Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten. Fabian Vogt

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Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten - Fabian Vogt

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angeblich eingeräumt wurde. Bongani selbst musste schon wenig später die Schule verlassen, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Er fing an, in einem Krankenhaus zu arbeiten, blieb dort fast siebzehn Jahre - und erlebte hautnah mit, wie das Ende der Apartheid die Lebensentwürfe von Millionen Menschen veränderte. Der hochgeschossene Schwarze war zweiunddreißig Jahre alt, als Nelson Mandela und die anderen Führer des ANC freigelassen wurden, und sechsunddreißig, als am 27.April 1994 Lebowa zusammen mit den neun anderen Homelands wieder mit Südafrika vereinigt wurde.

      Als Bongani mir beschrieb, wie sie damals nächtelang feierten und tanzten, immer wieder die bislang verbotene Hymne »Nkosi Sikelele Afrika« (Gott segne Afrika) sangen und die neue Flagge mit dem Regenbogen schwenkten, kamen ihm die Tränen. »Es war, als finge unser Leben jetzt erst an.Wer den Schritt von der Unfreiheit in die Freiheit nie erlebt hat, der weiß nicht, was es bedeutet, frei zu sein. Nicht mehr unterdrückt, nicht mehr gedemütigt, nicht mehr voller Ängste und Zweifel. Frei. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das war wie eine Bekehrung.«

      Wenig später wurde Mandela als erster schwarzer Präsident des »Neuen Südafrika« vereidigt. Und Bongani verließ das ehemalige Homeland sofort, um die ungewohnte Freiheit auszukosten. Nacheinander arbeitete er in sehr verschiedenen Jobs - überall im Land: Er wurde zuerst Aquarienpfleger im frisch eröffneten Waterfront Two Oceans Aquarium in Kapstadt und tauchte dort täglich in den Bassins umher, um die Scheiben von innen zu reinigen. Und wie nicht anders zu erwarten: Er fand in der Anlage schnell einen ungewöhnlich intensiven Kontakt zu den Robben und Seelöwen und träumte schon von einer dauerhaften Anstellung als Pfleger. Doch dann verliebte sich die Freundin seines Vorgesetzten in ihn, wartete mehrfach halbnackt in der Männerumkleide auf ihn und war sehr beleidigt, als Bongani ihrem prallen Po nicht verfiel. Kurz darauf wurde er entlassen.

      Danach führte der Schwarze einige Jahre lang Touristen durch Bloemfontein, installierte goldfarbene Satellitenschüsseln, verkaufte Abonnements des Erotik-Magazins »Loslyf«, spielte einen aufsässigen Sklaven im Goldsucher-Freizeitpark Gold Reef City, pflegte die Gartenanlagen in Sun City, dem Las Vegas Südafrikas, und zog schließlich ganz nach Johannesburg, um dort in einem Heim für Aidswaisen zu arbeiten. Jedoch: Seine Frau Dana wurde 1998 auf offener Straße von einem aggressiven Zulu wegen eines Rings im Wert von sechzig Rand erschossen - und weil die beiden keine Kinder hatten, stand Bongani plötzlich wieder ganz allein da.

      Da beschloss er, noch einmal alles auf eine Karte zu setzen, und fing mit vierzig Jahren an, das Abitur nachzumachen. »Sie haben mir meine Jugend gestohlen. Und ich wollte sie mir zurückholen.Verstehst du, Fabian?« Ich verstand ihn gut.

      »Weißt du, eines habe ich begriffen: Jeder Mensch wird mit einer Aufgabe auf die Welt geschickt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott mir die Gabe des Elefantenflüsterns geschenkt hat, wenn ich sie nicht einsetzen soll. Darum wollte ich das Abitur nachmachen und Tiermedizin studieren.«

      Ich zog die Augenbrauen hoch. »Wieso wollte?«

      Bongani legte die Hände zusammen. Fast genüsslich. »Weil Shingwezi mich gerufen hat.«

      »Dich auch?«

      »Ja. Und jetzt habe ich endlich die Möglichkeit, meine Gabe einzusetzen. Lass uns gemeinsam diese Herde nach Deutschland führen und dort ein Wunder des 21. Jahrhunderts vollbringen: die Wiedereinbürgerung des Elefanten in Europa.«

      Ich beugte mich vor: »Wie lange brauchst du noch für das Abitur?«

      Der Schwarze zog die Augenbrauen verschmitzt hoch. »Ein Jahr, aber das ist jetzt egal. Ich kann in eurem Land arbeiten. Im Elefantengehege. Wozu brauche ich da eine Ausbildung?« Er schüttelte leicht den Kopf. »Die Träume, die wir nach dem Ende der Apartheid hatten, haben sich nicht erfüllt. Der Kampf zwischen Schwarz und Weiß geht weiter.Tausende sterben in diesem Land jedes Jahr aufgrund der Kriminalität. Und sieh dir unsere Häuser an: Das sind keine Häuser mehr, das sind Burgen, Festungen. Umgeben von hohen Mauern, Stacheldraht und Elektrozäunen. Ich kenne keine Familie, in der nicht schon jemand überfallen, ermordet oder verschleppt wurde. Euer Deutschland ist besser.Viel besser. Und dass Tshwane und ich noch einmal zusammen ein Abenteuer erleben würden, das wusste ich schon, als wir 1970 das Elefantenjunge Epila retteten.«

      »Wie hast du Bongani eigentlich gefunden?«, fragte ich Hannibal. Der guckte seinen Freund an, riss sich ein Haar aus - und beide brachen in Lachen aus. »Du wirst es uns nicht glauben.«

      Jeder wollte die Geschichte zuerst erzählen, dann aber ließ der Schwarze Hannibal glucksend den Vortritt. Der trank mir zu und fing mit leuchtenden Augen an: »Also:Als ich in Südafrika landete, hatte ich weder eine Adresse noch sonst irgendeine Ahnung, wo ich suchen sollte. Eine einheimische Detektei, die ich von Deutschland aus gebeten hatte, Bongani ausfindig zu machen, konnte mir zwar sagen, dass er kurze Zeit in Kapstadt ansässig gewesen war, dann aber hatte sich kein weiterer Hinweis ergeben …«

      Bongani unterbrach ihn: »Die Reiher haben uns gefunden.«

      Mein Ausatmen war so laut, dass ich selbst erschrak. »Die Reiher?«

      Hannibal zuckte mit den Achseln. »Es klingt absurd. Und das ist es auch. Nachdem ich mehrere Tage vergeblich Adresslisten und Behörden abgegrast hatte, um Bongani zu finden, saß plötzlich wieder so ein Reiher vor meinem Fenster.«

      Der Schwarze streckte den Kopf zur Seite. »Und vor meinem!«

      Hannibal wirkte etwas genervt. »Ja, Bongani, lass mich doch einfach erzählen. Das Tier saß da also und ich hatte plötzlich den Eindruck, ich sollte mich in mein Auto setzen. Also fuhr ich los, dem Vogel nach, der etwa dreißig Meter über mir flog. Zumindest empfand ich es so.Allerdings fliegen die Viecher hier ja überall rum …«

      Bongani atmete laut aus. »Und wieso war auch bei mir genau an diesem Morgen ein Reiher? Ich sage dir: Das war ein Zeichen.«

      »Egal. Die Hauptsache ist, was dann passierte. Als ich im Süden aus Pretoria herauskam, sah ich plötzlich einen riesigen Würfel vor mir, einen bestimmt vierzig Meter hohen Granitklotz, der in der Sonne glitzerte. Ich fuhr neugierig darauf zu, und weil der Reiher dort landete, parkte ich den Wagen und ging näher. Es war das Voortrekker Monument. Kennst du das, Fabian?«

      Ich verneinte.

      »Pass auf, das Voortrekker Monument erinnert an den großen Treck der Buren in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. Damals hatten die Engländer im Süden in der Kap-Region die Macht und unterdrückten die Buren immer mehr. Deshalb kam es zu einer Art Völkerwanderung der holländisch- und deutschstämmigen Siedler in das damals noch unerschlossene afrikanische Landesinnere. Diese sogenannten Voortrekker wollten eine eigene Gesellschaft etablieren und zogen deshalb mit Tausenden von Ochsenkarren in die Wildnis. Natürlich kam es dabei auch zu grausamen Kriegen mit den Einheimischen - vor allem mit den Zulu.Aber die Buren waren so viel besser ausgerüstet, dass sie am Ende wirklich eigene Republiken gründen konnten.«

      Ich sah Hannibal erwartungsvoll an. »Ja und?«

      »Was ›Ja und‹? Begreifst du nicht: ein Denkmal für einen großen Treck, der ein ganzes Land verändert hat. Männer, die 1835 bereit waren, sich auf eine große Expedition zu machen, weil sie einen Traum hatten: Hendrik Potgieter,Andries Pretorius und Piet Retief. Sie wagten das Unmögliche - und kamen an. Ein Denkmal für einen großen Traum. Ein ermutigendes Signal …«

      Ich unterbrach ihn: »Und du meinst, dass das ein Zeichen ist, dass auch deine … äh, unsere Tour ankommt? Klingt das nicht ein bisschen sehr romantisch? ›Schaut her: Bald braucht ihr auch für uns ein Monument!‹«

      Hannibal presste die Zähne zusammen. Ich war mir allerdings nicht

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