Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten. Fabian Vogt
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In diesem Buch erzähle ich, wie es dazu kam, dass wir mit einer großen Elefantenherde im Krügerpark aufbrachen, den gesamten afrikanischen Kontinent durchquerten, uns einen einzigartigen Lebenstraum erfüllten - und dabei den längsten Zug einer Säugetiergattung in der Weltgeschichte begleiteten.2 Vielleicht war unser Treck sogar das letzte große Naturerlebnis des 21. Jahrhunderts.
Eines kann ich jedenfalls sicher sagen: Ich spürte auf der eindrucksvollen Reise von Südafrika nach Sachsen-Anhalt viele der herrlichen Momente, in denen man weiß: »Es lohnt sich zu leben.« Mancher macht solche Erfahrungen überhaupt nur ein- oder zwei mal - ich wurde fast täglich von ihnen überrascht. Darum möchte ich diese unglaubliche Zeit unter keinen Umständen missen.
Der Weg durch die Wildnis Afrikas und die Wildnis menschlicher und animalischer Irrungen hat mich verändert - und war auf seine Weise eine geistliche Pilgerreise. Ich war dann mal weg, und derjenige, der im Sommer 2005 aufgebrochen ist, war tatsächlich weg - denn er kam nicht zurück. Zurück kam ein Mensch, der seinen innersten Sehnsüchten, Begierden und Wahnvorstellungen begegnen durfte und sich nicht mehr verstecken will und muss. Nie wieder.
Eines muss ich vorweg sagen: Ganz gleich, was Sie jemals über Hannibal Mayer gehört haben oder hören werden - glauben Sie es nicht. Die Diffamierungskampagnen, die gegen ihn losgetreten wurden, ent behren jeder Grundlage. Es stimmt, dass er für sein Vorhaben einige Gesetze missachtet hat, aber wäre er bei allen Entscheidungen den korrekten bürokratischen Weg gegangen, dann wären er und seine 101 Elefanten bis heute nicht aufgebrochen.
Mir imponieren Menschen, die ihren Traum leben. Und Hannibal hat nachweislich niemandem geschadet. Ich konnte ihn näher kennenlernen und weiß, dass er ein herzensguter, freundlicher und manchmal etwas übermütiger Mann ist, der diese Welt lebenswerter machen möchte. Ich sage das als jemand, der selbst mehrfach von ihm tief enttäuscht wurde. Im Gegensatz zu vielen von Hannibals Kritikern und Verächtern verstehe ich aber inzwischen seine Motive.
Darum ist mein Bericht nicht nur eine faszinierende Reportage über den Schwarzen Kontinent, eine fast 10000 Kilometer lange Tour und einen der obskursten Skandale des 21. Jahrhunderts, sondern zugleich der Versuch einer Rehabilitation eines Helden aus den neuen Bundesländern. Das ist nun wahrlich ein großes Wort, doch ich halte es in diesem Zusammenhang für angebracht: Für mich ist Hannibal ein Held, weil er das schier Unmögliche möglich gemacht hat. Gut, er ist am Ende gescheitert - aber doch nur, weil ihn eine heimtückische Verräterin hintergangen hat. Hannibal musste schmerzhaft erkennen, dass sein Vorhaben Teil eines viel größeren Plans war, einer probosciden Verschwörung, für die man ihn skrupellos benutzt hat. Doch ich will nicht vorgreifen.
Nachdem mein Roman bereits in mehreren Sprachen erschienen ist, freue ich mich sehr, dass er nun endlich auch in Deutschland publiziert werden kann. Meine Heimat hat ihrem bisweilen ein wenig biederen Ruf alle Ehre gemacht und die Veröffentlichung der Geschichte sehr erschwert.Verantwortlich dafür war vor allem ein Boykott der Medien, den ich im Text ausführlich erläutere.
Wie ich oben sagte: Ich würde die Reise immer wieder antreten. Denn sie wurde für mich zu einer Reise zum Leben; einer Reise, auf der ich zudem einen neuen Musikstil entwickeln konnte, den inzwischen vielfach kopierten EGO (= ElefantGrooveOutput; sprich: Igor ). Der in der Tierwelt einzigartige wiegende Gang der Elefanten hat mich dazu rhythmisch inspiriert und zu mehreren CD-Veröffentlichungen geführt.3
Durch meine spirituellen Erfahrungen habe ich aber auch einen neuen inneren Rhythmus gefunden. Dieses Buch ist der Wunsch, Sie zu den Quellen meines Erlebens mitzunehmen. Das Abenteuer kann beginnen.
Vorspiel 1970
12. Juli 1970
Ein zwölfjähriger Junge läuft lautlos den schmalen Pfad von der Ngala-Tierstation hinunter zum Timbavati-Fluss. Er zuckt kurz zusammen, als vor ihm eine Hyäne raschelnd im Gestrüpp verschwindet und dabei ein meckerndes Lachen ausstößt. Dann lacht er erleichtert zurück. Am Ufer wendet er sich nach Norden und folgt dem mit dünnem Buschgras bewachsenen Uferstreifen, für einen Moment geblendet von der untergehenden Sonne, die die Hänge des Mshatu-Berges mit dem Glanz dunklen Ockers überzieht und sich funkelnd in den Sykamoren bricht. Es ist heiß.
Nach und nach verstummen die Geräusche und weichen einer angespannten Stille. Denn wenn im Krügerpark die Dunkelheit hereinbricht, hält die Welt für einen Augenblick den Atem an. So, als wolle sie das Spiel der Farben auf jeden Fall bis zum Ende genießen und noch einmal die gleißende Helligkeit des Tages in sich aufnehmen, bevor die Nacht das Sagen hat.
Der groß gewachsene Junge ist stehen geblieben und hat jetzt in der Dämmerung zwischen der Karoo-Vegatation den Mopane-Baum mit den zwei Kronen ausgemacht - und freut sich über den glimmenden Punkt zwischen den Ästen. Bongani wartet schon auf ihn.
Wüsste der Vater des Jungen von diesem Ausflug, er wäre aus verschiedenen Gründen schockiert: Erstens soll ein Zwölfjähriger nicht allein im Busch herumlaufen - schon gar nicht unbewaffnet. Zweitens beginnen nach Einbruch der Dunkelheit die meisten Raubtiere mit der Jagd. Und drittens sieht der fromme, energische Tierpfleger es nicht gern, wenn sein Sohn mit Schwarzen spielt. Bongani ist vierzehn und gehört zum Stamm der Sotho sprechenden Pedi.
Der Junge klettert zu seinem Freund hinauf, hebt lässig die Augenbrauen und nickt leicht, als ihm der Schwarze eine Zigarette hinhält - selbst gedreht, aus Sukkulenten-Blättern.
»Glaubst du, heute Nacht kommen sie?«
Bongani grinst. »Ich weiß es nicht. Die Legende von den weißen Löwen ist uralt, aber es hat noch niemals jemand einen gesehen.«
»Doch, der alte Shaka! Letzte Woche.«
»Ja, aber Shaka glaubt auch, dass Nilpferde als Oryxantilopen wiedergeboren werden. Das macht ihn nicht gerade zu einem verlässlichen Augenzeugen. Egal.Wenn es weiße Löwen gibt, dann kommen sie irgendwann hier an die Wasserstelle. Hast du die Kamera dabei, Tshwane?«
Tshwane guckt verwirrt. Vielleicht, weil er sich immer noch nicht daran gewöhnt hat, dass Bongani seinen schwierigen deutschen Vornamen nicht richtig aussprechen kann und ihm deshalb einen Sotho-Namen gegeben hat: »Tshwane - Wir sind gleich!« Dabei ist dieser Name eigentlich ein würdiger Titel, eine Ehre, eine Art Brüderschaft.
Der junge Weiße nickt und klopft auf seine Tasche. »Und nicht nur das. Mein Vater hat sich letzte Woche aus Deutschland ein brandneues Blitzgerät schicken lassen.Tolles Teil, sage ich dir.«
Gemeinsam inspizieren die beiden Jungen den eleganten schwarzen Aufsatz für den Fotoapparat, rauchen, drücken ihre Kippen aus und warten dann in der schnell hereinbrechenden Dunkelheit gespannt auf die Löwen. Zum Glück weht der Wind von Osten den Hang herunter, sodass keines der Tiere, die zur Tränke kommen, sie wittern kann.
Als Tshwane zum dritten Mal auf seine Uhr schaut, ist es kurz nach neun. Bislang sind mehrere Blessböcke, einige Streifengnus, eine Herde Ngalas und ein Kudu an der Wasserstelle gewesen, aber noch keine der wirklich seltenen Tiergattungen, schon gar nicht die sagenumwobenen weißen Löwen.
In diesem Moment knackt es mehrmals hintereinander unter ihnen. Bongani packt Tshwane am Arm.
»Da! Epila!«
»Wer ist Epila?«
Der Schwarze deutet auf zwei Büsche, zwischen denen sich jetzt