Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten. Fabian Vogt

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Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten - Fabian Vogt

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»Glauben Sie an Gott?«

      Ich stellte mein Glas ab.Verdutzt entgegnete ich: »Das weiß ich nicht so genau.Wieso fragen Sie?«

      »Ach, das liegt mir wohl in den Genen.Wissen Sie: Mein Vater war Missionar. Einer, der auf alles eine Antwort hatte. Zu jeder Zeit. Wahrscheinlich habe ich mich deswegen auch vom Glauben abgewandt. Das war mir alles zu einfach. Trotzdem sehne ich mich manchmal nach dem Urvertrauen und der Hoffnung, die mein Vater hatte. Er hätte Ihnen wahrscheinlich gesagt, dass Sie sich mit Ihren Gedanken zu sehr um sich selbst drehen und dass man sich einen Sinn gar nicht selbst geben kann. Und dann wäre er ganz schnell beim Heiland gelandet.«

      »Nun, darauf ein kräftiges ›Amen‹.«

      Wir hoben die Gläser und tranken uns fröhlich zu. Dann beugte er sich zu mir und senkte die Stimme. »Glaube und Wahnsinn sind manchmal sehr nah beieinander.«

      »Wie kommen Sie denn darauf?«

      Er flüsterte nur noch: »Weil ich seit einiger Zeit Visionen habe - und mich frage, ob ich nicht langsam verrückt werde. Oder ob das möglicherweise doch so eine Art himmlisches Zeichen ist.«

      »Visionen? Was meinen Sie denn damit?«

      »Nennen wir es lieber Träume. Oder besser: einen Traum. Es ist ein Traum, den ich seit Wochen immer wieder habe. Und er ist viel klarer, als Träume es gewöhnlich sind. Ich sehe die Dinge scharf und präsent - und kann mich am Morgen an jedes Detail erinnern. Und irgendwie hat es etwas mit diesem Reiher zu tun.«

      »Was denn für ein Reiher?«

      Sein Mund war jetzt fast an meinem Ohr: »Anfang Januar saß eines Abends ein afrikanischer Reiher auf meinem Balkon.Ardeola ibis. Den erkennen Sie an den roten Beinen. Der hat zu dieser Jahreszeit nun wirklich nichts in Deutschland zu suchen. Und ich vermutete zuerst, das wäre ein Hinweis auf die Klimakatastrophe - vor allem, weil der Vogel mich so intensiv anstarrte. Ich machte die Vorhänge zu und dachte nicht weiter daran.Aber in jener Nacht hatte ich zum ersten Mal den Traum. Seither taucht dieser Reiher regelmäßig auf. Und jedes Mal träume ich dann nachts.«

      Ich musste schlucken. »Und was träumen Sie, wenn ich fragen darf?«

      »Sie werden lachen.«

      Ich hob demonstrativ die Hände. »Auf keinen Fall. Ich bitte Sie. Sie haben mir zugehört. Und ich werde Ihnen auch gerne zuhören.«

      »Gut.Aber bitte nicht lachen. Ich weiß ja selbst nicht, wie ich das alles einordnen soll.Vielleicht erweist sich das Ganze als reine Fantasie, als nervliche Überreizung oder so etwas.«

      »Jetzt erzählen Sie schon.«

      »Also: Ich sehe Shingwezi vor mir, eine Elefantenkuh, mit der ich es einmal vor langer Zeit zu tun hatte. Sie ruft mich zu sich. Sie braucht meine Hilfe. Sie bittet mich, zu ihr zu kommen und sie zu befreien - aus dem von Elefanten völlig übervölkerten Krügerpark. Sie braucht mich, ich weiß es. Das ist der verzweifelte Ruf einer leidenden Kreatur aus der Wildnis.«

      Ich trank einen Schluck von meinem Wein. »Einmal angenommen, das stimmt und Sie hören tatsächlich den Hilferuf eines Tieres: Wie stellt sich diese Elefantin in Ihrem Traum das denn vor? Sollen Sie einen solchen Dickhäuter hier in Ihrem Vorgarten halten?«

      Hannibal Mayer trommelte nervös mit den Fingern auf dem Tisch. Dann hauchte er geheimnisvoll: »Sie sind der erste Journalist, dem ich davon erzähle. Und ich komme mir irgendwie komisch dabei vor.Aber diese Träume sind einfach zu real.Außerdem ist die Antwort auf Ihre Frage gar nicht so schwer: Ostdeutschland!«

      »Ostdeutschland? Verstehe ich nicht.«

      »Sehen Sie, ich komme aus dem Osten und leide sehr darunter, dass dort inzwischen ganze Landstriche fast entvölkert sind, weil die Menschen abwandern. Und ich habe das Gefühl - aber bitte, das ist meine Interpretation -, dass Shingwezi mich ermutigen will, auf den riesigen brachliegenden Flächen in Ostdeutschland eine Art Elefantenlodge aufzumachen. Ich muss selbstkritisch sagen: Vielleicht meldet sich da auch einfach der Unternehmer in mir. Das Erstaunliche ist nur: Ich habe letzte Woche eher zufällig mit dem zuständigen Kreisvorsteher vom Niederen Fläming in Sachsen-Anhalt gesprochen - und der war hin und weg von der Idee. Schließlich wäre das endlich einmal ›Aufbau Ost‹ konkret. Die Region bekäme eine echte Touristenattraktion, es gäbe viele neue Arbeitsplätze und die Infrastruktur würde gestärkt. Jedenfalls hat dieser Kreisvorsteher die Idee gleich in den Kreisbeirat eingebracht, und seitdem ruft mich fast jeden Tag ein Bauer an, der mir noch ein paar Hektar Land für das Projekt ›Elefantenpark‹ anbieten möchte.«

      Ich hob die Hand. »Jetzt mal langsam. Bitte noch mal von vorne. Ich habe das noch nicht richtig verstanden. Sie meinen ernsthaft, ein Tier ermutigt Sie im Traum, ein Elefantengehege in Ostdeutschland aufzumachen? Wer ist diese Shingwezi überhaupt?«

      Da erzählte er mir die ganze Geschichte: von seiner Zeit in Südafrika, der bewegenden Freundschaft mit Bongani, von ihrer Suche nach den weißen Löwen, von der Jagd der Raubkatzen auf Epila, das Elefantenjunge, und der wagemutigen Rettungsaktion des Schwarzen. Ich lauschte seinen Worten gebannt und unterbrach ihn kein einziges Mal.Als er fertig war, fragte ich: »Und Sie glauben ernsthaft, dass diese Elefantenmutter jetzt mit Ihnen spricht? Dass sie Kontakt aufgenommen hat?«

      Da sah er mich ganz erstaunt an: »Natürlich. Ich bin doch ihr Kind. Und Familienmitglieder müssen zusammenhalten.«

      Ich hob die Hand, um noch einmal Getränke zu bestellen. Aber auch, weil meine Gedanken sich erst wieder ordnen mussten. Dann sagte ich: »Einiges ist mir noch unklar. Können Elefanten überhaupt in Deutschland leben? Also: im freien Gelände.«

      Hannibal riss sich wieder ein Haar aus. Dann sagte er ruhig: »Selbstverständlich. Elefanten leben auf Meereshöhe, aber auch in Hochmooren auf viertausend Metern Höhe. Die kommen fast überall zurecht.Wussten Sie nicht, dass noch vor dreitausendsiebenhundert Jahren auf der Wrangel-Insel Mammuts lebten? Das war erdzeitlich gerade erst gestern. Ich sage Ihnen eines: Sachsen-Anhalt hat ideale Bedingungen für eine Neuansiedelung der Elefanten in Mitteleuropa. Hier im Opel-Zoo ist man unglaublich stolz darauf, dass 1965 und 1968 zwei Kälber geboren wurden. Elefantenzucht in Europa. Das war damals eine Sensation. Doch im Niederen Fläming könnten die Tiere sich unter ganz natürlichen Bedingungen fortpflanzen. Warum soll Ostdeutschland nicht wieder eine natürliche Elefantenregion werden?«

      Ich nickte der Kellnerin kurz zu, die zwei weitere Gläser Wein brachte. Dann nahm ich hastig einen Schluck. »Also: Sie wollen diese Shingwezi mit einem Container hierherbringen. Und dazu einen Bullen. Oder wie muss ich mir das vorstellen?«

      Hannibal Mayer winkte ab. »Habe ich das nicht erwähnt? Shingwezi ist die Matriarchin einer großen Herde von etwa hundert Tieren. Elefanten leben in Verbänden, die von einem weisen und erfahrenen Muttertier angeführt werden.Wie gesagt: Bisher ist das alles nur eine verrückte Idee. Ausgelöst durch diesen wiederkehrenden Traum.Aber es stimmt:Wenn, dann müsste ich alle hierherbringen.«

      »Wie bitte? Hundert Elefanten? Das wird ja wohl ziemlich teuer.«

      Jetzt lachte er. »Richtig. Und deshalb bleibt nur die Option zu Land. Die Strecke dürfte in einem Jahr zu schaffen sein.«

      Jetzt verschlug es mir fast die Sprache. »Sie überlegen ernsthaft, mit hundert Elefanten von Südafrika nach Sachsen-Anhalt zu ziehen? Das ist doch absurd.«

      Seine Stimme klang ein wenig gereizt, als er erwiderte. »Wieso? Mir fallen viel absurdere Sachen ein: Es gibt Menschen,

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