Der fromme Chaot auf Gemeindefreizeit. Adrian Plass
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Anruf von William Ebson. Nach vielen Gebeten habe er die geistliche Gewissheit, dass er und Lorna durch die Gnade Gottes wieder zusammenfinden und deshalb nun doch nur Gemeindefreizeit mitkommen würden, wenn das noch ginge. Großartige Neuigkeit! Setzte die Ebsons wieder auf meine Liste.
Anruf von Lorna Ebson. William und Gott seien vielleicht der Meinung, sie seien wieder zusammen, aber sie sehe das anders. Ob ich sie von der Liste streichen oder aber William ein Einzelzimmer zuweisen könnte, falls er unbedingt allein mitkommen wollte? Strich sie als Paar von der Liste und trug mit Bleistift ein Einzelzimmer für William ein.
Anruf von William Ebson, der bestätigte, er werde bei der Gemeindefreizeit ein Einzelzimmer benötigen. Trug ihn mit Tinte ein.
Anruf von Lorna Ebson. Sie und William hätten sich gerade getroffen und miteinander gebetet, und es habe ein machtvolles Versöhnungswunder stattgefunden. Sie würden sich nun doch nicht trennen und benötigten wie ursprünglich erbeten ein Doppelzimmer bei der Gemeindefreizeit. Setzte beide wieder auf die Liste. Löschte Williams Einzelzimmer mit Tipp-Ex.
Inzwischen habe ich den Namen „Ebson“ so oft geschrieben, dass er zu einem bedeutungslosen Wort geworden ist. Interessanterweise ist mir das schon einmal mit dem Wort „Kord“ passiert. Es schwirrte mir im Kopf herum wie eine Biene, die in einer Schachtel gefangen ist.
„Kord, Kord, Kord, Kord, Kord, Kord …“
Brachte mich schier zum Wahnsinn.
Traf Gerald und sagte beiläufig. „Mir geht schon die ganze Woche das Wort ‚Kord‘ im Kopf herum.“
„Wieso das denn?“
„Ach, das spielt keine Rolle. Was ich sagen wollte, ist, dass ich es jetzt schon so oft vor mich hingesagt habe, dass ich kaum noch weiß, was es bedeutet.“
Darauf Gerald: „Ach, erzähl mir nichts, Paps! Das kannst du ja wohl nicht vergessen haben, oder? Du weißt ganz genau, dass das eine Art Straße ist, die aus quer über ein Sechseck gelegten Baumstämmen besteht.“
Zu verdattert um zu widersprechen. Griff bei nächster Gelegenheit zum Duden, um nachzuschlagen. Wie kommt der bloß auf solche Ideen? Als ich mich am nächsten Morgen anzog, sagte Anne: „Du hast schon lange nicht mehr deine Baumstammhosen angehabt, Liebling. Ich habe sie dir übers Sechseck gelegt …“
Heutzutage weiß man nie, ist das Telepathie oder SMS?
Letzten Endes gab ich es auf, mich zu fragen, ob die Ebsons mitkommen würden. Wir haben sie angemeldet und hoffen das Beste. Überlege dauernd, ob es wohl ihre gemeinsamen Nasenaufhängungsprobleme waren, die sie ursprünglich zusammengeführt haben.
Als ob ich nicht schon genug Probleme hätte, setzte Dennis eines Abends kurz den Schnorchel ab und sagte, er finde, es wäre bestimmt sehr hilfreich, gegen Ende der Freizeit eine Plenarrunde durchzuführen. Ob ich Lust hätte, dabei die Leitung zu übernehmen?
Darauf ich: „He, ja, klar, gute Idee! Das mache ich sehr gern. Fand ich schon immer ganz toll – Plenarrunden, meine ich. Geht doch nichts über so eine gute alte Plenarrunde. Ja, prima!“
Während er in den Schlaf abdriftete – wahrscheinlich zu einem träumerischen Tauchgang, um sich an den schillernden Farben tropischer Fische und natürlicher Korallen zu ergötzen –, empfand ich den dringenden Wunsch, ich hätte direkt gesagt, dass ich nicht weiß, was eine Plenarrunde ist. Warum mache ich so etwas immer noch? Warum tue ich mit Mitte sechzig immer noch so, als wüsste ich über Dinge Bescheid, von denen ich in Wirklichkeit keine Ahnung habe? Was ist eine Plenarrunde? Keinen Schimmer. Hört sich irgendwie nach Planen oder Planieren an. Muss nachschlagen, sobald ich dazu komme. Nur gut, dass es Google gibt.
An einem Samstag kam Gerald vorbei, um über die Planung der Freizeit zu sprechen. Zeigte ihm ein Buch namens Geistliches Ethos schaffen von einem gewissen Denver Mountainberger, das ich mir gekauft habe. Ein Amerikaner, glaube ich.
Gerald warf einen Blick darauf und sagte: „Hm, komisch, oder? Schon wieder eine Nummer eins auf den internationalen Bestsellerlisten. Wie kommt es eigentlich, dass jedes christliche Taschenbuch aus Amerika, das ich je gesehen habe, Nummer eins auf den internationalen Bestsellerlisten ist? Das kann doch nicht bei allen stimmen, oder? Ich meine, per definitionem müssten doch schließlich manche Bücher Nummer zwei, drei, vier und so weiter sein, damit andere die Nummer eins sein können, oder?“
Gerald hatte schon immer die Neigung, lieber die kleinen Abzweigungen zu erkunden, statt friedlich die Hauptstraße entlangzutuckern.
In einem Kapitel mit dem Titel „Eine ganz besondere Zeit“ schildert Mountainberger, wie die Mitglieder seiner Gemeinde während einer Wochenendfreizeit eine ihrer Mahlzeiten in völliger Stille einnahmen, mal abgesehen von der inspirierenden geistlichen Musik, die am hinteren Ende des Speisesaals spielte. Das Ergebnis war, sagt er, eine „Vertiefung der Bande zueinander und zu Gott, eine wahrhaft herzerwärmende Zeit, voller Liebe, Gnade und geistlicher Harmonie durch die zwar lautlose, aber umso beredsamere Begegnung unserer Blicke.“
Dachte mir, das könnten wir bei unserer Freizeit ja auch mal versuchen. Las den kurzen Abschnitt abends im Bett Anne vor. Sie gähnte, runzelte die Stirn und sagte: „Wie vertieft man denn Bande? Müsste man sie nicht eher stärken oder festigen oder so? Die Stelle, die du gerade vorgelesen hast, hört sich so an, als ob sich die Bande in die Haut einschneiden.“
Bewahrte meinen Gleichmut und sagte: „Darauf kommt es doch jetzt gar nicht an. Was hältst du allgemein davon, dass wir eine Mahlzeit schweigend einnehmen?“
Sie gähnte abermals. „Ach, ich weiß nicht … es ist ja schließlich eine Familienfreizeit, nicht? Was machen wir mit den Kindern?“
Ich erwiderte: „Na ja, ganz ehrlich, wenn Eltern ihre Kinder im Laufe eines ganzen Wochenendes nicht einmal eine Stunde lang im Zaum halten können, dann stimmt doch etwas nicht mit dem Ganzen – mit Eltern, die das nicht schaffen. Aber spricht dich dieser Gedanke einer wahrhaft herzerwärmenden Zeit voller Liebe, Gnade und geistlicher Harmonie denn nicht an?“
Darauf Anne: „Doch, klar, hört sich wunderbar an. Gerade deshalb denke ich ja, dass eine schweigende Mahlzeit bei einer Familienfreizeit wahrscheinlich keine so gute Idee ist.“
Fragte am nächsten Morgen Gerald, was er von meiner Idee mit der Schweigemahlzeit hielt. Ich sagte: „Mama scheint nicht sehr erpicht darauf zu sein, aber sie sieht auch nicht immer alles richtig. Zum Beispiel dachte sie dieses Jahr irgendwann mal, sie hätte unrecht, aber dann stellte sich heraus, dass sie sich irrte. Da sieht man ja, dass sie nicht immer recht hat.“
Verschwand auf die Toilette, bevor er etwas dazu sagen konnte. Schaute mich noch einmal um und sah, wie er mir erstaunt hinterhersah. Schön zu wissen, dass man seinen eigenen Sohn nach all den Jahren noch beeindrucken kann.
Bevor Gerald sich nach dem Mittagessen auf den Heimweg machte, fragte ich so beiläufig wie möglich: „Macht ihr bei euch in der Gemeinde viele Plenarrunden, Gerald, oder … oder nicht?“
„Na ja – manchmal schon, denke ich, ja. Wieso fragst du?“
„Ach, weißt du, ich habe mich nur gefragt, was für interessante Dinge bei denen passiert sind, die du geleitet oder organisiert oder – gemacht hast?“