Maschen der Kunst. Christian Janecke
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Maschen der Kunst - Christian Janecke страница 4
Aus dieser insgesamt verzwickten Zwischenstellung wird, so hoffe ich, etwas plausibler, warum ich am flapsigen Begriff der ›Masche‹ festhalte. Zumal damit auch eine gewisse Offenheit gewahrt ist, was den Grad an vorauszusetzender Absichtlichkeit betrifft: Eine Masche zu diagnostizieren, impliziert nicht ohne weiteres, ihr Urheber frohlocke insgeheim darüber, uns Betrachter wieder einmal an der Nase herumgeführt zu haben. Er könnte von besagter Masche auch profitieren, ohne sie vorsätzlich in Anschlag gebracht zu haben. Mit anderen Worten: Manche Maschen trägt der Künstler vor sich her oder mit sich herum – andere Maschen tragen den Künstler vor sich her oder mit sich herum!
Darbietungsgestus und Artikelabfolge dieses Buches geben sich lexikalisch, obwohl ich vermute, dass kein Leser das für bare Münze nehmen wird. Zwar gefällt mir der mit einem Lexikon altmodischer und wohl auch sentimentaler Weise immer noch verbundene Anspruch gültigen und bündig vermittelten Wissens. Doch in Wahrheit hat mich eher die alphabetische und mithin sachlich völlig zufällige Abfolge der Artikel interessiert, die bei einem wirklichen Lexikon natürlich nur eine der Auffindbarkeit der Artikel geschuldete Inkaufnahme darstellen würde. In meinem Falle drückt sie eher Misstrauen gegenüber der Möglichkeit großsystematischer Kritik und Erfassung von Problemen gegenwärtiger Kunst aus. Die ziemlich unterschiedlichen Aspekte, die ich in meinem Buch glaubte unterbringen zu müssen, hätten durch eine Aufteilung in Kapitel und Abschnitte, zumal in ein unentrinnbares Vorne und Hinten im Buch, gar nichts gewonnen. Und dass die einzelnen Abhandlungen tatsächlich verlustfrei in beliebiger Folge gelesen werden können, war mir willkommen als leiser Anklang an das zuweilen gehäufte oder vermischte Auftreten entsprechender Maschen in der jüngeren Kunst selbst.
Das heißt aber nicht, dass die Leser es bloß mit der lexikalischen Ummäntelung eines Patchworks versprengter Gedankensplitter zu tun bekämen. Nicht nur unternimmt jeder Artikel für sich durchaus systematische, wo nötig auch historische Aufschlüsselung. Die Lektüre wird über die vielen Einträge hinweg auch unweigerlich Zusammenhänge offenbaren, nämlich durch wiederkehrende Probleme, die unter veränderter Perspektive erneut aufgegriffen werden. Dementsprechend auftauchende Querverweise sind dann jedenfalls mehr als eine bloße Marotte des Lexikalischen.
Vergleichbares gilt für die Anzahl der Artikel: Wahrscheinlich gibt es bzw. könnte es noch wesentlich mehr Maschen geben (obwohl für mich als Autor irgendwann der Punkt erreicht war, ab dem weitere sich aufdrängende, vermeintlich noch unentdeckte Maschen immer unabweisbarer in thematische Überschneidung traten mit den bereits vorhandenen). Doch so wie ein Lexikon sein Wissensgebiet mit Artikeln in eher gleichförmiger Verteilung zu überziehen sucht, geschah es auch hier mit den M. d. K. Eine denkbare Fortsetzung würde diese Verteilung daher nicht ohne weiteres besser, sondern nur dichter machen – wogegen ich aber nichts einzuwenden hätte.
Schließlich ist mir bewusst, dass viele, wahrscheinlich sogar jede einzelne, der hier aufgeführten Maschen eine wesentlich ausgiebigere Darlegung verdient oder verlangt hätten, als es die spärliche Anzahl Seiten, die dafür jeweils reserviert ist, zulässt. Doch obgleich ich sogar selbst schon einige Maschen im Visier habe für spätere Aufsätze oder etwaige Buchprojekte, wollte ich die Texte für dieses Mal um jeden Preis kurz halten. Warum? Weil im Kunstbereich massenhaft und großteils immer schlechter Geschriebenes publiziert wird, das kaum mehr jemand lesen will oder kann. Weil zugleich das Internet immer umfangreichere und genauere Informationen und Kommunikationsforen zu ganz speziellen, sogar entlegensten Aspekten der Kunst bietet. Weil, so man beides zusammen nimmt, ziemlich klar sein dürfte, dass es immer besserer Gründe bedarf, um heutige Kunst(theorie)interessierte überhaupt noch zur Lektüre eines entsprechenden Buches zu bewegen, sie dazu zu bringen, ihre immer kostbarer werdende, da von immer mehr Akteuren und Angeboten umworbene Lesezeit zu investieren. Ich wollte auf diese Situation weder mit ungebührlicher Vereinfachung noch elitär, also mit randvollen Textmonolithen reagieren, deren ausufernde Überlegungen und Einlassungen nur von mir selbst für unentbehrlich gehalten würden. Daher kommen die drei Dutzend Artikel meist ohne Umschweife zur Sache und liefern Gedanken ohne Vestibül, aber mit Hinterausgängen.
Amoralismus
Nicht alles Amoralische in der Kunst huldigt sogleich dem Amoralismus. Wie Christoph Menke zuletzt in seiner Erörterung der Kraft zeigte, gehört zum Künstlertum eine gewisse Hinwegsetzung über wertbezogene Vereinbarungskataloge einer Gesellschaft, so dass ohne letztlich asoziale und amoralische Momente eine experimentelle Haltung des Künstlers nicht zu haben ist. So projektiert Menke einen Künstler (ziemlich ähnlich einem einst von Rorty projektierten Denker), der sich jenseits der marodierenden Unreife nietzscheanischen Ästhetizismus und diesseits der Langeweile eines habermasianisch gezähmten Staatsbürgers bewegt.
Etwas ganz anderes als derartige Legitimationen eines, sagen wir: moralindifferenten Spielraums der Künstler als auftretender Personen ist die offensiv eingenommene Haltung des Amoralismus in der Kunst selbst. Implizit beanspruchen Vertreter dieser Haltung Oscar Wildes Einsicht, jede Kunst sei amoralisch, außer jener, die zum Handeln anstacheln, also aufs Ethische hinauswolle. Und in der Schmähung dieser Allianz machen die neuen Amoralisten deutlich, gegen welche Art von zugemuteter Weltverbesserung sie sich als Künstler bereits erfolgreich immunisiert haben. Lesbar werden an dieser Aversion gegen außerästhetische Konsequenz von Kunst auch die historischen Konjunkturen des künstlerischen Amoralismus, die sich dementsprechend dann als Antidot zu zeitgleich unterschwelligen moralischen Instrumentalisierungen begreifen lassen. Zu denken wäre hier an die von Helmut Lethen so eindrucksvoll untersuchten Ästhetiken der Kälte in der Weimarer Zeit, die sich gegen Ausläufer des Expressionismus stemmten, und ebenso an die 1990er Jahre, als eine auf den Zusammenbruch sowohl des Kunstmarktes als auch einer überschaubaren Westkunst antwortende Hinwendung der Künstler und insbesondere der maßgeblichen Kuratoren zu interventionistischen und sozialen Kunstpraktiken ihrerseits Allergien hervorrief: In diesen Dunstkreis gehören die pittoresken Tierfallen Andreas Slominskis und jene wohlkalkulierten Geschmacklosigkeiten Carsten Höllers, die beispielsweise im Gewande der Verlockung oder des Spielzeughaften eine tödliche Gefahr für nichtsahnende Kinder bereitstellten oder auch bloß mimten. Das augenzwinkernd Perfide nach dem kalauernden Motto »Wer keine kleinen Kinder oder Hunde mag, kann kein ganz schlechter Mensch sein« wusste jene vom Sozialeudämonismus Kurierten auf seiner Seite, die einem nun auch in der Kunst allseits verlangten Gutmenschentum eine zynisch skandalöse Haltung gegenüberstellten.
Ungeachtet solch historischer Anbindungen bleibt Amoralismus eine Haltung überspielter Resignation, in der, seltsam genug, ausgerechnet die Künstler, also die im Ernstfalle als Erste zum Opfer Prädestinierten, großspurig nun Täterschaft wertschätzen.
Übertriebenes Amoralisieren (das, wie Brecht in seinen Baudelaire-Notizen argumentiert, als Kehrseite eines moralischen Rigorismus reüssiert) findet seine heutige Entsprechung im süßen Gift schmollender Begründungsfreiheit, von dem sich Kuratoren in der Unerfindlichkeit der von ihnen bei der Wahl ›ihrer‹ Künstler praktizierten Ein- und Ausschlüsse gerne einmal eine Prise genehmigen. Auch in den Legitimationsdiskursen