Mörderische Bilanz. Christopher Stahl
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„Ich wusste gar nicht, dass dein Vorname aus dem Spanischen kommt? Eribert klingt ja auch irgendwie melodischer und weniger profan. Dabei dachte ich immer Heribert kommt aus dem Althochdeutschen, hat was mit Heer und Krieger zu tun. Aber jetzt verstehe ich, weshalb mir bei dir ab und zu etwas spanisch vork…”
„Umgekehrt wird ein Schuh draus”, unterbrach er mich heftig. „Die Erklärung ist ganz simpel. Seine Mutter ist Deutsche und sein Vater Palmero. Er hat mir erzählt, dass sie sich Anfang der Siebziger bei einem Aufenthalt auf La Palma in seinen Vater und die Insel verliebte. Sie blieb dort und ein Jahr später kam er zur Welt. Sein Taufpate, der Bruder seiner Mutter, heißt Heribert. Daher der für einen Palmero ungewöhnliche Vorname. Mit dem zweiten Vornamen heißt er übrigens José, den benutzt er aber nicht. Er ist zweisprachig aufgewachsen und spricht daher fließend deutsch, sogar mit rheinischem Akzent.”
„Und was hat das nun mit mir zu tun?”
„Er hat sich gestern Morgen telefonisch direkt mit mir in Verbindung gesetzt und im Laufe des Tages auch über seine vorgesetzte Behörde. Er benötigt meine Hilfe, schnell und daher unbürokratisch.”
„Aber, ich verstehe immer noch nicht.”
„Ich gehe am besten mal der Reihe nach vor. So, wie inzwischen mein Informationsstand durch Heribert und meine eigene Recherchen beim Einwohnermeldeamt und der Steuerberaterkammer ist. Ich habe es bereits chronologisch sortiert.” Heribert nahm seinen kleinen zerfledderten DIN-A 5-Notizblock, mit Ringheftung, der mich immer wieder an Colombo erinnerte. Er blätterte ihn nervös durch und suchte offenkundig den Anfang seiner Aufzeichnungen.
„Da ist es. Am Abend des 19. Septembers 2003 – also, Freitag letzter Woche – wurde die Feuerwehr von Breña Baja abends wegen eines Brandes im Wohnhaus einer Finca oberhalb der Wohnsiedlungen zugewanderter Residente alarmiert. Kennst du die Gegend?”
„Aber ja. Das ist eine kleine Ortschaft, cirka fünf Kilometer südlich der Inselhauptstadt Santa Cruz, nicht weit weg vom Flughafen. Dadurch, dass Breña Baja etwa 300 Meter hoch liegt, hat man von den meisten Grundstücken aus einen herrlichen Blick auf den Atlantik. Bei gutem Wetter kannst du von dort aus sogar den Teide auf Teneriffa erkennen. Dort haben viele Deutsche ihren Dauerwohnsitz, ohne eingebürgert zu sein. Die so genannten Residente, wie du ja schon gesagt hast.”
Heribert machte sich eine kurze Notiz.
„Und? Was war da nun?”, wollte ich weiter wissen.
„Der Brand verursachte nur einen geringen Schaden. Die Feuerwehr ist nicht weit entfernt und wurde offenbarauch unmittelbar nach dem Ausbruch des Feuers alarmiert. So konnte sie zwar die Flammen innerhalb kurzer Zeit unter Kontrolle bringen, aber den Hausbesitzer, einen 69-jährigen Deutschen, namens Conrad Hauprich, fand man tot in seinem Wohnzimmer. Dort wird nach dem ersten Stand der Ermittlungen auch der Brandherd vermutet. Die Leiche befand sich trotzdem noch in einem so guten Zustand, dass bereits der Notarzt, den man aus dem in der Nähe gelegenen Krankenhaus herbeigerufen hatte, erkennen konnte, dass der Tod nicht durch die Verbrennungen oder den Rauch, sondern wahrscheinlich durch mehrere Stichwunden verursacht worden war. Das wurde auch kurz danach von dem Polizeiarzt, der mit der Kripo eingetroffen war, bestätigt.
Heribert Muñoz und der Fiscal …, das scheint wohl der Staatsanwalt zu sein?” Heribert sah mich fragend an.
„Kann sein. So gut sind meine Spanischkenntnisse nun auch wieder nicht”, antwortetet ich gereizt. Ich wusste immer noch nicht, worauf das hinauslaufen sollte.
„Na gut”, fuhr Heribert mit einer beschwichtigenden Handbewegung fort. „Er heißt Feliciano Garcia und leitet jedenfalls die Untersuchung. Man hatte zuerst wegen des Verdachts auf Brandstiftung ermittelt, dann aber die Untersuchung auf ein Tötungsdelikt ausgeweitet.
Der Todeszeitpunkt war übrigens wegen des schnellen Einsatzes ziemlich genau zu ermitteln, plus/minus zehn Minuten.”
Langsam dämmerte es mir, dass vielleicht der Tote der unbekannte Anrufer gewesen war. Aber weshalb sollte er telefonisch Kontakt mit mir aufgenommen haben? Was hatte ich mit ihm zu tun? Und, was mich noch weitaus mehr interessierte, wie hätten Heribert Muñoz oder Heribert Koman das wissen können?
„Jetzt erklär mir doch endlich einmal, was in Dreiteufelsnamen dich dazu bewogen hat, mich zu dieser Sache zu befragen?”
„Gleich weißt du es. Unweit des Hauses, auf dem Tisch einer Sitzgruppe im Garten, lag der aufgeschlagene Kalender von Hauprich. Laut einem Eintrag in seiner Handschrift hat er an diesem Abend einen Besucher erwartet. Die Eintragung war in Deutsch und lautete: 20.30 Uhr, letzter Mandant, E.-B., 250 000. Und jetzt kommst du ins Spiel.”
Den nächsten Satz leitete er mit bedeutsamem Nicken ein. „Neben dem Kalender lag die Inselzeitung von Mitte August. Sie war umgefaltet bei einem Artikel über Hera Simonis. Darin ist unter anderem ein Darius Schäfer, Steuerberater in Bernheim bei Alzey erwähnt. Und dieser Name war dick unterstrichen. Am Rand ist eine Nummer gekritzelt – 0049. Das ist die Vorwahl von Deutschland. Und dann ….”
Er hielt mir seine Notizen hin und deutete auf die Ziffernfolge, die mit einem Bindestrich von der Landesvorwahl getrennt war. „Lies selbst!” Seine Aufforderung klang fast beschwörend.
„Mein Telefonanschluss! Das gibt‘s doch nicht!”
„Doch, siehst du ja. Und jetzt, Darius, bist du dran!” Heribert legte sein Notizbuch zur Seite und lehnte sich zurück.
„Ich bin erst einmal sprachlos”, entgegnete ich und atmete tief durch.
„Das war es wert”, grinste Heribert zufrieden, erkannte jedoch sofort die Unangemessenheit seiner Bemerkung und schwächte sie mit einem entschuldigenden „Sorry, war nicht so gemeint, dafür ist die Angelegenheit zu ernst” ab.
Ich dachte einige Sekunden nach. Hera Simonis! Sie war die Ehefrau des von seinen Mitarbeitern ermordeten Kollegen aus Alzey. Wir hatten im Umfeld der Aufklärung des Mordes mehrere Male miteinander zu tun gehabt. Ihre Ehe hatte an dem Tag aufgehört glücklich zu sein, als ihre kleine Tochter Corinna spurlos aus dem Garten der Großeltern verschwand. Jede Suche nach dem Kind blieb erfolglos. Es hatte auch nie Lösegeldforderung gegeben, so dass eine Entführung schließlich ausgeschlossen wurde. Während ihr Mann über die Jahre hinweg immer mehr verbitterte, wurde Hera Simonis krank.
Man hätte erwartet, dass der grausame Tod von Peter Simonis zu ihrem endgültigen Zusammenbruch führen müsste, aber das Gegenteil war der Fall. In dieser traumatischen Situation war sie über sich hinaus gewachsen und hatte schließlich die Ermittlungsarbeit durch ihre Mithilfe wesentlich beschleunigt.
Beatrice, meine geschiedene Frau, hatte die langjährige Leidensgeschichte der Witwe und ihren Weg in eine lebenswerte Zukunft zum Anlass für eine inzwischen erfolgreiche Sendereihe mit dem Titel „Wer nicht am Abgrund steht, dem wachsen keine Flügel” gemacht. Das hatte ein derartiges Aufsehen erregt, dass man Hera Simonis daraufhin geradezu vermarktet hatte. In Zeitungsartikeln und Talkshows hatte man sie zur Vorbildfigur für Menschen stilisiert, die sich nicht mehr mut- und kampflos ihrem Schicksal ergeben wollten.
„Artikel!”, fuhr es mir durch den Kopf. „Heribert, was ist das für ein Artikel mit Hera Simonis und mir? Wir sollten sie umgehend anrufen oder aufsuchen und nachforschen, ob sie dazu etwas