Die Rache des Inquisitors. Alexander Hartung
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Schließlich wurden Klaras Atemzüge ruhiger, und ihre Augen fielen zu. Markus legte das Tuch zur Seite und betrachtete die junge Frau. Sie schien endlich wieder traumlos zu schlafen. Markus lächelte zufrieden und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er wollte nur für einen Moment die Augen schließen.
Friedrich begleitete den kleinen Wagen mit Marias Leiche. Es war schwer für ihn zu glauben, dass eine so sanfte Frau eine solch verzweifelte Tat begangen hatte. Sie war gläubige Christin gewesen, daher hatte sie gewusst, dass der Freitod eine unverzeihliche Sünde war, doch schien der Gram über ihren Glauben gesiegt zu haben. Sie war von den Inquisitoren zu ihrer Aussage gezwungen worden. Jeder in dem Raum hatte das gesehen, und doch hatte sie sich am grausamen Tod von Agnes so schuldig gefühlt, dass sie nicht mehr leben wollte. Egal, was sie gesagt hätte, es hätte nichts am Schicksal der alten Kräuterfrau geändert. Doch diese Erkenntnis hatte ihr Leid nicht mildern können.
Friedrich bekreuzigte sich. Wie verzweifelt musste ein Mensch sein, in der dunklen Nacht in einen kalten, abweisenden Raum zu gehen, einen Strick um einen Balken zu werfen und sich eine Schlinge um den Hals zu legen, fern von Freunden und Verwandten, mit dem Wissen, dass die eigene Seele der ewigen Verdammnis anheimfallen würde? Er blickte auf den Wagen. Marias kleiner Körper war unter einer alten Pferdedecke verborgen. Gleichwohl konnte er ihren letzten Gesichtsausdruck nicht verdrängen, die Augen im Schrecken geöffnet und die Zunge grotesk aus ihrem Mund hängend. Friedrich versuchte, sich die schönen Erinnerungen an Maria ins Gedächtnis zu rufen, ihre zuvorkommende Art, ihren Fleiß bei allem, was sie tat. Doch sosehr er sich bemühte, diese Bilder wurden ständig von der hängenden Maria abgelöst, die ihrem Leben auf eine solch grausame Art ein Ende gesetzt hatte.
Bei dem Begräbnis eines Selbstmörders durften keine Gebete gesprochen werden, und niemand würde den toten Körper segnen, daher faltete Friedrich die Hände und begann leise mit dem Vaterunser. Er hoffte, dass Gott in seiner Gnade die Wahrheit hinter dieser Tat verstehen und Marias Seele nicht der ewigen Verdammnis aussetzen würde. In dieser Nacht galten seine Gebete ihr.
Peter saß auf einem Baumstumpf oben auf dem kleinen Hügel. Von dort aus hatte man eine gute Sicht über das Dorf. Hierhin zog er sich immer zurück, wenn er seine Ruhe wollte. Einzig mit Klara hatte er diesen Ort geteilt. Dann hatten sie zum Himmel geblickt, die Augen geschlossen und sich von der Sonne das Gesicht wärmen lassen. Doch heute waren graue Wolken aufgezogen, die den Wald in ein kaltes, abweisendes Licht tauchten.
Er vermisste Klara, ihre sture Art und ihre ständigen Nörgeleien. Er sehnte sich nach den kleinen Predigten über Anstand und Moral, die sie ihm hielt, wenn sie ihn wieder bei einer amourösen Liebschaft ertappt hatte, und nach ihren kleinen Zornausbrüchen, wenn er darüber eine anzügliche Bemerkung gemacht hatte. Wie oft hatte sie schon Steinchen nach ihm geworfen oder versucht, ihn mit einem Ast zu schlagen! Jedes Mal war er dann lachend weggelaufen, mit dem zufriedenen Wissen, ihren wunden Punkt getroffen zu haben. Er wünschte sich, wie früher einfach zu ihrem Haus gehen, sich in die Küche setzen und, unter den strengen Blicken ihres Onkels, den ganzen Abend ihren Erzählungen lauschen zu können. Heute Morgen war er bis vor ihr Haus gegangen. Dann hatte ihn der Mut verlassen. Er hatte sich geschworen, sie erst zu besuchen, wenn er ihr von einem Ende dieses Schreckens berichten konnte. Heute wollten die Inquisitoren abreisen, daher harrte er hier aus, um den Moment ihrer Abreise nicht zu verpassen. Vielleicht würde diese Nachricht den Schmerz über Agnes’ Tod ein wenig lindern.
Peter nahm einen Ast vom Boden, zog sein Messer aus seiner Hosentasche und begann, kleine Stücke aus dem Holz herauszuschnitzen. Er arbeitete ohne Ziel und ohne das Wirtshaus am Marktplatz aus dem Auge zu lassen. Der Waldboden vor seinen Füßen war von Spänen übersät, als der erste Soldat das Gebäude verließ. Sein Weg führte in den angeschlossenen Stall, in dem die Pferde und die Kutsche standen. Anscheinend wurde alles für die Abreise vorbereitet.
Peter ließ den Ast fallen und lief den Hügel hinunter. Er schlich die Straße entlang, bis er am Marktplatz angekommen war. Dort verbarg er sich in einer dunklen Ecke und beobachtete die Vorbereitungen des Aufbruchs. Der Wirt kam heraus. Schweiß tropfte von seiner Stirn, als er das Gepäck der Inquisitoren nach unten trug. Trotz seines beeindruckenden Gewichtes rannte Rainald ständig hinein und hinaus, als könnte er es selbst kaum erwarten, dass seine Gäste ihn wieder verließen. Der Markplatz war leer. Peter spürte unzählige Blicke hinter verschlossenen Läden oder aus verwinkelten Nebengassen, doch niemand schien der Inquisition noch einmal vor die Augen treten zu wollen. Der junge Inquisitor Thomas kam aus dem Wirtshaus und führte den blinden Prior in die Kutsche. Er wollte dem älteren Mann hineinfolgen, als ein Soldat gelaufen kam und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Peter ballte die Fäuste und hätte vor Zorn beinahe aufgeschrien.
Sicher hat es nichts mit uns zu tun, redete er sich ein. Vielleicht besprachen sie den Weg zu ihrem nächsten Ziel oder unterhielten sich über Belangloses. Das Gespräch schien sich zu einer Ewigkeit zu dehnen, bis Thomas dem Soldaten zunickte. Er besprach sich mit dem Prior in der Kutsche. Dann ließ er zwei Soldaten absitzen und winkte sie zu sich. Peter ahnte, dass irgendetwas vorgefallen war. Kaum dass die Soldaten von ihren Pferden gestiegen waren, lief er los. Sein Weg führte ihn über den Marktplatz tiefer in das Dorf hinein.
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