Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten. Fabian Vogt

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Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten - Fabian Vogt

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ihm direkt in die Augen sieht, geht dieser Blick bis in die Seele.

      Bongani strahlt ihn an: »Sie hat uns soeben adoptiert.«

      »Wie bitte?«

      »Ja. Sie hat verstanden, dass wir ihr Kind gerettet haben, und uns aus Dankbarkeit adoptiert. Sie wird von nun für uns sorgen wie für jedes ihrer Familienmitglieder. Du kannst stolz sein. Das passiert nur sehr selten.Vor allem aber gilt diese Adoption für alle Zeiten. Denn Elefanten haben ein gutes Gedächtnis. Also: Herzlich willkommen in der Familie der Elefanten.«

      Tshwane guckt ungläubig. Dann fängt er an zu lachen. Ein erleichtertes, fröhliches Lachen. Er hat das Gefühl, endlich in Afrika angekommen zu sein.

      Die Bilder, die Bongani ungewollt bei der Vertreibung der Löwinnen gemacht hat, schaffen es im September 1970 bis ins Time Magazine und sorgen dafür, dass sich Forschergruppen aus der ganzen Welt auf die Suche nach den geheimnisvollen weißen Raubtieren machen - und sie auch finden. Seither ist das ursprünglich 1956 eingerichtete Timbavati Game Reserve vor allem für seine seltene Population weißer Löwen bekannt, die auf einem Gen eine rezessive Mutation haben.

      Tshwane aber erfährt zwei Wochen nach der Konfrontation mit den Wildtieren von seinen Eltern, dass die Familie in die DDR zurückkehren wird, weil sein Vater dort als Missionar arbeiten möchte. Schon kurze Zeit später reist er ab.Vor dem Abflug schwört der verzweifelte Junge seinem Freund Bongani in den Kronen des Mopane-Baumes ewige Freundschaft und beteuert, dass er sich regelmäßig melden wird. Doch als die Pubertät Tshwane in Deutschland wie ein heißer Wüstensturm überfällt und er sich zum ersten Mal verliebt - zum Schrecken seines Vaters in das frühreife FDJ-Mädchen Gisela -, vergisst er alle seine Versprechungen.

      Nur das Bild von Shingwezi, die er in der ihm in Afrika verbliebenen Zeit nicht mehr wiedergesehen hat, begleitet Tshwane all die Jahre.Als wüsste er tief in sich, dass sie sein Leben noch einmal von Grund auf durcheinanderbringen und verändern wird. Elefanten haben ein gutes Gedächtnis.

      12. Dezember 2003

      Der Schuss sitzt. Aus siebzig Metern Entfernung. Gekonnt. Der Wildhüter nickt seinen beiden Begleitern zufrieden zu. Jetzt können sie nur noch warten, bis das Narkotikum wirkt. Das dauert einige Minuten.

      Hoch aufragende Kumuluswolken ziehen vorüber und legen ihre Schatten wie samtene Decken über die Ebene. Die Männer war-ten im Schutz eines Baumes. Sie beobachten das angeschossene Tier aus sicherer Entfernung. Der Wildhüter mit einem alten Armee-Fernglas vor dem Gesicht.

      Der Elefantenbulle wirft immer wieder den Kopf hoch. Irritiert. Und verärgert. Er überlegt, ob er die Eindringlinge angreifen soll oder nicht. Doch seine Bewegungen verlieren schon jetzt erkennbar an Kraft. Unruhig schwenkt er den Rüssel hin und her. Fängt an zu weben, wie das gleichmäßige Schaukeln von einem Bein auf das andere bei Elefanten genannt wird. Ein gigantisches Uhrenpendel, das immer langsamer wird: Die Zeit verrinnt lautlos, doch ihre Geschwindigkeit nimmt ab. Kurz darauf knicken die Vorderbeine des fast vier Meter hohen Bullen ein.

      Jetzt rennt der Wildhüter los. Denn der Elefant muss in der richtigen Position zum Liegen kommen.Wenn er falsch landet, kann es passieren, dass die Eingeweide so sehr auf das Zwerchfell drücken, dass das riesige Tier erstickt. Doch es geht alles gut. Der Elefant legt sich ruhig hin und schließt die Augen.

      Dennoch wartet der Wildhüter weitere fünfzehn Minuten, bevor er sich dem Bullen nähert. Er hat vor nicht allzu langer Zeit erlebt, dass einer seiner Kollegen von einem Elefanten zerquetscht wurde, weil sich ein scheinbar schlafender Dickhäuter noch einmal aufrichtete und den unvorsichtigen Mann gegen einen Felsen drückte. Ein unschöner Tod. Und vor allem überflüssig.

      Als der Schütze sicher ist, dass der Bulle schläft, ruft er mit dem Walkie-Talkie seine an der Straße wartenden Helfer. Die erscheinen kurz darauf mit einem Kranwagen und einem Schwerlasttransporter. Sechs bis sieben Tonnen wiegt der Elefant, schätzt einer der zu warm angezogenen Männer, die schon beim Abschuss mit dabei waren, in holprigem Englisch. Er sagt dann etwas auf Russisch zu seinem Nachbarn, was dieser mit einem rauen Lachen quittiert.

      Dreißig Minuten später ist der Elefant verladen. Und die Männer sind schweißgebadet.

      Sie werden das Tier in einem Camp an die Transportkiste gewöhnen und dann - in einigen Wochen - mit dem Schiff an seinen Bestimmungsort bringen.

      Ein guter Tag.

      Denken sie.

      14. Februar 2004

      Samstags ist der Opel-Zoo in der Nähe von Frankfurt am Main immer überfüllt.Vor allem bei schönem Wetter. Kinderhorden drücken sich an den Glasscheiben die Gesichter platt,Väter schieben, meist lustlos, widerspenstige Buggis über holprige Wege und Mütter rufen mit schrillen Stimmen entnervt nach trotzigen Mädchen oder heulenden Jungen, denen ihr Eis heruntergefallen ist. Eis! Im Februar. Über tierische Verhaltensweisen kann man an solchen Tagen wesentlich mehr vor als hinter den Gittern lernen.

      Ich weiß nicht, warum ich an diesem Samstag eine Karte für den Tierpark gekauft habe. Eigentlich hasse ich Menschenansammlungen. Doch wenn ich es nicht getan hätte, wären Hannibal und ich uns nie begegnet. Und ich hätte all die unglaublichen Erfahrungen in Afrika verpasst. Heute sehe ich in den Ereignissen dieses Tages eine Fügung, damals hätte ich sie eher als Zufall bezeichnet.Andererseits, wenn einem etwas zufällt, muss es ja jemand losgelassen haben. Wie dem auch sei: Das größte Abenteuer meines Lebens begann am Valentinstag 2004 in einem kleinen Zoo im Vordertaunus.

      Ich war, wie ich das gelegentlich tue, zur Entspannung den örtlichen Philosophenweg entlanggelaufen, der zwischen Königstein und Kronberg durch ein malerisches Tal führt - und als öffentlicher Wanderpfad den Zoo durchquert, sodass man, auch ohne zu bezahlen, am Nilpferdbassin, an den Affenhäusern und an einigen anderen Gehegen vorbeikommt.

      Ich fühlte mich in diesem Winter ziemlich miserabel, weil kurz zuvor eine langjährige Beziehung in die Brüche gegangen und ich auch beruflich an einen toten Punkt gekommen war. Ich hatte viele Jahre erfolgreich außergewöhnliche Reportagen für nationale und internationale Magazine geschrieben (am bekanntesten sicher: »Afghanistan - Gute Landmine zum bösen Spiel?«, »Geheime Konten in Kairo - Jeden Monat ein Auszug aus Ägypten?« und »Über Laichen - Das Liebesleben des Dorsches«) und war für einen investigativen Bericht über »Die schwarzen Geschäfte der Öl-Mafia« sogar mit dem World-Press-Preis ausgezeichnet worden. Doch das ewige Herumreisen und das Springen von einem Projekt zum nächsten hatten mich müde und auch ein wenig mürbe gemacht. Ähnlich erging es mir mit meinem zweiten Standbein, der Musik. Ich hatte mich wiederholt dabei ertappt, dass ich beim Komponieren eigene ältere Melodien recycelte. Kurzum: Mir fehlte die Inspiration. Und weil ich ohnehin nicht genau wusste, was ich mit meinem Leben beziehungsweise mit diesem Tag anfangen sollte, kaufte ich mir eben eine Eintrittskarte für den Zoo. Zum Glück.

      Wenig später stand ich mit Dutzenden anderer Menschen am äußeren Zaun des Elefanten-Freigeheges und beobachtete neugierig zwei große, graue Dickhäuter, die pausenlos Karotten in ihre Münder hineinstopften. Mit ihren Rüsseln holten sie das Gemüse aus unzähligen Kinderhänden, die sich ihnen gierig entgegenstreckten.

      »Willst

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