»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner Rosenzweig

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»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig

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umgeht. Beate Zschäpe, Mitglied des NSU, steht noch immer vor Gericht. Zehn Menschen haben Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt, ihre beiden ehemaligen Lebensgenossen, getötet. Die Ermittlungsbehörden konnten die drei lange Zeit nicht unschädlich machen. Sie hatten in ihrer Ermittlungsarbeit versagt. Nie wieder darf sich so etwas wiederholen. Nie wieder, schworen sich die Bundesbehörden.

      Doch das sehen die ehemaligen MfS-Mitarbeiter ganz anders. Sie haben ganz klare Vorstellungen: Kleine Terrorgruppen sollen es sein, unauffällig und schlagkräftig. Jeder Anschlag soll detailliert geplant und präzise ausgeführt werden. Viele tote Ausländer nehmen sie gerne in Kauf. Je mehr, desto besser. Ihre Attentate sollen schließlich aufschrecken, sollen die Flüchtlingsströme dazu veranlassen, gar nicht erst nach Deutschland zu kommen. Sie bereiten ihren Plan von langer Hand vor.

      Als dann das europäische Parlament beschließt, dass auch Rumänen und Bulgaren ab Januar 2014 die Möglichkeit der freien Wohnsitzwahl in Westeuropa haben, wird es Zeit endlich zu handeln. Hunderttausende Arbeitslose – so die Befürchtungen mancher Politiker – werden sich voraussichtlich auf den Weg machen, in der Hoffnung in Westeuropa eine Arbeitsstelle zu finden. Sie werden Nutznießer der lokalen Sozialsysteme oder nehmen Einheimischen die Arbeitsplätze weg, so die Befürchtungen vieler. Vielleicht stimmt das in einigen Fällen. Vielleicht auch nicht. Bedenken gehen um, Bedenken werden geschürt. »Wer betrügt fliegt! Wir müssen rechtzeitig etwas gegen diese Schmarotzer unternehmen«, heißt die unausgesprochene Botschaft. »Am besten, wir lassen sie gar nicht erst rein, nach Deutschland. Wir brauchen sie nicht, das Lumpenpack, das faule. Haut ihnen doch gleich auf die Fresse!«

       PROLOG

      Trotz dunkler Vergangenheit war Thomas Keller nie auf dem Radarschirm des Verfassungsschutzes aufgetaucht – bis heute nicht. Eine der vielen desaströsen Peinlichkeiten in der Arbeit der staatlichen Ermittlungsorgane. Gut, er war auch immer äußerst vorsichtig gewesen, bei seinen Kontakten zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. In der Öffentlichkeit ließ er sich nie mit ihnen sehen. Die wenigen persönlichen und kurzen Treffen mit den drei Rechtsextremisten fanden ausschließlich im Geheimen statt, immer draußen an einsamen Orten, Augenzeugen waren sowieso niemals dabei. Telefonieren kam auch nicht infrage. Seinerzeit war er einer der zahlreichen fanatischen Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds, des NSU. Die drei hätten ohne Unterstützung von außen, ohne die Geldspender, die Beschaffer von Ausweispapieren, die Vermittler von konspirativen Wohnungen und die Waffenlieferanten ihre Banküberfälle, Bombenanschläge und Morde niemals alleine ausführen können.

      Zumindest finanziell leistete er in den Anfangsjahren seine bescheidenen Beiträge. Immer in bar. Beate Zschäpe wusste das, aber er hatte keine Sorgen, auch wenn sie gerade vor Gericht stand. Beate würde ihn nie verraten.

      Bis zum Spätherbst 1989 war Thomas Keller ein führendes Mitglied des Ministeriums für Staatssicherheit, doch damals hieß er im wahren Leben noch Hans-Peter Wallner. Als in den großen Städten der damaligen DDR die Bürger auf die Straßen gingen und »Wir sind das Volk« riefen, um gegen das SED-Regime zu demonstrieren, als Ungarn seine Grenzen zum Westen öffnete, war für ihn das Ende seiner geliebten DDR absehbar, und er handelte ohne zu zögern. Der Zufall kam ihm dabei zu Hilfe: Was für ein Glück, dass er den wahren Thomas Keller, den SED-Regimekritiker und SPD-Anhänger aus Ostberlin, Anfang 1986 hinter Schloss und Riegel brachte. Er sah ihm äußerlich verdammt ähnlich – was sein persönliches Interesse an dem Häftling weckte: Er hatte das gleiche Alter – Geburtsjahrgang 1950 – war schlank, einen Meter achtundsiebzig groß, hatte ein ovales Gesicht, selbst seine Art, sich zu bewegen, war nahezu identisch. Die wirklichen Unterschiede waren nicht sonderlich gravierend: Auf der Nase hatte er, im Gegensatz zum richtigen Thomas Keller, einen kleinen Höcker, die Farbe seiner Augen war nicht braun, sondern blau-grau. Der andere war Brillenträger, hatte einen nach hinten gekämmten Kurzhaarschnitt, der an den Schläfen bereits graue Töne annahm. Immer wieder betrachtete Hans-Peter Wallner die Fotos von Thomas Keller und studierte die Vernehmungsprotokolle. Bald kannte er dessen Lebensgeschichte in-und auswendig: einziges Kind von Helga und Thorsten Keller. Die Eltern waren 1984 bei einem schweren Verkehrsunfall verstorben. Ein Wessi-Lkw drückte bei Schnee und Glatteis auf der Transitautobahn ihren Trabi gegen eine Autobahnbrücke. Kellers Onkel war 1950 in die USA ausgewandert und betrieb in Seattle einen gut florierenden Immobilienhandel. Das war’s. Ansonsten hatte Thomas Keller keine weiteren Verwandten. Niemand wartete auf ihn. Er war Single.

      Der Verurteilte saß in Bautzen II, dem Stasi-Knast, in der Lessingstraße in der Ostvorstadt ein. Von 1945 bis 1949 diente Bautzen II – eine Zweigstelle von Bautzen I – der sowjetischen Militärverwaltung als Untersuchungsgefängnis. Im Jahr 1949 übernahm das Justizministerium der DDR die Strafanstalt, bis schließlich 1956 das Ministerium für Staatssicherheit die Kontrolle an sich riss. Auch in Bautzen II demonstrierten die Gefangenen in der Wendezeit gegen das politische System. Hans-Peter Wallner schmiedete schon seit Wochen an seinem Plan. Anfang November 1989 besuchte er Thomas Keller im Gefängnis und erklärte ihm, dass er freigelassen werden würde. Noch heute. Jetzt sofort. Er, Hans-Peter Wallner, habe Anweisungen erhalten, ihn in sein Häuschen nach Berlin-Köpenick zurückzubringen. Der Entlassungsvorgang dauerte eine knappe Stunde. Nachdem die vorbereiteten Entlassungspapiere geprüft, Thomas Kellers Hab und Gut, sein DDR-Ausweis, sein Berliner Hausschlüssel und die sonstigen Dokumente übergeben waren, öffneten sich für die beiden die Gefängnistore und der poltische Gefangene atmete, erstmals seit drei Jahren und zehn Monaten, wieder als freier Mann die Luft dieses kalten und nebeligen Tages. Hans-Peter Wallner öffnete die Beifahrertür seines Dienst-Trabis, wartete, bis der Ex-Gefangene Platz genommen hatte, klemmte sich hinter das Steuer des Wagens und ließ den Motor an. Der spotzte drei Mal, bis er ansprang und blauer Dunst aus dem Auspuff wirbelte. Dann entfernte sich der Kleinwagen mit dem hohen Singsang seines Zweitaktmotors vom Parkplatz vor dem Gefängnis. Danach wurde Hans-Peter Wallner, der sich um die zweifelhaften Erfolge des Ministeriums für Staatssicherheit verdient gemacht hatte, nie wieder gesehen. Er verschwand für immer und ewig von der Bildfläche. Eine Fahndung nach ihm wurde nicht eingeleitet. Die DDR befand sich in einem wirren Auflösungsprozess. Jeder war sich selbst der Nächste und musste sehen wo er blieb.

      *

      Kurz bevor Hans-Peter Wallner und Thomas Keller an diesem 3. November 1989 den Südosten Berlins erreichten, bog der MfS-Mann in ein Waldstück ein. »Muss mal pinkeln«, kommentierte er kurz und knapp. Nach wenigen Minuten stoppte er nahe einer dichten Fichtenschonung. Die beiden Männer stiegen aus und jeder suchte sich einen Baum, um sich zu erleichtern. Als sie ihr Geschäft verrichtet hatten und zum Fahrzeug zurückgingen, trat Hans-Peter Wallner dicht hinter den Freigelassenen. Seine Dienstpistole mit aufgesetztem Schalldämpfer hatte er längst entsichert. Eiskalt und ohne Kommentar schoss er Thomas Keller aus allernächster Nähe in den Hinterkopf. Das Gesicht des Opfers explodierte in einem Schwall aus Blut, Gehirnmasse und Knochensplitter, bevor der leblose Körper lautlos auf dem feuchten Waldboden aufschlug. Der Mann aus dem Ministerium für Staatssicherheit steckte seine Waffe zurück in den Schulterhalfter und sah sich um. Der dünne Pulverrauch verflüchtigte sich rasch. Kein Laut war zu hören. Nur der Wind zerrte an den Baumwipfeln der hohen Lärchen. Der Mörder bückte sich, packte die Leiche an den Füßen und schleifte sie in die nahe Fichtenschonung. Er sah die blutbesudelte Leiche mitleidlos an. Dann holte er einen Spaten aus dem Trabant und begann, in der Nähe eines riesigen Ameisenhaufens Erde auszuheben. Es dauerte drei Stunden, bis er eine genügend tiefe Grube ausgehoben und den Toten in einen schwarzen Plastiksack gezwängt hatte. Er schwitzte, obwohl der Wind nun eisig kühl durch die Waldwege fegte. Kalter Schweiß benetzte seine Stirn. Immer wieder unterbrach er seine Arbeit und lauschte in alle Richtungen. Nachdem er den Leichensack würdelos in das ausgehobene Loch gestoßen hatte, benötigte er zwei weitere Stunden, um das Grab wieder mit Erde zu füllen und notdürftig zu verdichten. Als er dann auch noch Moos und Heidelbeerkraut in die weiche Erde getreten hatte, stieß er mit dem Spaten in den aus Abermillionen Fichtennadeln bestehenden Ameisenhaufen. Die kleinen, roten Insekten – in ihrer Winterruhe gestört – gerieten in helle Aufregung und krabbelten

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