Finderglück. Johannes Saltzwedel
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Finderglück - Johannes Saltzwedel страница 8
Verwechsle darum niemand den Internet-Surfer vorschnell mit jenem scheinbar ähnlich verpflichtungslosen Helden der Moderne, dem Flaneur. Beschritt dieser seine Passage vor dem Hintergrund historischer Identitäten, der beobachteten wie der eigenen, nahm er sie wahr als ein Kontinuum und Ensemble von Stimmungen und Nuancen, so vollzieht sich das angebliche Gleiten des Surfers tatsächlich als von Klick zu Klick diskontinuierliches Springen ins Ungewisse der nächsten digitalen Bildinformation. Spähte der Flaneur nach Valeurs, so ist der Surfer ein habitueller Umblätterer von selbstzweckhafter Eile und Zerstreutheit, ein »user«, der von Schlagzeilen oder optischen Effekten aufgehalten werden möchte und dem alles, was die Zeichenmenge eines Bildschirms überschreitet, suspekt werden muß. Die pure Vielfalt des Verfügbaren läßt sehende oder gar engagierte Betrachtung einfältig erscheinen; zum Ziel führt allein kühles, rasantes Durchmustern. Und weil das Internet ein All allzeit scheinbar aktueller Resultate ist, ein Arsenal des Fertigen, mit dessen Fülle jeder Nutzer nur noch fertig werden, zurecht und zu Rande kommen will, entspricht es aufs Genaueste einer Auffassung von Wissen, der Geltung, Gehalt und Gestalt vorderhand gleichgültig, Verfügbarkeit und Vielfältigkeit indessen heilig sind.
Der wachsende Abstand von den Zeiten, als das Wissen noch geholfen hat – nämlich zur Erkenntnis –, ist an manchem Indiz im elektronischen Verbund abzulesen, bis auf Zeichenebene. So bieten einige Suchmaschinen inzwischen die Möglichkeit, Namen und Wörter auch dann ausfindig zu machen, wenn der Fragende sie nicht exakt buchstabiert. Ein Schema, das Mayer, Meyer, Mair und Meier gemeinsam herbeischafft, ist ohne große Mühe über Konsonantenraster programmierbar, und es genügt, in einem seriösen elektronischen Bibliothekskatalog einmal die Buchstabenfolgen »Berthold Brecht« oder »französich« zu suchen, um den Vorteil derartiger Hilfen einzusehen. Vermutlich jedoch nehmen viele, für die das digital gespeicherte Dokument zum Regelfall geworden ist, abweichende Schreibarten, hinter denen ja sprachlich-geistige Identitäten und Traditionen stehen, nicht einmal mehr wahr. Da nennt ein Internet-Antiquar aus Texas, immerhin jemand, der mit bejahrtem Schrifttum seinen Lebensunterhalt verdient, den Druckvermerk seiner Angebote regelmäßig ihr »Copywrite«– das Festhalten des Lauts genügt, für akkurateren Umgang mit den kulturellen Zeichen fehlen halt Zeit, Kenntnis, Stil und Aufmerksamkeit. Manche Schreibprogramme sorgen darum mit Hilfe eines überwachenden Algorithmus zumindest im Wortschatz von Geschäftsbriefen für Einheitlichkeit. Es könnte ja sein, daß der, an den der Brief geht, ausnahmsweise sensibel geblieben ist und die weltweite orthographische Anarchie noch nicht seufzend oder achselzuckend hingenommen hat. Die meisten haben es längst; wirkt doch der Grundsatz, Ausdruck und Gedanke stünden in Beziehung, angesichts des blinkenden Schwalls von Nebeneinander im Internet so rührend antiquiert wie die Bemerkung, durch historische Erfahrung wollten »wir« ja »nicht sowohl klug (für ein andermal) als weise (für immer)« werden.
Jacob Burckhardt, der so sprach, hielt Wandlung für das Wesen der Geschichte. Wem der unausgesetzte, ins Vergrauen übergehende Wechsel digitaler Information zur normalen Erscheinungsart seiner Wahrnehmung und seines Wissens geworden ist, könnte davon substantieller verändert werden, als daß ihm nur die überkommene Schreibung von ein paar Wörtern gleichgültig wird. Er könnte auf längere Sicht den Sinn für Wandlung, für Schicksal, für das Werden im Vergehen überhaupt verlieren: Wem Folge fehlt, kommt auch Folglichkeit abhanden. Sich selbst höchstens als Knoten in einem unabsehbaren Schaltplan von Zuständlichkeiten sehend, kann ihm seine ästhetische Einstellung kontingent, optional, formfrei und maßstablos werden. So steigert der Abschied vom Sequentiellen die Krise der ästhetischen Subjektivität und nährt das Verlangen nach Überzeugungen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.