Stimmen des Yukon. Birte-Nadine Neubauer
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Der Regen hatte ein wenig nachgelassen und so entschied sie sich nun zu guter Letzt den ›Fish Lake‹ aufzusuchen. Sie sah den See schon von weitem in der Ferne liegen. Soweit das Auge reichte, erstreckte er sich Blauschwarz in südlicher Richtung. Der See war umgeben von Bergen, deren Gipfel bis zur Hälfte mit dicken aschgrauen Regenwolken verhangen waren. Das Ausmaß der Berge war daher nicht wirklich einzuschätzen. Die Oberfläche des Sees schien seiden weich zu sein und nur die feinen Regentropfen rissen selbige immer wieder kurz auseinander. Julie stand da und genoss für einen Augenblick die Aussicht und das sich ihr darbietende Schauspiel des reinen Elementes, bevor sie sich wieder auf den Rückweg zur Lodge machte.
Triefnass vom kurz zuvor wieder heftig einsetzenden Regen betrat Julie die Lodge, als Trudy gerade in der Küche eine große Kanne mit Tee kochte. »Hallo Julie, komm herein, du kommst gerade richtig. Ian wird auch gleich da sein und dann können wir gemeinsam einen Tee trinken.«
Julie begrüßte Trudy ebenso und erkundigte sich, ob sie denn ihre Vorbereitungen hatte alle erledigen können. Währenddessen entledigte sie sich ihrer nassen Regenkleidung.
»Ja, ich habe alles hinbekommen. Ging doch wieder zügiger, als ich gedacht habe. Ach, übrigens haben sich kurzfristig für heute Abend zwei Frauen einer Reiseagentur gemeldet, die einen Bericht für ihr Reisejournal über unsere Ranch schreiben möchten. Ian wird sie mit den Pferden auf den Berg dort drüben führen. Von dort aus hat man eine schöne Aussicht und ich denke, das wird den beiden gefallen.« Dabei zeigte sie mit dem Finger aus dem Fenster und wies in Richtung einer der nahe gelegenen Berge.
»Die Wolken hängen sehr tief«, merkte Julie an, während sie versuchte, ihre zerzauste Frisur etwas zu richten.
Gemeinsam setzten sie sich zunächst an den Tisch.
Trudy goss herrlich nach Früchten duftenden Tee in ihre Tassen. Sie wusste sofort, was Julie damit sagen wollte. »Hier kann man nie wissen, wie das Wetter wird. Regnet es in einem Moment, kann es eine Stunde später schon wieder strahlenden Sonnenschein geben. Von daher lassen wir uns einfach überraschen, was wir am Abend für ein Wetter bekommen. Ian wird dich bestimmt mitnehmen. Ich denke auch, dass er ein gutes Pferd für dich ausgesucht hat.«
Julie unterbrach Trudy: »Apropos Pferd, ich habe weit und breit um die Lodge kein Pferd gesehen. Wo sind die Pferde denn untergebracht?«
»Ah, gut, du hast dich also schon ein wenig umgesehen. Nun, wenn wir keine Gäste auf der Ranch haben, die zum Reiten hier sind, lassen wir die Pferde einfach in der gesamten Umgebung laufen. In der Nähe gibt es eine gute Weidemöglichkeit für sie. Vermutlich halten sie sich dort auf. Ansonsten holen wir die Reitpferde oder Packpferde, die wir brauchen, auf die Ranch und bringen sie auf dem Paddock und der eingezäunten Weide hier gleich ums Eck unter. Sie sollen ihre Freiheit genießen, wenn möglich, und außerdem laufen sie nie weit weg. Sie halten sich immer in einem bestimmten Radius zur Ranch auf. Sie wissen ja auch, dass sie hier ihr Heu und Kraftfutter bekommen. Ian wird, denke ich, jetzt gerade noch unterwegs sein, um die Pferde für den Ausritt am frühen Abend zu holen.«
Julie gefiel die unkomplizierte, offene Art von Trudy. Es schien, als würden sie sich schon eine ganze Weile kennen. Obwohl sie noch nicht einmal einen ganzen Tag hier war, fühle sie sich dadurch schon fast heimisch und sie war sehr erleichtert darüber.
»Warst du auch schon bei den Hunden?«, fragte Trudy nach einer kurzen Pause.
»Ja, ich habe sie schon von weitem gehört. Ich musste nur ihrem Jaulen und Bellen folgen. Ich war überwältigt, wie viele es sind. Wie viele sind es denn eigentlich?«
»Hm …«, überlegte Trudy, indem sie grüblerisch ihre Stirn in Falten legte. »Wenn ich ehrlich bin, weiß ich die genaue Zahl auch nicht. Da musst du später Ian, Adam oder Jocelyne fragen, wenn du es genau wissen möchtest. Die drei beschäftigen sich am meisten mit den Hunden. Aber es dürften ungefähr hundertfünfzig sein. Im Winter haben wir ziemlich viele Touristen, die entweder für ein paar Stunden, einen oder mehrere Tage hier sind, um Hundeschlitten zu fahren.«
Julie dachte gerade daran, wie wunderbar es wohl sein musste, eigens einen Hundeschlitten zu führen. Sie war bisher erst einmal in den Genuss einer Hundeschlittenfahrt gekommen, als sie in Whistler eine zweistündige Tour mitgemacht hatte. Allerdings saß sie da im Schlitten und wurde von einem Musher, der hinten auf den Kufen stand, durch die Winterlandschaft gefahren. Sie war damals so überwältigt und fasziniert gewesen, dass sie dies eines Tages unbedingt selbst machen wollte. Den eigenen Hundeschlitten führen! Hier also im Yukon sollte ein weiterer ihrer Träume in Erfüllung gehen.
»Ich habe unten am Hundeplatz einen jungen Mann gesehen, der Futter für die Hunde gehackt hat. Ich wollte ihn nicht stören. Ist er auch ein Musher?«, fragte Julie neugierig.
»Das wird wohl Adam gewesen sein. Er kommt eigentlich aus dem Osten Kanadas und ist dort Musher. Er kam hierher, um zu sehen und zu überlegen, ob die Arbeit mit den Pferden etwas für ihn sein könnte. Aber seine Leidenschaft sind eben die Hunde und so kümmert er sich auch um sie. Er ist sehr einfühlsam und macht einen guten Job. Ich hoffe, er wird sich entscheiden hier zu bleiben. Er wird Ian und dich gelegentlich mit den Pferden begleiten, da er die Gegend auch noch besser kennenlernen möchte.«
In dem Moment, als Trudy fertig gesprochen hatte, sah Julie wie ein sehr großer Mann um die Lodge ging, die Veranda betrat und dann zur Türe hereinkam. »Das muss er sein!«, schoss es ihr in den Sinn.
Trudy schloss sogleich jeglichen Zweifel aus: »Hey Ian, da bist du ja. Wir haben uns schon Tee eingeschenkt. Das hier ist Julie.«
Julie stand auf und trat Ian entgegen. »Meine Güte, was für ein Bär von Mann!«, waren ihre ersten Gedanken. Ian war locker zwei Köpfe größer als sie. Sie zählte zwar nicht gerade zu den kleinsten Frauen, aber im Vergleich zu ihm kam sie sich nun doch ziemlich schmächtig und klein vor. »Hallo Ian, es freut mich sehr, dich kennenzulernen!«
Ein kurzes »Hey, mich auch!« war seine Antwort. Dabei lag ein so sympathisches Lächeln auf seinen Lippen, dass Julie ihn sofort ins Herz schloss. Es schien, als könne sie auf Anhieb die Sanftmut, die Warmherzigkeit und die Güte, welche seine leuchtend blauen Augen wiederspiegelten, in ihm erkennen. Außerdem rief sein Auftreten im Gesamten bei Julie sofort Sympathie hervor.
Als Ian die Lodge betreten hatte, hatte er als erstes seine Mütze abgenommen. Darunter kam sein halblanges dunkelblondes Haar, das nun völlig zerzaust in sämtliche Richtungen stand, hervor. Dies allerdings schien ihn nicht im Geringsten zu interessieren. Während er nun nach der Begrüßung zum Küchenschrank ging, um sich eine Tasse herauszunehmen, fiel Julie sein schlurfender Gang auf. Etwas schwerfällig und mit einer Gemütsruhe durchquerte er den Raum. Dabei spitzte er beim Atmen hochkonzentriert seine Lippen, so dass es den Anschein machte, als würde er auf eine Art Pfeifen.
»Hast du die Pferde geholt?«, fragte ihn Trudy.
»Ja, das habe ich.«
»Waren sie unten auf der großen Weide?«
»Ja.« Und wieder nur eine kurze Antwort seinerseits.
Es kam Julie so vor, als ob Ian kein Mann vieler Worte war und dennoch ließ ihn das nicht weniger liebenswert erscheinen. Im Gegenteil. Auch dies gefiel Julie gleich an ihm. Sie wusste, dass es genug Menschen gab, die mit vielen imposanten Worten viel heiße Luft um nichts machen konnten, und so war ihr Ian auf jeden Fall lieber.
Ian