»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner Rosenzweig

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»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig

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nix a Ahnung hat, überreden mitzufahrn, bei so einem Scheißwetter, ich Dolln.«

      Sie erhielt keine Antwort, Margarethe Bauer stierte beleidigt durch das regennasse Fenster in den wolkenverhangenen Himmel hinaus. Mit der Innenfläche ihrer rechten Hand wischte sie ärgerlich über die beschlagene Fensterscheibe. Auf der rechten Seite tauchte in weiter Ferne erstmals die mächtige Veste Coburg auf, welche hoch oben auf einem Hügel trutzig über die Stadt wacht. Den Aufstieg zur Burg, auf den sie sich so gefreut hatte, konnte sie vergessen. Der Regen fiel nach wie vor dünn, aber beständig. Von wegen, in Coburg könnte es etwas schöner sein. Ein Scheißtag, und Kunni gab ihr auch noch die Schuld dafür. Wie ungerecht. In Coburg würde sie sich erst mal ein Kännchen Kaffee und ein großes Stück Zwetschgenkuchen genehmigen, oder vielleicht doch gleich einen Schoppen Frankenwein? Das konnte heute ja noch heiter werden, ständig mit ihrer nörgelnden Freundin im Schlepptau. Verstohlen warf sie einen kurzen Seitenblick auf die Nörglerin.

      Die starrte verbissen auf das Kreuzworträtsel in den Nordbayerischen Nachrichten und kaute auf ihrem Kugelschreiber herum. »Erfinder der Taschenuhr«, grantelte sie vor sich hin. »Mit sieben Buchstaben. Der erste is a H.«

      »Also Kunni, etz schäm dich fei. Dass du als waschechte Fränkin des net wasst! Heinlin. Peter Heinlin. A Nembercher hat die Taschenuhr erfunden.« Retta Bauer erntete nur einen missmutigen Kommentar.

      »Des wär mir scho nu selber eigfalln. Außerdem habbi dich gor net gfracht.« Es dauerte drei Minuten, bis Kunigunde Holzmann die nächste Beleidigung ausstieß: »Alte Dolln. Du mit deim Peter Heinlin! Wenn des stimma tät, dann tät der schmackhafte Speisefisch Karpfln heißen!«

      »Wer is eine alte Dolln?«, gab Retta Bauer schlagfertig zurück, »Du mit deim Spatzenhirn kennst auch bloß den Karpfen. Schon mal was von einer Scholle gehört?«

      »Scholle?«, geiferte Kunni zurück. »Schmackhafter Speisefisch heißts da. A Scholle, die schmeckt doch net!« Obwohl wenig überzeugt, trug Kunni den Namen des bekannten Meeresfisches in ihr Kreuzworträtsel ein, doch der nicht ausgesprochene Burgfrieden zwischen den beiden Witwen dauerte nicht länger als zwei weitere Minuten.

      »Scholle! Heinlin!«, geiferte Kunni noch lauter als zuvor. »Dann müsst die mittelfränkische Regierungsstadt Aisbach haßn, und der Rettich auf bayerisch wär net Radi, sondern Oadi. Du mit deim Heinlin und deiner Scholle! Mei ganzes Kreuzworträtsel hast mer versaut! Nix stimmt mehr!«

      »Peter Henlein!« Betti Brunner in der Sitzreihe gegenüber rief den beiden Witwen den Namen zu. »Der hat die Taschenuhr erfunden.«

      »Siehgstes«, rief die Kunni aus, nachdem sie nochmals einen Blick auf ihr Kreuzworträtsel geworfen hatte, »hätt mei Karpfen doch gstimmt! Wer is etz die alte Dolln?«

      Zehn Minuten später parkte der Fahrer den Bus auf dem Busparkplatz Am Anger, gleich gegenüber vom Rosengarten. Achtundvierzig Röttenbacher Senioren wälzten sich unwillig aus dem Fahrzeug, spannten erneut missmutig ihre Regenschirme auf, zogen die Reißverschlüsse ihrer Jacken und Anoraks hoch und starrten voller Verzweiflung in die dunklen Wolken. Nicht ein Sonnenstrahl ließ sich blicken. Dann machten sie sich seufzend durch die Ketschengasse auf den Weg in Richtung Innenstadt. Bald hatten sich die achtundvierzig in kleinere Grüppchen aufgelöst. Kunni Holzmann und Retta Bauer hatten Georg Nützel, seine Frau Maria sowie Daggi Weber und die nach Röttenbach zugezogene Bremerin Cordula Siefenbrink im Gefolge. Zusammen brachten sie es auf durchschnittlich stolze fünfundsiebzig Lebensjahre. Es dauerte, bis sie auf dem nahezu menschenleeren Marktplatz standen, dessen Pflaster trostlos nass glänzte. Erneut starrten sie hoffnungslos in den grauen Himmel. »Und nun?«, wollte die Bremerin Cordula Siefenbrink wissen.

      »Und nun, und nun?«, äffte sie Kunigunde Holzmann nach. »Ihr Preußn seit auch meistens recht hilflos, wenns a wenig kritisch wird, gell? Etz suchn wir uns ein Café, wo wir ein Stück Tortn oder einen Obstkuchn kriegen, oder hat jemand von euch noch Lust durch den Regen zu dabbn? Also, ich net!«

      »Zum Stadtcafé ist es nicht weit«, merkte Daggi Weber an, welche sich in Coburg etwas auskannte.

      »Etz trifft mich doch gleich der Schlag!« Georg Nützel war es, den natürlich nicht der Schlag traf, sondern der angestrengt zum historischen Coburger Rathaus hinüberstarrte. »Dees is doch die junge Türkin, die in Röttenbach in der Amselstraß wohnt? Wie heißts jetzt widder?«

      »Akgül Özkan oder so ähnlich«, antwortete seine Frau Maria, »und der junge Bursch ist der Walter Fuchs, der Fuchsn Gerda ihr Bu, aus der Waldstraß.

      »Ich hab gmant, dem sei Freundin ist die junge Kunstmann aus der Erlanger Straß?«, steuerte Margarethe Bauer neugierig ihren Kommentar bei.

      »Eben, deswegn glotz ich ja so bleed«, versuchte Georg Nützel zu erklären, »bevor mich doch noch der Schlag trifft.«

      »Schau dir bloß die türkische Schnalln an«, wusste Daggi Weber zu berichten, »wie die sich an den Walter dranhängt! Das wenn die Doris Kunstmann wissen tät …!«

      »Das wenn der Vadder von der Türkin wissen tät!«, dachte Kunigunde Holzmann laut nach. »Schaut nur hin, wie die mitnander rumknutschn!«

      »Schee«, gab die Retta zurück. »Ach, ist des scho lang her.”

      »Bei dir scho, du alte Zuchtl”, merkte die Kunni giftig an, »schau halt amol in Spiegel nei. Nix wie Faltn. Tiefer als der Nembercher Burggraben. Heinlin, Scholle«, stänkerte sie immer noch herum und würdigte ihre Freundin keines Blickes mehr.

       3

      Nicht nur den Röttenbacher Senioren versaute der Regen an diesem 25. August 2013 die Stimmung. Auch der Röttenbacher Neubürger Bernd Auerbach, seine Freundin Anna Wollschläger und ihre Umzugshelfer waren nicht gerade in bester Stimmung. Während die Röttenbacher Senioren mit aufgespannten Regenschirmen missmutig durch den Coburger Regen stapften, war der Umzug von Hoyerswerda, im Landkreis Bautzen, nach Röttenbach noch voll im Gang. Gleich hinter der Brauerei Sauer war ein zweistöckiges Wohnhaus frei geworden. Der Eigentümer war vor drei Wochen mit seiner thailändischen Freundin in ihre Heimat ausgewandert und hatte dem fränkischen Dorf den Rücken gekehrt. Das Anwesen selbst war vormals ein Bauernhof gewesen, hatte einen großen, gepflasterten Hof und eine große Scheune, welche quer zum Wohnhaus stand.

      Bernd Auerbach trieb seine Freunde und Bekannten, die ihm beim Umzug halfen, zur Eile an. Er war schon sehr gespannt, wie sich er und seine Freundin hier im tiefsten Mittelfranken einleben würden. Andererseits, schlimmer als in seiner Heimatstadt konnte es auch nicht werden.

      »Do gennsde bleede wärn«, kommentierte einer der sächsischen Umzugshelfer. Seine Füße steckten in hohen, schwarzen Springerstiefeln, und von seinem glatt rasierten Schädel rannen ihm kleine Rinnsale in den dunklen Hemdkragen. Bernd Auerbach war stinksauer als er in seinem Neonazi-Outfit hier in Röttenbach ankam. »Das nächste Mal ziehst du dir zumindest normale Kleidung an«, herrschte er ihn an. »Da machdor eiorn Dregg alleene«, erhielt er zur Antwort. Die Möbel des Schlafzimmers lagen noch in Einzelteile zerlegt auf der Ladefläche des MAN-Kastenwagens, und Anna Wollschläger war seit Stunden in der Küche damit beschäftigt, Gläser, Geschirr und Besteck zu spülen, um die neue Bleibe möglichst schnell wohngerecht einzurichten. Überall standen noch Kartons mit Klamotten herum, und die Lampen waren auch noch nicht montiert. Der Glatzkopf stand im Hof, drehte Däumchen und rauchte eine Zigarette. »Moch die Gusch zu un glodds nedd su bleede«, fuhr er einen seiner Kollegen an, der gerade dabei war, ein Nachtkästchen ins Haus zu tragen. »Scheiß Räschn«, fluchte er vor sich hin.

      Bernd Auerbach hatte

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