Dr Crime und die Meister der bösen Träume. Lucas Bahl
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„Sofort?“ In dir?, fügte ich in Gedanken hinzu.
„Sofort.“
„Kein Problem. Ich räum‘ nur noch das Tablett weg.“
Schließlich will ich bei meinen Kommis, insbesondere den weiblichen, die auf so was Wert legen, nicht den Eindruck eines unverbesserlichen Messies hinterlassen.
Wie bereits angedeutet, war das Gesicht zur Stimme eine Enttäuschung, aber dafür stimmten die Bedingungen des Jobs. Ich hatte ja keine Ahnung, dass man als Dauer-Doktorand, noch dazu eingeschrieben an der geisteswissenschaftlichen Hungerkünstler-Fakultät der SFU, derart fürstlich entlohnt werden kann.
Zur Terminabstimmung hätten sie mich eigentlich gar nicht gebraucht, denn nach Eingabe meiner Matrikel-Nummer hatte die umwerfende Stimme zum ernüchternden Äußeren sofort sämtliche Seminare und Vorlesungen auf dem Schirm – einschließlich all jener Veranstaltungen, die ich im Verlauf meiner akademischen Karriere geschwänzt hatte. Problemlos konnte sie meine künftigen Arbeitszeiten im Institut drum herum legen. Drumrum liegen, dumm herumliegen. Das ist für einen halb gebackenen Literaturwissenschaftler wie mich erstaunlich unelegant formuliert, aber (tä tä!) es passt, wie die berühmte Faust ins blaue Äugelein oder mein kleiner Walter in die Muschi einer willigen Schnalle. Denn man muss ja von berufsbedingten Schlafphasen sprechen.
Das mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit kam erst etwas später.
„Sie werden Traumprotokolle führen müssen“, sagte die Stimme, „aber das wird Ihnen Professor Meltendonck noch genauer erläutern. Jedenfalls gehören die Protokolle mit zur Arbeitsbeschreibung. Sehen Sie, das steht hier in Ihrem Arbeitsvertrag.“
Sie zeigte auf eine Passage Kleingedrucktes, die ich ähnlich zur Kenntnis nahm, wie das Anklicken der AGBs bei Online-Versendern.
„Muss ich mit meinem Blut unterschreiben?“, fragte ich.
Der dünnlippige blasse Mund zur umwerfenden Stimme lächelte gequält. Ich überlegte: Sollte ich je in die Verlegenheit kommen, eine Retrocompany zu gründen, die Telefonsex für Audiophile anbietet, würde ich sie abwerben.
Die Assistentin oder Sekretärin oder was auch immer ihre genaue Funktion war, wollte mir ihren Kuli reichen. Doch ich zückte schwungvoll den erst gestern geklauten schwarz-silbernen Diabolo-Griffel von Cartier und setzte meinen Leo unter den Vertrag.
Der Diebstahl des sündteuren Schreibgeräts mit dem zu solcher Unverfrorenheit passenden Namen versetzte mich immer noch in Hochstimmung. Jetzt brauchte ich das Ding so schnell nicht für zwei, drei lächerliche Hunnis weit unter Wert verticken. Neu kostet das Teil im Fachhandel immerhin stilvolle 666 Euronen …
Dr Crıme:
Statt der Traumprotokolle hat Leon Walter pünktlich zum Einstieg im Institut mit klassischen Tagebuchaufzeichnungen begonnen. Allerdings nur in den seltensten Fällen handschriftlich mit dem geklauten Edelschreibgerät namens Diabolo notiert, sondern in ein stinknormales Word-Dokument in sein Notebook getippt.
Nb.: Die Tatsache, dass Leon zu den Nutzern von Windows, kurz den Windioten zählt, sagt eigentlich schon alles …
Leon:
Ich will ja nicht mäkeln. „Glück ist selten vollkommen. Und wenn es uns vollkommen erscheint, dann hat sich meist ein dichter Schleier vor unsere Augen gelegt. Die Vernebelungstaktik endogener Drogen.
Dopamin-, Serotonin- oder Endorphin-Räusche führen zu wahrhaft paradoxen Erscheinungen. Sie fokussieren unsere Wahrnehmung passenderweise auf das, was wir sehen wollen und als gut und schön empfinden und blenden alle (unter normalen Bedingungen offensichtlichen) Mängel großzügig aus.“
Na? Wie war das?
Ich denke, mit meinem schlauen Gelaber könnte ich auch im gut verkäuflichen Glücksbuchratgeber-Segment eine erfolgreiche Karriere starten. Aber natürlich nur unter Pseudonym, selbstredend einem weiblichen. Ein Face-Double sollte nicht schwer zu finden sein. Wie wär’s mit Waltraud Leoni? Oder gibt’s die etwa schon?
Wo war ich stehen geblieben?
Ach ja, die Unvollkommenheit. Als ich tags darauf neben der stimmlich überwältigenden, aber visuell eher bescheidenen Sekretärin auch die hochberühmte Frau Professor Dr. Lucia Meltendonck höchst persönlich kennenlernte, drehte sich die ganze Angelegenheit um 180 Grad. Frau Professors Stimme war – um es freundlich auszudrücken – in ihrer kaum beherrschbar-durchdringenden Art nur eingeschränkt erträglich, während sie stattdessen für ihre reifen Jahre (ich schätze sie auf Mitte, Ende vierzig) schlicht umwerfend aussah. Die Stimme der einen im Körper der anderen und das eingangs beschworene Glück wäre perfekt!
Andererseits … und derart ehrliche Äußerungen, wie ich sie jetzt in die Tastatur hämmere, darf ich in meinen privaten Aufzeichnungen, die nicht zu meinem Arbeitsauftrag gehören, problemlos machen – es erfährt ohnehin niemand was davon, da ich nicht vorhabe, das hier zu posten (lol) … Also andererseits sagt mir meine Erfahrung, dass eine Frau mit ihrem Mund und ihren Lippen und ihrer Zunge außer Quasseln auch noch ganz andere Sachen machen kann … Oink, oink!
Dr Crıme:
Hatte ich Ihnen gegenüber schon erwähnt, dass unser Held ein unerträglicher Klugscheißer im Gewand eines Sprüche-Plattklopfers ist? Spätestens jetzt haben Sie es schwarz auf weiß. Und nicht nur das. Seine oberflächliche Einstellung gegenüber Frauen ist, angesichts der Tatsache, dass es sich bei Leon Walter um einen Endzwanziger handelt, skandalös vorgestrig. Ich gebe ja gerne zu, dass ich selbst keineswegs vor gewissen Chauvinismen gefeit bin. Political correctness geht mir am Arsch vorbei.
Aber ich behandle alle gleich – und zwar gleich schlecht.
Wenn es unumgänglich ist, stanze ich einer Frau ebenso ein Loch in den Schädel wie einem Mann. Bei solchen Fragen zählen nur die Umstände und nicht das Geschlecht.
Und um durch Leons Aufzeichnungen keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Ich habe Frau Professor Meltendonck, nachdem meine Zusammenarbeit mit dem Meister begann, ebenfalls kennengelernt und kann Ihnen versichern, ihre Stimme ist keineswegs so schrill und schrecklich, wie dieser Trottel meint. – Gut, sie kann laut werden, auch über längere Zeit, ohne einen Anflug von Heiserkeit, aber das ist im Rahmen ihres Lehrauftrags wohl eher von Vorteil. Ansonsten stimmt Leons Beschreibung, sie ist keinesfalls unattraktiv, im Gegenteil. Was jedoch das Gelaber wegen ihres angeblich „reifen Alters“ anbelangt – sie ist gerade fünfzig geworden –, so muss man das als jugendlichen Stuss abhaken. Das Bürschchen sieht sich selbst altersmäßig noch eher in der erweiterten Kindergartengruppe denn als Mitglied der Welt der sogenannten Erwachsenen.
Sein Job im Institut für angewandte Traumforschung an der renommierten SFU unserer hübschen mittelfränkischen Stadt sollte sich letztlich als bedeutend, um nicht zu sagen als Glücksfall herausstellen, wenn auch nicht unbedingt für ihn.
Damit Sie sich ein Bild von ihm machen können, das über die bereits gründlich entlarvenden Statements hinausgeht, die er ohne Not von sich preisgegeben hat, werde ich der Einfachheit halber einen Vergleich bemühen: Er ist groß – ich schätze mal einiges über einsneunzig – und er sieht aus wie die jugendliche Version des Schauspielers Rowan Atkinson, sattsam bekannt als Mr. Bean. Wenngleich ihm jedoch die schauspielerischen Fähigkeiten dieses Mimen völlig abgehen. Entgleisen Leon die Gesichtszüge, ist das selten komisch, sondern im Gegenteil fast immer tragisch. Selbstbeherrschung ist für Menschen