Finderglück. Johannes Saltzwedel

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Finderglück - Johannes Saltzwedel

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mit flinken Ad-hoc-Meinungen der Pflicht genügen müssen, sind nur Randsymptome der Notlage. Die öde, geduckte Verlautbarungsprosa aus Wirtschaft, Politik und Akademie – denken Sie nur an die geradezu realsatirisch anmutende Terminologie der unvermeidlichen Förderungsanträge – scheint teufelskreisartig auch die Medien zu erfassen, um dann, anstatt geläutert zu werden, eilig wiedergekäut den nächsten Umlauf zu beginnen. Ähnlich wie es im Sport regelmäßig um die Bezichtigung neuer Dopingsünder geht, beschäftigt sich die Öffentlichkeit bei Fragen der Wortwahl fast nur noch mit der rituell ablaufenden Skandalisierung politischer Inkorrektheiten. Sich äußern ist riskant; wer Pech hat, dessen Sprachprägung wird vielleicht als »Unwort des Jahres« angeprangert. Also redet man lieber halblaut, en passant, unauffällig. Historisch angestaute Pathosscheu, Flüchtigkeit und fast völliger Mangel an Stilempfinden lassen in unheiliger Allianz die Sprache vergrauen.

      Dabei blüht die Freude am pfiffigen Ausdruck gerade im unüberschaubaren elektronischen Mitteilungsalltag bunter denn je: Auf dem engen Raum von Rap-Reimen und SMS, in den 140 Zeichen von Tweets, den Twitter-Botschaften, im Rahmen sozialer Netzwerke, Blogs und anderswo toben sich Wortspieler bisweilen derart aus, daß kein Lexikograph mehr nachkäme. Abseits dieser zahllosen Sonderwelten jedoch scheinen die Sprachtechnologen der sechziger und siebziger Jahre mit ihrem Lernziel nüchterner Verständigungskompetenz einen späten, aber nahezu vollständigen Sieg errungen zu haben. Inmitten der multimedialen Getriebenheit, wo E-Mail und Blogging schon zu den behäbigeren Mitteilungsarten zählen, erschöpft sich die Spracherfindung heute so gut wie ausschließlich im eiligen Gag; Formbewußtsein und die Sicherheit von Kontinuität können erst gar nicht aufkommen.

      Das ist sogar sehr verständlich: Wenn erkenntnisförmige Wahrheit, auch und gerade die der sprachlichen Mannigfaltigkeit, etwas ist, das jeder mit anderen für sich machen, über das man reflektieren, ja an dem man arbeiten muß, so wird man zu dieser Einsicht des Giambattista Vico schwerlich auf die Art gelangen, wie wir größtenteils unbewußt miteinander umzugehen trainiert sind, nach dem Muster technisch gestützter Sender-Empfänger-Modelle kognitionswissenschaftlicher, eo ipso kunstferner Prägung. Allenfalls innerhalb der Clique, In-Group oder Fangemeinde, dem Äquivalent der Horde aus grauer Vorzeit, bildet sich ein – dann um so eigenwilligerer – Code heraus, etwa wie viele signalhaft einen Popsong nachsummen; aber trotz der Verschriftlichung auf all den Displays verhallt der Wortaufwand meist im Nu. Sprache und Bildung, einst in der Königsdisziplin der Rhetorik aufs engste verknüpft, erscheinen so nahezu völlig entkoppelt. Ginge das auch anders?

      Vor mehr als einem Vierteljahrtausend, im Januar 1757, begann ein siebenjähriger Junge in einer Stube des geräumigen Elternhauses sein erstes »Exercitium privatum« mit der Übersetzung eines Satzes ins Lateinische: »Wenn es regnet, fallen die Tropfen ins Wasser und machen viele Blasen, aus welchen Schaum wird«–»Si pluit incidunt guttae in aquam et faciunt multas bullas ex quibus spuma fit«. Etliche Seiten seines Schulheftes füllt er so mit säuberlicher Schrift. Etwas später hat der Lehrer ihm offenbar aufgetragen, möglichst viele lateinische Ausdrücke für »mori«, »sterben«, zu finden. Es werden stolze 23, von »Naturae debitum solvere« über »obdormire« und »decedere terris« bis zu »vivorum consortio eliminari«.

      Nur eine Seite umfaßt diese Stilübung des kleinen Johann Wolfgang Goethe, und sein Lehrer Johann Jacob Gottlieb Scherbius hat ihm dabei mit Sicherheit kräftig geholfen. Dennoch: Hier entsteht eine Sprachwelt unmittelbar aus dem Arsenal rhetorischer Variationslust. Dialoge zwischen Vater und Sohn, die der kleine Wolfgang zur gleichen Zeit ins Lateinische überträgt, malen das behagliche Ambiente am Hirschgraben bis zur Unverwechselbarkeit aus: Da will der Vater in den Keller, um die »vina replenda« zu versorgen, sein Sohn möchte mitgehen, denn er will einmal wieder den »lapidem fundamentalem et clausularem« des Hauses sehen. Gesagt, getan: Beide steigen die Treppe hinab und erinnern sich amüsiert, wie damals beim Hausbau »der Obergeselle … nach Gewohnheit eine Rede« anfing (»Primarius nempe eorum murariorum Ciceronem |: ut solent:| agere voluerit«), aber steckenblieb und ausgelacht wurde. Sorgsam erklärt der Vater danach, welch seltene Weine hier in den großen Fässern lagern, wie man sie aufzufüllen hat und daß der Sohn nur ja mäßig von ihnen trinken solle, damit »solche auf die Zukunft überliefert werden« (»ut aliquando illis moderate utaris et in seram posteritatem illa transferri quoque studeas«).

      Noch die säuberlich zweispaltige Reinschrift der kleinen Wechselrede zeugt von der Hingabe ans Detail, mit der hier nahezu spielerisch die Einsicht herangebildet wird, daß, mit Hölderlins unvergeßlicher Wendung, »ein Gespräch wir sind«, daß bis ins Geringste und Privateste der vorhin erwähnte cultus animi, den man doch wohl geistige Kultur nennen darf, nur in sprachlicher Gestaltung vorstellbar sein kann. Für Goethe ist der Fall klar: Wörter finden, Sätze bauen, Ausdruck schaffen, ob Aktennotiz oder freches Xenion, Zigeunerruf oder Sonett und Ghasel, versteifter Dankesbrief oder Großdichtung, das wird der Inhalt seines Lebens werden. Die Grundtatsache aber gilt weit über das zweifellos enorm privilegierte Söhnlein eines Kaiserlichen Rates in Frankfurt hinaus: Je früher einem Menschen bewußt ist, daß – um noch eine berühmte Wendung zu borgen – die Grenzen seiner Sprache die Grenzen seiner geistigen Welt sind, desto mehr kann und mag er dann selbst dafür tun, diese Grenzen immer weiter auszudehnen.

      Warum ist dieser Gedanke so sehr in Vergessenheit geraten? Man wird kaum allein sogenannte Bildungsplaner verantwortlich machen können, die Wissensvermittlung nach dem Schema einer volkswirtschaftlichen Abfüllanlage über Kapazität und Auslastung kalkulieren – was beiläufig dazu geführt hat, daß heute nahezu jede größere Diskussion des Gegenstandes schnell auf die Tankstellenfrage eingeengt wird, wie hoch letztlich wohl der staatlich zu veranschlagende Finanzbedarf ausfallen dürfte. Wesentlich, wenn nicht gar entscheidend, beigetragen zur erstaunlichen Sprachvergessenheit ausgerechnet in Deutschland hat sicher weit mehr der prinzipielle Argwohn jedem fulminanten Wort gegenüber, den der doppelte moralische Zusammenbruch und das Schuldtrauma zweier Weltkriege ausgelöst hat. Die Folgen, eine Art Syndrom irreführender Vorbilder, sind rasch skizziert.

      Öffentliche Äußerungen am Rednerpult, auf Kanzel oder Katheder folgen zumeist schon unbewußt im Bunde mit dem Publikum einem Komment, der sogenannte Inhalte – als ob die sich von ihrer sprachlichen Darbietung lösen ließen – prinzipiell über Eleganz stellt, ästhetische Formung somit als akzidentiell, als schmückendes Beiwerk begreift, das man nach Bedarf streichen kann wie ein klammes Geldinstitut sein Kultursponsoring. Literarische Anspielungen müssen heute fast immer mühsam erklärt werden, also verzichtet man besser gleich darauf. Clever bis in den Ausdruck hinein auftreten möchten allenfalls noch jargonkranke Akademiker, Manager mit Imponierzwang oder Matadore speziell des Bildschirms, kurz: habituelle Selbstdarsteller. Solchen Verdacht lenkt man ungern auf sich. Kommt hinzu, daß das Thesenragout von Talkshows und die leerlaufende Schlagfertigkeit von Comedy-Formaten ebenso wie der syntaxfeindliche Trott landläufiger Bildschirmpräsentationen jede Mühe um bleibende Worte gleichermaßen beschwerlich, unerheblich und somit aussichtslos erscheinen läßt. Das geschlossene Reiz-Reaktions-System der Wortwechsel reproduziert sich allem Anschein nach selbst; angebliche Originale wirken bestenfalls ein paar Minuten lang originell, dann ist der Zug der Aufmerksamkeitsproduzenten und geschäftigen Facebook-Lemminge auch schon vorüber.

      Aber war die Lage früher wirklich weniger trüb? »So ein bißchen Bildung ziert den ganzen Menschen«, heißt es in bitterbös entlarvender, höchst sprachbewußter Rollenprosa schon bei Heinrich Heine – man hört geradezu die virtuellen Anführungszeichen der Ironie. Ganz unironisch hat dann 1872 der junge Philologe Friedrich Nietzsche, ehrlich empört über das »Zeitalter des Zeitungsdeutsches«, vorgeschlagen, in den Bildungsanstalten müßten die »sprachlich verwilderten Jünglinge« (!) einfach »mit Gewalt unter die Glasglocke des guten Geschmacks« gezwungen werden; die Lehrer sollten nicht ablassen, »bevor nicht die geringer Begabten in einen heiligen Schreck vor der Sprache, die Begabteren in eine edle Begeisterung für dieselbe geraten sind«. Was schon damals illusorisch klingen mußte, wirkt heute nur noch kurios – es sei denn, man übersetzt das Unbehagen in die gegenwärtigen Zusammenhänge und den allzu forschen Appell des Zöglings von Schulpforta in den keineswegs abwegigen Einfall, Individualität im Ausdruck wieder angemessen zu schätzen

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