Die Psychologie des bürgerlichen Individuums. Группа авторов

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1. Der falsche Materialismus des erlaubten Erfolgs

      Was in der Konkurrenz der Klassen, in der Hierarchie der Berufe durch individuelles Geschick erreicht werden kann, bemisst sich am Interesse anderer und den Mitteln, über die sie verfügen. Dabei findet ein direkter Vergleich, ein unmittelbares Kräftemessen längst nicht mehr statt, wo ein mit Gewaltmonopol ausgerüsteter Staat für Recht und Ordnung sorgt. Sein Erziehungswesen stellt nicht nur manchen Unterschied im Umfang der Bildung her und weist die Individuen in ihre Karrieren ein – von der öffentlichen Gewalt, die am nützlichen Fortgang der Konkurrenz ihren Daseinsgrund und Zweck hat, erfährt der Bürger auch gleich, was erlaubt und verboten ist. Sein Materialismus ist anerkannt, aber nur in den Grenzen von ihm aufgeherrschten Notwendigkeiten, durch die er für Staat und Kapital brauchbar wird.

      Indem sich das Individuum auf die mit seiner sozialen Lage speziell definierte Freiheit der Konkurrenz einstellt, die praktischen Zwänge seiner Stellung in der Welt zum selbstverständlichen Ausgangspunkt seines Strebens macht, pflegt es den spezifisch bürgerlichen Gebrauch seines Geistes: jeder sinnt im Rahmen des Erlaubten auf seinen Erfolg. Alle Einrichtungen der kapitalistischen Welt und jeden „Mitmenschen“ betrachtet es als Bedingung seines Fortkommens, wobei ihm manches positiv, manches negativ vorkommt. Stets be- und verurteilt ein solches Individuum die Taten anderer und die handfesten „Leistungen“ höherer Instanzen gemäß dem Kriterium des erlaubten Erfolgs, was dasselbe ist wie der Maßstab des erfolgreichen Anstands. Der praktischen Stellung des Subjekt, das in einer mit lauter Hindernissen erfüllten Welt sein Mittel sehen und nützen will, entspringt ein Weltbild, das mit Objektivität nichts zu tun hat. Das Bewusstsein, das sich der abstrakt freie Wille zulegt, hat sein Prinzip darin, dass es die dem Willen entgegenstehenden, von ihm unabhängigen Umstände seiner Betätigung in das Programm des Willens aufnimmt. Das bürgerliche Ich übersetzt den erzwungenen Entschluss, sich nach der Welt zu richten, wie sie ist, sich in den vorgeschriebenen Bahnen zu bewegen, in das freie Urteil über sie und beantwortet sich an jedem Gegenstand die Frage: Inwieweit entspricht er mir und meinen Absichten?

      Der hier gegebene Begriff des bürgerlichen Ich unterscheidet sich erheblich von den Konstrukten der Psychologie, die einige Mühe darauf verwendet, den freien Willen zu leugnen. Und dies bewerkstelligt sie stets über einen Beweis, der ein Subjekt der Entscheidung, das sich seiner Zwecke und Absichten bewusst ist, voraussetzt, um anschließend die Voraussetzungen der Entscheidung als die maßgeblichen „Faktoren“ anzuführen und den bewussten Vollzug der Handlung zu bestreiten. Freud bestimmt zunächst Fehlleistungen als „Gegeneinanderwirken zweier verschiedener Absichten“ – und ist damit so unzufrieden, dass er seinen Lesern bzw. Hörern die Macht des „Un-Bewussten“ als Grund für die von ihm behandelten Phänomene präsentiert. Am Beispiel des Traumes, wo der Verstand des Menschen nun wahrlich nicht sehr wach ist, also auch nicht mit Empfindungen, Gefühlen urteilend umgegangen wird, keine Unterscheidung zwischen Ich und Objektivität stattfindet, wo alle im wachem Zustand gemachten Erfahrungen in wild assoziierten Bildern vom Schlafenden „erinnert“ werden – am Traum entwickelt FREUD das Muster eines nach der Logik des tätigen und berechnenden Verstandes wirkenden Un- und Unterbewusstsein. Und außer der Fortentwicklung dieser Fehler zur Instanzenlehre, in der die „moralischen Beschränkungen“ (die wirklichen Beschränkungen treten schon gleich in ihrer versubjektivierten Gestalt auf!) zum jeder Menschenseele zugehörigen Über-Ich naturalisiert werden, von dem aus und mit dem das Betragen diverser Sexualitätsunholde „erklärt“ wird, gelingt dem großen Analytiker noch der Wurf mit den beiden Prinzipien „Lust“ und „Realität“. Seine diesbezüglichen Argumente hätten Freud leicht auf den richtigen Weg bringen können, dass die Verfassung der „kranken“ wie „gesunden“ Subjekte, die ihm über den Weg liefen, etwas ganz anderes darstellt als einen Krieg zwischen drei Instanzen und zwei Prinzipien. In der heutigen Psychologie ist man – obwohl keineswegs Anhänger von Freud, weil zu moralkritisch – da bequemer. Die Leugnung des freien Willens sieht da so aus:

       „... aus dem bisher Ausgeführten ergibt sich, dass das Wollen aus einer Wahlsituation hervorgeht (!). Die Frage, ob der Wille des Menschen frei sei, ist daher psychologisch exakt formuliert die Frage, ob der Mensch in einer gegebenen Wahlsituation jede beliebige (!) Verhaltensmöglichkeit wählen könne; oder, noch genauer (!), die Frage: kann sich der Mensch in einer gegebenen Situation für jede (!) Wahlmöglichkeit (!) entscheiden? Könnte er es, so wäre er frei; kann er es nicht, so ist er nicht frei. Einen anderen Sinn kann das Wort „Freiheit“, psychologisch betrachtet, kaum haben.

       Bei dieser präzisen Formulierung ist die Antwort einfach. Sie lautet: nein; der Mensch kann in einer gegebenen Wahlsituation nicht jede beliebige Verhaltensmöglichkeit wählen. Die Triebe, Interessen und Gefühle, die in ihm in dieser Situation auftreten, bestimmen ihn, eine bestimmte Verhaltensmöglichkeit allen anderen vorzuziehen und sich für sie zu entscheiden. Hätte er sich aber nicht für eine andere entscheiden können? Nur dann, wenn in ihm andere Motive aufgetreten (!) wären.“

      An solchen Glanzleistungen moderner Wissenschaft stößt sich heutzutage niemand mehr, obgleich feststeht, dass für dieses Statement weder Kenntnisse über die bloß formellen Bestimmungen von Trieb, Gefühl, Bewusstsein, Interesse und Willen nötig sind (als bestimmten theoretischen und praktischen Stellungen der Subjektivität zur Welt und zu sich), noch der Inhalt von Gefühlen etc. irgendeine Wichtigkeit besitzt. Das Beweisziel wird direkt angesteuert, so dass das schiere Vorhandensein von Trieben und Gefühlen als Widerlegung der „Entscheidungsfreiheit“ genügt. Die „Ohnmacht“ des Subjekts, das rational seine Entscheidungen trifft, folgt ganz einfach daraus, dass es auch gefühlsmäßig oder interessiert mit der Welt umgeht. Dabei könnte auch ein Psychologe an einem durchaus üblichen Satz wie „Das habe ich gefühlsmäßig getan“ bemerken, dass da ein mit Bewusstsein handelnder Mensch sich dazu entschlossen hat, sich eben von seinem Gefühl leiten zu lassen, und kleine wie größere Studien für überflüssig befand, also sich keineswegs als passives Opfer seiner Seelenregungen präsentiert. Wer letzteres behauptet, kann sich freilich auch nicht mehr den Inhalten der diversen Gefühle und Interessen zuwenden – er würde ja glatt feststellen, dass da vom Verstand zustande gebrachte (richtige wie falsche) Urteile zur Gewohnheit geworden sind und sich in unmittelbarer Form, ohne die neuerliche Anstrengung des Gedankens betätigen, weswegen Gefühle auch oft einer verständigen Berechnung entgegenstehen, und einer vernünftigen Analyse schon gleich. Dafür schlägt die Psychologie dieses Resultat der bürgerlichen Anpassungstechnik – „Mein Herz sagt ja, doch mein Verstand sagt nein“ – der „Menschennatur“ zu, und erklärt die Widersprüche, die ein moralisches Bewusstsein dem Handeln der Leute, ihrem praktizierten Geisteszustand einprägt, lässig zum festen Bestandteil der Subjektivität schlechthin. Vom Denken weiß die bürgerliche Psychologie folgerichtig nur seine geringe Bedeutung zu konstatieren, natürlich nicht ohne Hinweis auf seine Relativierung durch dem Denken vorgelagerte und viel wichtigere Beweggründe des Subjekts. Statt die moralisch berechnende Tätigkeit des Verstandes, die das spezifisch bürgerliche falsche Bewusstsein ausmacht, zu bestimmen, ersinnt man das Problem, wem beim Individuum, das entscheidet, das „Übergewicht“ zuzuerkennen sei; das Denken selbst erscheint für diese Wissenschaft lediglich in Gestalt „seiner“ Funktion als Hilfsmittel für den ökonomischen Umgang des Individuums mit sich selbst, als Technik der Anpassung, die willkommen ist, aber auch nicht übermäßig viel ausrichten kann:

       „Das Denken leistet nur Hilfsdienste; es stellt die vorhandenen Möglichkeiten und ihre Vorteile und Nachteile fest. Das Ergebnis dieser Feststellungen wird gewöhnlich so formuliert, als ob es selbst für die Entscheidung maßgebend wäre: es ist gescheiter, wenn ich so tue – das bedeutet nur: ich erreiche meine Ziele sicherer, rascher, mit geringerem Kraftaufwand, mit weniger Lästigkeiten und unangenehmen Risiken, wenn ich so handle. Das Ziel ist dabei immer schon bestimmt; und die Entscheidung wird von den Trieben und Interessen

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