebunden. Das heißt, ich konnte mit Menschen darüber sprechen, die mich verstanden. So fühlte ich mich nicht alleine gelassen und Abkapseln und Verdrängung ergaben sich erst gar nicht für mich.
Ich stellte mein Auto auf dem Parkplatz vor der Polizeiinspektion Alzey ab und begab mich in das zweite Obergeschoss. Ich kam durch einen langen, schlauchartigen Flur. Die Wände waren in einem merkwürdig anmutenden Grau-Grün gestrichen und ich fragte mich, ob ein farbenblinder oder ein griesgrämig veranlagter Mensch diese geschmacklose Abtönung ausgesucht hatte. Vielleicht hatte man die Farbe aber auch im Schnäppchenmarkt erworben, nach dem Motto: Geiz ist geil.
Am Ende dieses deprimierenden Flures hatte Heribert sein Büro. „Heribert Koman, Kriminalhauptkommissar” verkündete das glänzend-frische Namensschild rechts neben dem grau lackierten Türrahmen. Als ich ihn das letzte Mal besucht hatte, gab es nur eine Zimmernummer. Ich klopfte an, trat dann aber ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten ein, schließlich hatte Heribert mich herzitiert.
Sein Schreibtisch war mit Aktenstößen überhäuft, aus denen wie zum unbotmäßigen Trotz ein hochmoderner Flachbildschirm wie der berühmte Fels aus der Brandung ragte. Dahinter saß der Kriminalhauptkommissar; neben ihm stützte sich, leicht über ihn gebeugt, eine äußerst reizvolle weibliche Erscheinung auf dem Tisch ab. Ich schätzte sie auf etwa 40 Jahre. Sie hatte halblanges, kastanienbraunes Haar und trug einen farblich kontrastierenden, sportlichen Hosenanzug in einem kräftigen Blau. Er schien wie für sie gemacht und sie wusste ihn – im Gegensatz zu manch anderen in der Öffentlichkeit stehenden Frauen – zu tragen.
Als die beiden mich bemerkten, flogen ihre Köpfe, die sie zuvor wohl zur gemeinsamen Begutachtung eines Dokumentes zusammengesteckt hatten, auseinander. Sie kamen mir vor wie Kinder, die man bei etwas Verbotenem ertappt hatte. Ich musste unwillkürlich grinsen.
Heriberts Kollegin oder Mitarbeiterin (dafür hielt ich sie) fing sich als erste, richtete sich auf und lächelte mich an. „Sie müssen Darius Schäfer sein”, stellte sie voller Überzeugung fest und fügte sogleich als Begründung für Ihre Erkenntnis eine Kurzanalyse hinzu. „Mit dem Düsenjäger durch die Kinderstube, kein Fettnäpfchen auslassend und trotz seiner sichtbar über 50 Lenze auf die Wirkung des kindlichen Charmes vertrauend.” Dann blickte sie erst Heribert und dann wieder mich herausfordernd an, bevor sie uns mit einem „Habe ich Recht?!” die Möglichkeit zu einer Reaktion einräumte.
Wir fühlten uns beide gleichermaßen angesprochen und reagierten daher auch gleichzeitig. Was allerdings dabei herauskam, war die Überlagerung von Heriberts untauglichem Versuch, mich in ein günstigeres Licht zu rücken, und meine gestammelte Entschuldigung – wofür auch immer. Heribert tat dann aber das einzig Richtige: Er stellte uns gegenseitig vor.
„Dagmar, das ist, wie du richtig vermutet hast, Steuerberater und Hobbykriminalist Darius Schäfer. Und das, Darius, ist eine Kollegin aus Mainz, Dagmar Keller.”
„Das mit dem Hobbykriminalisten”, wandte ich mit plötzlich belegter Stimme ein und räusperte mich, „also, das muss man natürlich, äh, ja, differenziert sehen.” Statt einmal im richtigen Moment die Klappe zu halten, bemühte ich mich um eine Aufklärung, die meinen unglücklichen Einstand bei Heriberts Kollegin etwas korrigieren sollte.
„Das, na ja, das war nämlich jedes Mal mehr einer Tugend als einer Not gehorchend. Nein, natürlich umgekehrt, Sie wissen schon, was ich meine.”
Unter