Die Psychologie des bürgerlichen Individuums. Группа авторов
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Dabei sind die Grundsätze des psychologischen Denkens so einfach wie verkehrt.
Das erste Prinzip besteht darin, den Bemühungen und Taten der Individuen ihren objektiven Inhalt und Zweck abzustreiten. Stets handelt es sich, ergreift ein Psychologe das Wort, um eine Auseinandersetzung der Leute mit sich selbst, mit ihrer Natur zugehörigen Kräften und Instanzen, die aber ihre Wirkung so tun, dass sie der Kontrolle des bewussten Willens ganz oder teilweise entzogen sind. So gegensätzliche Schulen wie die Psychoanalyse und die Verhaltenstheorie werden sich da lässig einig. Für einen Freud war es kein Problem, die literarischen Erzeugnisse eines Dostojewski aus seinem Seelenleben samt Kindheit zu deduzieren; ihm waren Liebe und Arbeit, Studium und Kommunismus gleichermaßen als Strategien zur Vermeidung von Unlust geläufig. Und einem Skinner erscheinen Denken und Sprechen, Staat und Religion als lauter Sonderfälle von durch allerlei Variable bedingtem Verhalten, von Prozessen und Mechanismen, die außer dem Verhaltenstheoretiker keiner kennt.
Das zweite Prinzip ist damit schon benannt. Der Mensch mag meinen, er hätte eine Vorstellung von sich und der Welt, würde sich Zwecke setzen und dafür Mittel suchen und schaffen; er mag sich einbilden, einen Verstand nicht nur zu haben, sondern ihn auch ständig zu gebrauchen – die Psychologie belehrt ihn eines anderen: Der freie Wille ist eine Fiktion, es gibt ihn nicht. Aus den in der Tat recht widersprüchlichen bis idiotischen Leistungen des freien Willens verfertigt ein Psychologe genüsslich die Warnung, man solle die „Rolle des Bewussten“ nicht überschätzen – so Freud –, und „erklärt“ das gesamte Treiben der Menschheit als unkontrollierte Äußerung von „unbewussten“ und „unterbewussten“ Kräften. Dabei stört ihn auch nicht die Logik; dem „Unbewussten“ unterschiebt er ohne große Umstände Leistungen des Urteilens, Schließens und der Verstellung, die den bewusst-berechnenden Umgang eines denkenden Subjekts mit der Welt auszeichnen. Die Verhaltenstheorie ist gleich so frei, explizit gegen „mentale Konzepte“ zu Felde zu ziehen und einen „Willen“ per Anführungszeichen für nicht existent zu erklären, weil eine „wissenschaftliche Betrachtung des Menschen“ eben voraussetze, dass „Verhalten gesetzmäßig und determiniert“ sei. Womit ein Skinner sehr direkt auf das Ergebnis zusteuert, das sich auch am anderen Ende des Spektrums psychologischen Denkens einstellt: Ein psychologisch geschulter Kopf und nur er allein kennt die wahren Gründe und geheimnisvollen Hintergründe dafür, dass die Leute arbeiten und essen, spielen und lieben, gehorchen und Verbrechen begehen – während die übrige Menschheit meint und darin irrt, sie würde eben all den bestimmten Tätigkeiten nachgehen, die ihr den lieben langen Tag obliegen oder fällig scheinen.
Das dritte Prinzip besteht ganz einfach darin, dass die Psychologen ganz offiziell gegen jede Erklärung von Empfindungen und Gefühlen, von Bewusstsein und Sprache, eben des freien Willens vorgehen. Das Dogma der psychologischen Weltsicht, in den – noch nicht einmal bewusst vollzogenen – Techniken der Selbstkontrolle, auf die immerzu verwiesen wird, läge der Schlüssel für die Erkenntnis der „eigentlichen“ Zwecke sämtlicher Taten und Untaten, leugnet eben nicht nur den objektiven Zweck dieser Tätigkeiten; auch die psychologischen Formen, in denen die Menschheit ihre Geschäfte abwickelt, werden dabei mit dem größten Desinteresse betrachtet. Die Bestimmungen der Subjektivität, die allgemeinen wie ihre spezielle Betätigung in der bürgerlichen Gesellschaft, interessieren einen Psychologen stets als das, was sie nicht sind – als „Motiv“ und darum auch schon als Grund für alles und jedes. Einerseits macht es den Vertretern des Faches gar nichts aus, wenn sie bekennen, über die Intelligenz, das Bewusstsein, über Sprechen und Denken etc. nur „hypothetische Modelle“ bieten zu können, und öffentlich verkünden, dass sie womöglich gar keinen bestimmten Gegenstand zu beurteilen haben. Andererseits befriedigen die Instanzenlehre eines Freud und die konditionierten Reflexe eines Skinner durchaus die Bedürfnisse moderner Gelehrter nach einem Weltbild: Sie betrachten eben das Kauf-, Arbeits-, Sexual- und politische Verhalten als psychologisch erklärbar. Manche kommen sich dabei sogar ziemlich kritisch vor, wenn sie in der Werbung Manipulation – raffinierte Konditionierung oder Vereinnahmung des Unterbewussten – entdecken; oder wenn sie den unterlassenen Klassenkampf, faschistisches Mitläufertum etc. aus der Hilflosigkeit von Individuen ableiten, die mangels Ich-Stärke und so Zeug gar nicht anders können.
Es ist also durchaus angebracht, über die Aufdeckung der Fehler dieser Wissenschaft hinaus einmal die auf den Kopf gestellte Welt der offiziellen Psychologie und ihrer Anhänger auch in der Politik, der „emanzipatorischen“ zumal, zurechtzurücken; ein Ende zu machen mit dem Geschwätz vom „subjektiven Faktor“ und dem albernen Gerücht von der Vernachlässigung psychologischer Größen durch den Marxismus, das ja noch immer einen Angriff auf die „bloß“ ökonomische Theorie der bürgerlichen Welt einleitet. Warum sollte eine richtige Theorie darüber, wie moderne Individuen ihre Subjektivität betätigen, auch der Kritik der politischen Ökonomie widersprechen? Oder, um das Ergebnis dieser Schrift vorwegzunehmen: eine von falschem Bewusstsein bestimmte Praxis des durchaus freien Willens ist eben nichts anderes als eine Reihe von Veranstaltungen, in denen sich die Individualität den Geboten des Kapitals und seines Staates fügt. Es bedarf keineswegs einer Leugnung der Freiheit, und schon gar nicht der mühsam zusammenkonstruierten Macht des Un-Bewussten, um das Gelingen von Herrschaft und Ausbeutung auf dem Globus verständlich zu machen. Und die Tatsache, dass sich das „Individuum“, das bei allen kritischen Menschen so hoch im Kurs steht, für alles hergibt und sich vieles gefallen lässt, was seine Verehrer verabscheuen, ist weniger ein Grund für seine Verehrung als für gewisse Zweifel an seinem und seiner Verehrer Geisteszustand: Verständnis für das falsche Bewusstsein ist das glatte Gegenteil von Wissen um seine Gründe, seine Notwendigkeit. Solange sich die Geschädigten der bürgerlichen Ordnung lediglich als lauter kleine „Ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse“ aufführen, haben sie logischerweise auch Gegenstand der Kritik zu sein.
Schließlich sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass das hier analysierte moralische Bewusstsein und die von ihm erfundenen Techniken der Moral nichts weiter darstellen als die Formen, in denen sich die Individuen an der bürgerlichen Herrschaft abarbeiten, um sie auszuhalten. Dass aus den Leistungen der Individuen in dieser Hinsicht der „Schluss“ gezogen wird, die bürgerliche Ordnung entspreche haargenau der „Menschennatur“, wie sie nun einmal sei, ist ein Witz, den Ideologen durch die einfache Vertauschung von Grund und Folge schon lange beherrschen. Die Umkehrung dieses Witzes, der Kapitalismus widerspreche der „Menschennatur“, sei ziemlich „unmenschlich“ und lasse echte Individualität nicht aufkommen, ist aber nicht minder doof. Was vom Standpunkt einer rationellen Psychologie gegen beide Ideologien zu sagen ist, lässt sich der vorliegenden Schrift leicht entnehmen.
© 2018 Gegenstandpunkt Verlag
Teil I:
Das moralische Individuum – Wie funktioniert ein abstrakt freier Wille?
„... und Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören.“ (Hegel)
Das Abstrahieren gilt mit Recht als eine selbstverständliche Tätigkeit verständiger Individuen. Wenn wir die Bestimmungen einer Sache voneinander scheiden, so wissen wir sehr wohl, dass die von uns wahrgenommenen Teile, Unterschiede, Eigenschaften und Momente gerade in ihrer Einheit den theoretisch interessierenden Gegenstand ausmachen. Wenn wir nach der Sonderung der verschiedenen Seiten zum Urteilen und Schließen fortgehen, dann