Die Psychologie des bürgerlichen Individuums. Группа авторов

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dieser „Einsicht“ bewährt sich die Psychologie als gern gesehenes Pendant zum Idealismus vom „animal rationale“; sie gefällt sich in einigen Dutzend Theorien der Subjektivität, in denen deren Tätigkeit als Wirkung von allerlei Fähigkeiten zur Darstellung gelangt. Diese Fähigkeiten beinhalten je nach Schule einen funktionalen Umgang mit äußeren Zwängen und Voraussetzungen und/oder inneren Dispositionen. Bei den Behavioristen reduziert sich die tätige Intelligenz auf „Problemlösungsverhalten“ der dümmsten Sorte, wobei die Welt aus „Stimuli“ und der Mensch aus „Verhalten“ besteht, das er verstärkt haben möchte. Das Freudsche „Ich“ kämpft ebenfalls mit externen wie internen Ansprüchen, und die „seelische Persönlichkeit“ liefert ein nicht minder falsches Bild des sich relativierenden freien Willens als der „Organimus“ von Skinner:

       „Ein Sprichwort warnt davor, gleichzeitig zwei Herren zu dienen. Das arme Ich hat es noch schwerer, es dient drei gestrengen Herren, ist bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang miteinander zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein; kein Wunder, wenn das Ich so oft an seiner Aufgabe scheitert. Die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das Über-Ich und das Es.“

      Die zweifelhafte Leistung der psychologischen Disziplin – dies sollte hier im Vorgriff auf die folgenden §§ festgehalten werden – besteht darin, dass sie aus dem falschen Bewusstsein und den ihm zugehörigen Techniken der Selbstkontrolle, wie sie das bürgerliche Individuum auszeichnen, ein Menschenbild konstruiert; dass sie beides nicht erklärt, sondern in Modellen der Individualität und ihres „Verhaltens“ zum Grund und Inhalt all dessen macht, was bürgerliche Subjekte den lieben langen Tag so anstellen.

      Auch vom Ich eines Hegel, der in der Enzyklopädie die Formbestimmungen des subjektiven Geistes entwickelt, unterscheidet sich das bürgerliche Ich grundsätzlich. Bei HEGEL ist die Individualität Seele, sinnliches und wahrnehmendes Bewusstsein, entwickelt Vorstellungen von der Welt, bezeichnet sie, urteilt und schließt, geht mit ihnen vernünftig um, denkt – und arbeitet sich als Vernunft zur Identität der objektiven Welt und dem Inhalt der subjektiven Gedanken vor, um als praktischer Geist sich die Gesellschaft gemäß zu machen: objektiver Geist zu sein. Seltsamerweise gelingt es dem letzten brauchbaren Philosophen, aus den puren Formbestimmungen der Subjektivität – bei denen ihm noch mancher Fehler „unterläuft“ (vgl. die berüchtigten Definitionen des Nationalcharakters aus der Seele, die Ableitung von Herr und Knecht in der Phänomenologie aus dem Selbstbewusstsein u.a.) – den Übergang ausgerechnet zur bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Staat zu drechseln. Entsprechend sieht dieser Übergang dann auch aus: Damit vernünftige Subjekte ausgerechnet das Privateigentum als ihre Welt wollen, muss sich der freie Wille schon ziemlich abstrakt vorkommen und sich im ausschließenden Besitz die ihm gemäße „Sphäre seiner Freiheit“ geben, weil er sonst nicht Idee – Einheit von Begriff und Realität – wäre!

      Die Wahrheit ist auch hier der „auf die Füße gestellte Hegel“: Das bürgerliche Subjekt betätigt sich zwar als Seele, Bewusstsein und Intelligenz, geht aber dabei von gewaltsam geschaffenen und erhaltenen sozialen Verhältnissen aus, in denen es zurechtzukommen hat, und akkommodiert seinen Geist wie seine Taten den praktischen Beschränkungen, die sein Interesse mit seinen Gegenständen zugleich vorfindet. Es relativiert seinen Willen bezüglich der ihm aufgeherrschten Schranken – und diese Relativierung wird ihm so bewusst, dass es die Welt umgekehrt als verfügbares Material seines bereits kontrollierten Willens auffasst, dass es so und nur so seine individuelle Freiheit genießt: das Individuum anerkennt die bürgerlichen Verhältnisse in dem, was es darf. Es legt sich die ihm aufgehalsten Schwierigkeiten einfach so zurecht, dass es dem Gesichtspunkt anhängt, immerhin zu dem befugt zu sein, was nicht verboten ist.

      In den Urteilen über sich und die Welt, die der bürgerliche Verstand so zusammenbringt, können gewisse Unterschiede nicht ausbleiben; auch wenn das Prinzip für alle Individuen dasselbe ist, sind nämlich die Ergebnisse des um seine Durchsetzung bemühten freien, aber relativierten Willens je nach Klassenzugehörigkeit, also nach den Mitteln, die den Leuten zur Verfügung stehen, gar nicht gleich. Die simple Tatsache, dass manche allen Grund zur Zufriedenheit haben, andere nicht, führt zu einigen Differenzierungen im Bewusstsein von der Welt. Wo das Interesse und seine Beschränkungen den Gebrauch des Verstandes bestimmen, schlagen sich notwendig auch Erfolg und Misserfolg, Erwartung und Enttäuschung im individuellen Weltbild nieder – eine sehr bekannte Erscheinung, die aber den Anhängern der bürgerlichen Ordnung wenig Kopfzerbrechen bereitet. Sie gilt als normal: erstens ist das ja immerhin die Freiheit, die jeder hat, dass er eine eigene Meinung vertritt über die Weltenläufte, ob er nun deren Nutznießer oder Opfer ist; zweitens versteht es sich von selbst, dass ein Bewusstsein nie und nimmer objektiv sein kann, „da“ es ja ein individuelles (= von persönlichen Interessen geleitetes) ist...

      © 2018 Gegenstandpunkt Verlag

      § 2. Der Idealismus lohnender Selbstkontrolle

      Das bürgerliche Subjekt stellt sich auf die gesellschaftlichen Umstände ein, mögen sie auch voll von Herrschaft und Ausbeutung, Mord und Totschlag sein. Da ihm seine Interessen nicht prinzipiell bestritten werden, da seinem Materialismus zumindest bedingt entsprochen wird, würdigt es die Welt als ein Angebot an sich: sofern es sich auf sie einstellt und die eigenen Interessen in dem Rahmen verfolgt, in dem es darf, genießt es lauter Freiheiten.

      Weil die Unterwerfung unter die Regeln des Erlaubten, der konzessionierte Materialismus, aber keineswegs den Erfolg garantiert, handelt sich das Individuum manches Problem mit der Freiheit ein, die es schätzt. Es macht gute und schlechte Erfahrungen und gelangt so zu einer ziemlich geteilten Meinung über die Herrschaft, der es sich zu seinen eigenen Gunsten beugen will. Je nachdem, ob ihm die Durchsetzung des eigenen Interesses gelingt oder nicht, bringt es den Standpunkt des Erfolgs oder des Anstands zur Geltung – und sooft er bei anderen zur Überprüfung des persönlichen Fortkommens schreitet, entdeckt der bürgerliche Mensch die Erfüllung oder Verletzung eines der beiden Kriterien, über die er verfügt; und in gewissen Fällen entsprechen auch Anstand und Erfolg einander, oben wie unten in der gesellschaftlichen Hierarchie. Nicht selten aber erscheint dem Interesse, das sich ohne moralische Einkleidung nicht sehen lassen will, der Erfolg durch einen Mangel an Anstand erkauft; und umgekehrt entdeckt es, insbesondere bei sich, den Anstand als Grund für manche Zurücksetzung. Das moralische Subjekt lässt sich von seinen negativen Erfahrungen weder zur „umstandslosen“ Befürwortung noch zu einer „destruktiven Kritik“ der Herrschaft führen, die ihm seine Freiheit konzediert: es hält am Standpunkt der lohnenden Selbstkontrolle fest, sein Bewusstsein urteilt eben doppelt. Dem Maßstab materiellen Fortkommens fügt es den der Tugend hinzu; es reflektiert die beiden Kriterien ineinander und hält den Materialismus für ebenso erlaubt wie den Gehorsam für notwendig.

      Im Hin und Her seiner beiden Maßstäbe legt sich das bürgerliche Ich seine eigentümliche Stellung zur und seine Auffassung von Herrschaft zu: Sie besteht keineswegs in so handfesten Argumenten wie Kapital, Arbeit und Staatsgewalt, sondern in einer – ökonomisch und politisch „organisierten“ – Summe von guten und schlechten Gelegenheiten. Alle Zwänge der bürgerlichen Welt gelten ihm als – erlaubte – Wege zum Erfolg. Zwar ist in der Betrachtung und Handhabung der objektiven Verhältnisse als „Gelegenheit“, die man „ergreift“ oder „verpasst“, falls sie einem geboten wird, längst zurückgenommen, dass einem eine Flut von Mitteln zur Realisierung

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