Mörderische Bilanz. Christopher Stahl
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Nachdem ich wieder in Bernheim angekommen war, verbrachte ich den Rest des Tages damit, in meiner Kartei erfolglos nach ehemaligen Hauprich-Mandanten zu fahnden, ein paar aufschiebbare Termine zu verlegen und mit Carlo die dann noch verbleibenden Angelegenheiten vorzubereiten, damit einer plötzlichen Abreise auch ja nichts im Weg stehen würde.
Was würde ich ohne „kleines, dickes Carlo” nur anfangen? Fast zärtlich nannte ich ihn so bei mir, in Erinnerung an den Spitznamen von Gerd Müller, dem er äußerlich ähnelte. Ich war glücklich einen derart loyalen und kompetenten Nachfolger für meine Kanzlei gefunden zu haben. Bereitwillig hatte er sich mit meinen Vorstellungen über meinen Zeiteinsatz im Büro arrangiert. Denn für ihn stellten sie keine unüberwindbaren Probleme dar.
Wie es seine Art war, saß er mir aufrecht und in gespannter Haltung gegenüber und hörte bedächtig zu. Auf Menschen, die nur vordergründig und oberflächlich mit den Ohren hören, statt alle ihre Sinne einzusetzen, mochteer wie ein phlegmatischer Schweiger wirken, nicht so auf mich. Wie oft in „Gesprächen” mit ihm, genügte bereits der Einsatz seiner Körpersprache und seines mimischen Instrumentariums, um unmissverständliche Signale zu senden.
So auch, als ich ihm den Grund meiner geplanten Abwesenheit erklärte. Wie sich die Bilder gleichen, dachte ich, als er mir bedeutete, ich müsse doch langsam einmal respektieren, dass ich nicht mehr der Jüngste sei. Derartige Eskapaden solle ich doch besser denen überlassen, die dafür ausgebildet und bezahlt würden. Doch trotz aller Skepsis wollte er wissen, ob und wie er mir helfen könne.
„Danke, Carlo”, wehrte ich ab, „es genügt vollauf, dass du hier deine Arbeit machst.”
Am späten Nachmittag rief ich Sonja an. Mehrmals hatte ich nach dem Hörer gegriffen, um ihn sofort wieder aufzulegen und spontan, man könnte auch sagen feige, erst noch eine weitere unaufschiebbar-wichtige Unwichtigkeit zu erledigen. Schließlich blieb mir aber nichts anderes mehr übrig, als endlich den Anruf zu wagen.
Zu meiner Überraschung hatte ich mir unnötige Gedanken über Sonjas Reaktion gemacht. Sie verstand unsere Motivation und bemühte sich, den Sachverhalt objektiv zu betrachten. Auch bot sie sofort an, während meiner Abwesenheit in Bernheim zu wohnen, um sich um die Hunde und Katzen kümmern zu können.
Allerdings hätte sie mich zutiefst desillusioniert, wenn sie nicht abschließend einen ihrer typischen Kommentare losgelassen hätte, die einen stets zu Interpretationen herausforderten. Als ich mich nämlich zum Ende des Gespräches für ihr unvermutetes Verständnis bedankte, antwortete sie: „Nichts zu danken, ich halte es da ganz einfach mit Nietzsche.”
„Gehst du zum Weibe, vergiss die Peitsche nicht?”, lachte ich.
„Oink, oink, sagte das Machoschweinchen! Nein, ich dachte eher an:
Das Glück des Mannes heißt: Ich will.
Das Glück des Weibes heißt: Er will.
Und wenn es denn sein muss, dann ist es deine Entscheidung und ich trage sie mit. Naja, und ich kann‘s ja auch verstehen.” Ich hörte ein Lächeln in ihrer Stimme.
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