Dr Crime und die Meister der bösen Träume. Lucas Bahl
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diese Mondgöttin namens Eva ist …
Ihr Gesicht kam mir vage bekannt vor. Natürlich kenne ich die Mondstraße in Fürth, aber ich kenne niemanden, der dort wohnt, erst recht keine Eva.
Dann fiel mir etwas ein. Eine Ähnlichkeit.
Ihr Gesicht, so dämmerte mir, war eine Version von Frau Professor Dr. Lucia Meltendonck. Hatte ich ihre Titten in meiner Hand gespürt? War es ihr Hintern gewesen, den ich umklammert hatte?
Für ein Traumprotokoll mögen diese Aufzeichnungen ja nicht schlecht sein. Aber falls Frau Professor heute Nachmittag von mir verlangt, meinen letzten Traum aufzuschreiben, werde ich mir wohl was anderes ausdenken müssen. Sonst bin ich den Job schneller los, als ich ihn bekommen habe …
Dr Crıme:
Dieser schamlose Schlagmichtot liebt also auch maßlose Übertreibungen. Dass sich junge testosterongesteuerte männliche Primaten notorisch selbst überschätzen – geschenkt, davon lebt die prosperierende Autotuning-Branche neben vielen anderen, die männliche Eitelkeit streichelnden Geschäftsbereichen. Kann sich noch jemand an die Fuchsschwänze erinnern, die an Auto-Antennen baumelten?
Aber haben Sie schon mal von einem drogeninduzierten Weltraum-Sextrip gehört?
Vielleicht bin ich doch allmählich zu alt für solche Jobs. Jedenfalls hat mir die unappetitliche Schilderung gründlich die ohnehin gewohnt miese Laune verdorben, sodass ich schon befürchten muss, meine von mir sorgsam gepflegte schlechte Stimmung würde sich zusätzlich in einer Weise verfinstern, die dazu angetan wäre, mir tatsächlich den Tag zu verderben.
So jemandem wie Leon will man ja nicht mal in Gedanken die Hand schütteln.
Bevor ich auf meine erste Begegnung mit dem Meister zu sprechen komme, ist es an der Zeit, etwas klarzustellen.
Natürlich ist Dr Crıme – wohlgemerkt ohne Punkte – nicht der Name, der in meiner Geburtsurkunde stand. Punkte mitten im Namen sind wie Einschusslöcher – sollte man also vermeiden! Man gibt sich solche Namen nicht selbst, sondern bekommt sie verliehen. Es handelt sich mithin um eine Auszeichnung, die in meinem Fall auch damit zu tun hat, dass ich vor Jahrzehnten in einer meiner parallelen Existenzen erfolgreich eine Dissertation verteidigt habe. Nicht etwa in naheliegenden Fächern wie Jura oder Kriminologie, sondern – wie eingangs schon angedeutet – in Literaturwissenschaften. Ich bin nicht so dumm und werde hier den Titel verraten, sondern nur das grobe Thema anreißen: Mimesis und Heteroglossie.
Wissenschaftliche Arbeiten zu diesen literaturwissenschaftlichen Themenkomplexen gibt es einige Hunderttausend. Und selbst wenn ich verrate, dass ich mich in meiner Arbeit auf Erich Auerbach, Michail Michailowitsch Bachtin und William Empson bezog, wird ihre Zahl kaum kleiner. Ich erwähne das nicht, weil ich mir auf den akademischen Titel etwas einbilde, sondern weil dieser Umstand unserer Geschichte insofern eine besondere Wendung verleiht, als auch das Objekt meiner Observation ein angehender Literaturwissenschaftler ist. Allerdings keiner, mit dem ich mich unter normalen Umständen fachlich ausgetauscht hätte.
Meine erste persönliche Begegnung mit dem Meister hatte wenige Wochen zuvor stattgefunden.
Nicht, dass wir uns nicht längst kannten. Das bleibt kaum aus in einem Geschäft, das schon lange, bevor alle Welt vom globalen Dorf zu faseln begann, rund um den Erdball aufs Engste vernetzt war. Wir hatten zwangsläufig bereits in den frühen 1970er-Jahren voneinander Kenntnis genommen. Bei erfolgreich im weiten Feld internationaler, krimineller Machenschaften agierenden Akteuren lässt es sich kaum verhindern, dass in der Branche über sie gesprochen wird. Auch wenn dieser Klatsch und diese Gerüchte selten die Kreise derjenigen verlassen, die genau wissen, wem sie was erzählen dürfen und vor allem wem nicht. Nur selten erreichen diese in Umlauf befindlichen Geschichten die Gegenseite – also Polizei und Justiz. Und noch viel seltener bieten sie handfeste Anhaltspunkte, mit denen jemand wirklich festgenagelt werden könnte. Doch auch hier gibt es Ausnahmen und zwar dann, wenn sich eine Seite übervorteilt fühlt.
Unvergessen ist in diesem Zusammenhang der angebliche Coup der britischen Justiz gegen Tommy Adams, der seinerzeit in der Presse als bedeutender Schlag gegen das organisierte Verbrechen bejubelt wurde und der den bösen Buben für ein paar Jahre hinter Gitter brachte. Dabei wollten die übrigen Adams-Brüder ihrem unbotmäßigen Tommy nur einen Denkzettel verpassen, damit er sich künftig an die innerfamiliären Abmachungen hält. (Das stand selbstredend nicht in der Zeitung.)
Derartige Vorkommnisse sind dem Meister und mir nie widerfahren. Abgesehen von der unleugbar schlichten Tatsache, dass dies für den potenziellen Flötenspieler das letzte Konzert gewesen wäre.
Zum Glück ist die Welt des Verbrechens groß genug. Der Meister und ich sind uns nie ins Gehege gekommen. Das ist gut so. Denn bei zwei ausgewiesen durchsetzungsstarken Charakteren kann sich eine derartige Konfrontation rasch zu einem höchst unproduktiven Kräftemessen auswachsen und Situationen provozieren, die letztlich und unweigerlich zur Schwächung beider Seiten führen, wenn nicht ohnehin eine der involvierten Parteien ein unschönes Ende findet. Wobei noch anzumerken ist, dass selbst in diesem Fall der Überlebende keineswegs der Sieger ist.
Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.
Schließlich war auch ich einmal jung, leistungsstark und mit aller Macht darauf erpicht, meinen Ruf auszubauen, zu festigen und an meiner eigenen Legende zu stricken. Ich denke da an jene unschöne Begebenheit mit Roberto 1974 auf Lanzarote.
Der Auftrag damals war ebenso simpel wie lukrativ.
Die gelangweilte Gattin – nennen wir sie Mrs. X – eines erfolgreichen Industriellen der britischen Energiebranche – ein gewisser Mr. X – wünschte sich nichts sehnlicher als das baldige Ableben ihres Mannes.
Sie besaß eigenes Vermögen und war bereit, ein stattliches Sümmchen zu investieren, um ihr Anliegen zu realisieren.
Im Verlauf ihrer Ehe waren viele Gründe zusammengekommen, von denen jeder einzelne ihrer Ansicht nach ausgereicht hätte, dem ungeliebten Gatten ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Da gab es beispielsweise seine zahlreichen Affären mit kostspieligen Geliebten, die das gemeinsame Vermögen in einer Weise belasteten, die Mrs. X schlicht unerträglich fand.
„Über irgendwelche billigen Nutten aus Soho hätte ich hinweg gesehen“, sagte sie mir, als wir uns zu einem ersten Gespräch trafen, „aber diese Luxus-
kann ich nicht tolerieren.“ Ich muss wohl, als ich ihr Schimpfwort hörte, eine Augenbraue hochgezogen haben, denn sie fuhr fort: „Entschuldigen Sie meine verbale Entgleisung, aber diese gierigen Schlampen habe keine bessere Bezeichnung verdient, jedenfalls nicht, wenn er sie mit meinem Geld stopft!“Doch auch sie hatte sich längst anderweitig umgesehen. Sie hatte sich auf Lanzarote mit einem jungen, feurigen Conejero eingelassen, Sohn einer alteingesessenen Familie von Vulkanweinbauern, die weniger wegen des Weinhandels als vielmehr dank küstennahen Landbesitzes im Verlauf der touristischen Entwicklung der Insel zu einem gewissen Wohlstand gekommen war.
Außerdem hätte sich Mrs. X gerne dauerhaft auf Lanzarote niedergelassen und damit getan, was so viele ihrer Freundinnen bereits vor ihr getan hatten. Doch Mr. X weigerte sich, seine Frau allein in ihrem gemeinsamen Ferienhaus in Puerto del Carmen zurückzulassen, während er der Geschäfte wegen den größten Teil des Jahres auf anderen Inseln verbringen musste, die ohne Frage auch über landschaftliche Reize verfügen, wenngleich sie klimatisch weniger bevorzugt sind. Gemeint sind natürlich