Die Forsyte-Saga. John Galsworthy
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Forsyte-Saga - John Galsworthy страница 60
»Ein Forsyte! Ich hielt Sie nie dafür!«
»Ein Forsyte,« erwiderte der junge Jolyon, »ist kein seltenes Tier. Es gibt Hunderte unter den Mitgliedern dieses Klubs. Hunderte in den Straßen draußen; Sie begegnen ihnen, wo immer Sie gehen!«
»Und woran erkennen Sie sie?« sagte Bosinney.
»An ihrem Sinn für Besitz. Ein Forsyte schaut die Dinge vom praktischen Standpunkt an – man möchte sagen mit gesundem Menschenverstand – und ein praktischer Standpunkt gründet sich im Wesentlichen auf den Sinn für Besitz. Ein Forsyte, werden Sie bemerken, vermeidet es sich jemals bloßzustellen.«
»Sie scherzen?«
Des jungen Jolyon Augen blinzelten.
»O nein. Da ich selbst ein Forsyte bin, darf ich nicht mitreden. Aber ich bin eine Art Mischling von guter Herkunft; in Ihnen aber kann man sich nicht täuschen. Sie sind so verschieden von mir, wie ich von meinem Onkel James, der das vollkommene Muster eines Forsyte ist. Sein Sinn für Besitz ist extrem, während Sie praktisch genommen gar keinen dafür haben. Wäre ich nicht dazwischen, so könnte man Sie für eine ganz andere Gattung halten. Ich bin das fehlende Glied. Wir alle sind natürlich Sklaven des Besitzes, und ich gebe zu, daß es eine Frage des Standes ist, aber ein Mann, den ich einen ›Forsyte‹ nenne, ist es entschieden mehr als weniger. Er weiß was gut ist, weiß was sicher ist, und sein Festhalten am Besitz – ganz gleich ob es sich um Frauen, Häuser, Geld oder Ruf handelt – ist seine Zunftmarke.«
»Ah!« murmelte Bosinney. »Das Wort sollten Sie sich patentieren lassen.«
»Das täte ich gern,« sagte der junge Jolyon, »um Vorlesungen darüber zu halten: Eigenschaften und Sinnesart eines Forsyte. Dieses Tierchen, das sich durch den Spott von seinesgleichen beunruhigt fühlt, läßt das Lachen fremder Kreaturen (Sie oder ich) in seinen Bewegungen unberührt. Mit seiner ererbten Anlage zur Kurzsichtigkeit erkennt es nur Personen und Umgebung von seinesgleichen, unter denen es ein Dasein angemessener Ruhe verbringt.«
»Sie sprechen von ihnen,« sagte Bosinney, »als ob sie halb England wären.«
»Das sind sie,« wiederholte der junge Jolyon, »halb England, und die bessere Hälfte, die gesicherte Hälfte sogar, die drei-Prozent-Hälfte, die Hälfte, die mitrechnet. Es ist ihr Reichtum und ihre Sicherheit, die alles möglich machen; die Ihre Kunst, die Literatur, Wissenschaft, selbst Religion möglich machen. Ohne Forsytes, die an nichts von diesen Dingen glauben, sie aber nutzbar machen, wo würden wir alle sein? Mein Lieber, die Forsytes sind die Vermittler, die Geschäftsleute, die Pfeiler der Gesellschaft, die Ecksteine der Konvention, alles was bewundernswert ist!«
»Ich weiß nicht, ob ich Sie ganz verstehe,« sagte Bosinney, »aber ich glaube in meinem Beruf gibt es eine Menge Forsytes, wie Sie sie nennen.«
»Gewiß,« erwiderte der junge Jolyon. »Die große Mehrzahl der Architekten, Maler oder Schriftsteller hat keine Grundsätze, wie irgend andere Forsytes auch. Kunst, Literatur, Religion können nur dank der wenigen Sonderlinge, die wirklich an solche Dinge glauben, und der vielen Forsytes, die einen kaufmännischen Nutzen daraus ziehen, weiter bestehen. Schlecht gerechnet sind drei Viertel unserer Akademiker, sieben Achtel unserer Romanschreiber und ein großer Teil der Presse Forsytes. Von der Wissenschaft kann ich nicht reden; aber sie sind großartig in der Religion vertreten; im Unterhaus vielleicht zahlreicher als sonstwo; die Aristokratie spricht für sich selbst. Aber ich lache nicht darüber. Es ist gefährlich gegen die Majorität – und was für eine Majorität – zu gehen!« Er blickte Bosinney fest an. »Es ist gefährlich, sich von irgend etwas hinreißen zu lassen – sei es ein Haus, ein Bild oder – eine Frau!«
Sie blickten einander an. Und als hätte er getan, was kein Forsyte tat – als hätte er sich bloßgestellt, zog der junge Jolyon sich wieder in seine Schale zurück. Bosinney brach das Schweigen.
»Warum nehmen Sie Ihre eigenen Verwandten als Typus?« fragte er.
»Meine Verwandten,« erwiderte der junge Jolyon, »sind nicht sehr extrem, und sie haben ihre eigenen geheimen Eigentümlichkeiten wie jede andere Familie, aber sie besitzen in bemerkenswertem Maße jene beiden Eigenschaften, die wahre Prüfsteine für einen Forsyte sind – die Kraft sich niemals einer Sache mit Leib und Seele hinzugeben und ›Sinn für Besitz‹.«
Bosinney lächelte: »Wie steht es zum Beispiel mit dem Dicken?«
»Meinen Sie Swithin?« fragte Jolyon. »Ah, Swithin hat noch sehr viel Ursprüngliches. Das Stadt- und Mittelstandleben hat ihn noch nicht ganz verdaut. All die Jahrhunderte von Landwirtschaft und roher Kraft sitzen fest in ihm und bleiben an ihm hängen, trotz all seiner Vornehmheit.«
Bosinney schien nachdenklich geworden. »Ja, Ihre Beschreibung trifft Ihren Vetter Soames aufs Haar,« sagte er plötzlich. » Er wird sich nie eine Kugel durch den Kopf jagen.«
Der junge Jolyon warf einen durchdringenden Blick auf ihn.
»Nein,« sagte er, »das wird er nicht. Darum muß mit ihm gerechnet werden. Hüten Sie sich vor ihren Tatzen! Es ist leicht zu lachen, aber mißverstehen Sie mich nicht. Man darf einen Forsyte nicht verachten, darf sie nicht geringschätzen!«
»Und doch haben Sie es selbst getan!«
Des jungen Jolyon Lächeln schwand, als er diesen Hieb entgegennahm.
»Sie vergessen,« sagte er mit sonderbarem Stolz, »daß ich auch hartnäckig sein kann – ich bin selbst ein Forsyte. Wir alle verfügen über eine große Kraft. Wer sich in Gefahr begibt – na, Sie wissen, was ich meine.«
»Ich empfehle,« er sprach jetzt sehr leise, als wäre es eine Drohung, »nicht jedem, meinen – Weg – zu – gehen. Es kommt darauf an –«
Die Röte schoß Bosinney ins Gesicht, wich jedoch bald wieder und ließ es blaß-braun wie zuvor. Er stieß ein kurzes Lachen aus, das ein seltsam starres, grimmiges Lächeln auf seinen Lippen zurückließ; seine Augen höhnten den jungen Jolyon.
»Danke,« sagte er. »Es ist verteufelt freundlich von Ihnen. Aber Sie sind nicht der einzige, der hartnäckig sein kann.« Er erhob sich.
Den Kopf in die Hand gestützt, schaute der junge Jolyon ihm nach und seufzte.
In dem schläfrigen, fast leeren Raum waren das Knittern der Zeitungen und das Kratzen der Streichhölzer, die angezündet wurden, die einzigen Geräusche. Lange Zeit saß er regungslos da und durchlebte noch einmal jene Tage, wo auch er lange Stunden wartend dagesessen und auf die Uhr gesehen, um das Schwinden der Minuten zu beobachten – lange Stunden voll Qual und Ungewißheit, doch auch voll wilden süßen Wehs; und die öde wonnige Seelenpein jener Zeit erwachte mit der alten Heftigkeit in ihm. Der Anblick Bosinneys mit seinem hagern Gesicht und den ruhelosen Augen, die fortwährend auf die Uhr gerichtet waren, hatte ein mit seltsamem, unwiderstehlichem Neid vermischtes Mitleid in ihm erweckt.
Er kannte die Zeichen so gut. Wohin würde es ihn führen – welchem Schicksal entgegen? Welcher Art war die Frau, die ihn mit dieser magnetischen Kraft an sich zog, der gegenüber keine Rücksicht auf Ehre, keine Prinzipien, kein Vorteil ihn zurückzuhalten vermochte, der nur durch die Flucht zu entgehen war.
Flucht! Aber warum sollte Bosinney fliehen? Ein Mann floh, wenn er in Gefahr war Haus und Herd zu zerstören, wenn Kinder da waren, wenn er fühlte, daß er Ideale zertrat, daß er etwas zerbrach. Aber hier, so hatte er gehört, lag alles zerbrochen vor ihm da.