Das Virus in uns. Kurt Langbein

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Das Virus in uns - Kurt Langbein

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ob wir krank und auch wieder gesund werden. Und wir wissen eine Menge über die Ursachen der großen Killer der Menschheit wie Herzinfarkt, Krebs, Schlaganfall und Diabetes, im Globalen Süden auch Malaria.

      Aber an den Ursachen – meist sind es Lebensumstände im weitesten Sinn – hat sich wenig zum Guten verändert. Oft haben wir uns gewünscht, dass die Regierungen konsequent auf diese Erkenntnisse reagieren, dem weisen Spruch des bedeutenden Mediziners Rudolf Virchow folgend: »Politik ist nichts weiter als Medizin im Großen.«

      Beim SARS-Coronavirus 2 hat die Politik reagiert wie nie zuvor. Gegen die eigenen Maximen der freien Marktwirtschaft wurde alles stillgelegt, gegen die Grundsätze der Verfassungen wurden fast alle Bürgerrechte aufgehoben. Das hat wirtschaftliche, soziale und auch gesundheitliche Folgen, deren Ausmaß wir gerade erst zu erahnen beginnen.

      War die Reaktion der meisten Regierungen auf das neue Virus zumindest gute Medizin im Großen? Es ist nicht erkennbar, dass diese Lockdowns viele Leben gerettet hätten – Belgien, Spanien, Italien gehörten zu den ersten Ländern, die alles und alle sehr früh und mit großer Konsequenz blockierten, und diese Länder beklagen dennoch mehr oder gleich viele Tote durch Covid-19 wie Schweden, das Wirtschaft, Kultur, Bildung und Zusammenleben weitgehend offen hielt. Umgekehrt haben Länder wie Südkorea oder Taiwan ohne Lockdown wenige Infizierte und Tote zu beklagen, ähnlich wie Österreich, Deutschland oder Norwegen mit Lockdown.

      Es waren überwiegend andere Umstände, die die Schwere der Erkrankungen beeinflussten. Denen sind wir nachgegangen und davon werden wir im Folgenden erzählen.

      Noch wichtiger ist uns allerdings, zum Verständnis beizutragen, welch wichtige und positive Rolle Viren in allem Leben spielen. Die Koexistenz zwischen Viren und Zellen ist der Motor der Evolution und hat auch uns hervorgebracht. Doch wir stören diese Koexistenz so tiefgreifend, dass Pandemien unausweichlich werden. Das zu verstehen bringt ein neues Denken hervor: Statt Viren zu jagen, können wir ergründen, was zu tun ist, um den Übergang einzelner Mikroben auf den Menschen zu verhindern. Wenn diesen Erkenntnissen auch Taten folgen, würde das die Lebensgrundlagen der nachfolgenden Generationen ebenso erhalten wie die Eindämmung der Klimakatastrophe.

      Immerhin: Die Politik hat bewiesen, dass sie handlungsfähig ist – auch gegen massive ökonomische Zwänge.

      Wien, im August 2020

      Kurt Langbein, Elisabeth Tschachler

       1

       Ground Zero

       Die offizielle Geschichte vom Übergang des SARS-Coronavirus 2 auf den Menschen ist fragwürdig. Wahrscheinlich ist es schon im Herbst 2019 auf den Menschen übergesprungen. Doch identifiziert wurde es erst zum Jahreswechsel.

       Wuhan: Wie die Pandemie begann

      Ende Dezember 2019 ist es in der Elf-Millionen-Stadt Wuhan im Nordosten Chinas noch geschäftiger als sonst. Viele Menschen bereiten sich auf das Neujahrsfest Ende Januar vor, Geschäfte und Märkte sind gut besucht. Die Luft ist schwer von Schadstoffen wie Stickoxiden und Schwefeldioxid, auch der omnipräsente Feinstaub macht sich bemerkbar: Selbst an schönen Tagen ist es düster, die Sonne ist nur als rötliche Scheibe sichtbar.

      Am 26. Dezember kommt eine ältere Frau mit Fieber und Atembeschwerden in eine Wuhaner Klinik. Nichts Ungewöhnliches, es ist Grippezeit und da gibt es solche Erkrankungen häufig. Aber die Computertomografie zeigt eine schwere, außergewöhnliche Lungenentzündung. Ein zweiter Patient mit ähnlichen Symptomen wird kurz darauf eingeliefert. Auch in anderen Krankenhäusern der Metropole werden solche Fälle registriert und der Behörde gemeldet. Das ist Pflicht seit dem SARS-1-Ausbruch 2002 – SARS steht für »Severe acute respiratory syndrome« –, als ein Coronavirus, ausgehend von China, ähnlich schwere Atemwegserkrankungen auslöste. Wuhan war damals stark betroffen. »Ausbruch einer rätselhaften Lungenerkrankung in Wuhan nährt Verdacht einer neuen Sars-Welle«, titelt die Wissenschaftszeitschrift »Caixing« am 31.12.2019.1

      Zum Jahreswechsel bringen Analysen der Körperflüssigkeit der Patienten Klarheit: Es handelt sich um eine Virusinfektion, um ein SARS-Coronavirus. Jedoch keines der bis dahin bekannten.2 Der Großteil der zu dieser Zeit erkannten Erkrankten war davor auf dem zentralen Fischmarkt, deshalb wird dort der »Patient null« vermutet. Das Coronavirus dürfte am oder um den Markt von Fledermäusen auf den Menschen übergegangen sein.

      Am 7. Januar bestätigt der chinesische Virologe Xu Jianguo, dass es sich bei dem neuartigen Virus um ein neues Coronavirus handelt. Doch am 10. Januar wird diese alarmierende Information wieder relativiert: Wang Guangfa, ein Vertreter des aus Peking nach Wuhan entsandten Untersuchungsteams, erklärt im staatlichen Fernsehen, dass das Virus »nicht von Mensch zu Mensch übertragbar« und »unter Kontrolle« sei.3 Bittere Ironie dabei: Dr. Wang Guangfa war zu diesem Zeitpunkt bereits selbst infiziert und erkrankte wenig später. Die Ärzte, die schon Anfang des Monats von einer Epidemie gesprochen haben, werden ermahnt, zu schweigen.

      Doch einzelne Klinikärzte verfolgen weiter die Spur der Infektion und wehren sich gegen Vertuschung und Zensur, als sie die Anomalie der Erkrankungen erkennen und das Ausmaß der Gefahr begreifen. Um die Öffentlichkeit zu warnen, setzen Doktoren wie Ai Fen und Li Wenliang ihre Karriere aufs Spiel – sie werden unter Drohungen mundtot gemacht.

      Zu dieser Zeit dürfte es schon einige tausend Infizierte in Wuhan gegeben haben, vermuten amerikanische Wissenschaftler.4 Und die Infektion verbreitete sich in der pulsierenden Metropole rasch. Aus Handydaten wurde errechnet, wie rasch: An einem einzigen Tag verließen 175.000 Menschen die Millionenstadt, viele davon über den Hauptbahnhof, einige hundert Meter vom Fischmarkt entfernt.

      Im anfänglichen Chaos rund um die Epidemie können sich manche Wissenschaftler in der betroffenen Region auch offen äußern. Und die Zivilgesellschaft ist übers World Wide Web aktiv.

      »Selbst eine gewöhnliche Bürgerin wie ich hatte bereits von der Ansteckungsgefahr des neuen Virus gehört und trug ab dem 18. Januar eine Schutzmaske«, schreibt die in Wuhan lebende Schriftstellerin Fang Fang in ihrem Tagebuch, das inzwischen als Buch erschienen ist. »Und die Medien? Am 19. Januar berichteten sie begeistert vom ›Festmahl der 10.000 Familien‹, am 21. Januar über die riesige Neujahrsgala in Anwesenheit der Führungspersönlichkeiten. Tag für Tag erfreute sich die missgeleitete Bevölkerung an den üppigen Festlichkeiten einer ›Welt in Frieden und Wohlstand‹, ohne ein Wort der Warnung.«5

      Erst am 22. Januar erklärt die Regierung die schweren Erkrankungen als Folge einer Epidemie und warnt die Bevölkerung. Am 23. Januar dann der absolute Lockdown für die gesamte Provinz Hubei mit 37 Millionen Bewohnern: Ausgangssperre, Stilllegung der öffentlichen Verkehrsmittel und der Produktion, alle Lokale und Geschäfte geschlossen. Die Zahl der mit dem neuen Coronavirus positiv Getesteten steigt auf 876 und die Krankenhäuser melden, dass bereits 26 Patienten an der schweren Lungenerkrankung gestorben sind.6

      Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Mehr als 6000 Mediziner und Pfleger werden in die Krisenprovinz geflogen, riesige Behelfs-Kliniken errichtet. Aber das Virus verbreitet sich rasant, täglich werden mehr als 3000 Infektionen festgestellt.

      »Es ist vorbei. Er kann nicht atmen«, sagt die Frau verzweifelt. Ihr Vater liegt in einem Krankenbett im Hospital Nr. 5 der Metropole Wuhan. »Es gibt keine Lebenszeichen mehr.« Der Blogger Fang Bin zeichnet die traurige Szene auf Video auf. Vor dem Krankenhaus filmt er in einem Kleinbus acht gelbe und orange Säcke mit

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