Maschen der Kunst. Christian Janecke

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Maschen der Kunst - Christian Janecke

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muss sich bereits irgendwie bewährt haben! Folglich heißt es für die Künstler, nach Kräften Ursache und Wirkung verkehren, auf dass das nur genügend ausdifferenziert Dargebotene schon per se Bedeutsamkeit generiere.

      Hinzuzurechnen wäre der rezeptionsstimulierende Aspekt des Verfahrens ›Variation‹: Denn Variationen (mit denen wir es bei dieser M. d. K. ja mehr oder weniger zu tun haben) sind nicht einfach irgendwelche Änderungen oder Wechsel, sondern ihnen liegt eine nachdrückliche Konstante zugrunde, gegenüber der die oft geringfügigen Unterschiede deutlich hervortreten. Das Betrachten und das Nachvollziehen einer Variation erheben uns also stets zum Experten; Variationen geben uns Gelegenheit, über die Nichtigkeit des Anlasses hinaus uns selbst in unserer Fähigkeit zur Nuancierung zu spüren. Dies wohl begründet den andernfalls unerklärlichen Ernst, mit dem sich Jury-Mitglieder Jahr für Jahr allen möglichen Beispielen für Belanglosigkeitsausdifferenzierung in Reinkultur zuwenden, ohne dass einer der Anwesenden auch nur eine Miene verziehen würde. Fragt sich anfangs manch einer durchaus, warum diese oder jene Belanglosigkeit seine Aufmerksamkeit verdienen sollte, so folgt doch das unausbleibliche Wunder: Die ausgebreiteten Variationen wecken tief in seinem Innern den Ordner, den Weltversteher und Wissenschaftler, vielleicht den Visuellen Soziologen oder den Kulturwissenschaftler mit Faible für Alltäglichkeiten, der er nie war. Und zu diesem Zeitpunkt hat die Falle längst zugeschnappt! Der Betreffende befindet sich nämlich bereits in einer Binnendiskussion, etwa darüber, ob der junge Künstler (um das Beispiel mit den ›geöffneten Garagen in Vorstadtsiedlungen‹ aufzugreifen) nicht auch das jeweilige soziale Milieu der Garagenbesitzer hätte dokumentieren oder das Ganze doch besser zu einer bestimmten Jahreszeit hätte fotografieren sollen usw.

      Von der Belanglosigkeitsausdifferenzierung gibt es fließende Übergänge hin zu dem, was man landläufig als ›Spezialität‹, ›Monopol‹ oder ›Individualmasche‹ (→ Einleitung) eines Künstlers überhaupt bezeichnet und was sich in respektlosen Epitheta wie zum Beispiel ›Nagel-Uecker‹ niederschlägt. Letzteres trägt zweifellos zwei Dingen Rechnung: dem Zwang zur Spezialisierung, ohne die der Einzelne auch auf künstlerischem Gebiet dilettieren müsste; und dem Zwang, eine Marke, etwas Wiedererkennbares auf dem großen und unüberschaubaren Kunstmarkt zu werden. Zu behaupten, die Belanglosigkeitsausdifferenzierer machten doch nur im Kleinen, nämlich im einzelnen Werk, was etliche berühmte Künstler lebenslang täten (Individualstil), unterschlüge indes, dass es im letzten Falle genau umgekehrt verlief: Ein zunächst einmal solitär interessanter Einfall hatte Durchsetzungskraft entwickelt und war daraufhin erst zum Dauerbrenner geworden.

      Ein regelrechter Infektionsherd der Belanglosigkeitsausdifferenzierung liegt seit den 1970er Jahren dort, wo das Sammeln als Kunst auftritt – wenngleich das Sammeln eher retrospektiv und Belanglosigkeitsausdifferenzierung eher prospektiv auffächernd wirkt. Unbestreitbar macht es Freude, irgendwelche auch noch so trivialen Dinge zu sammeln, weil es, wie sich aus dem bereits Dargelegten ergibt, bei genügend großer Variationsbreite den Experten in uns aufruft – im Sammelnden wie auch im gegebenenfalls interessierten Betrachter. Dass dies allein bereits genug der Leistung wäre, die man innerhalb bestimmter Sparten dem Künstler abverlangen würde, konnte zunächst niemand voraussehen. Beispielsweise hat Arthur C. Danto in seiner »Verklärung des Gewöhnlichen« den Kontext verantwortlich gemacht für die Aufwertung etlicher Banalitäten, während es doch (übrigens seit ziemlich genau der Zeit, da Dantos Studie erschien) viel häufiger vorkommt, dass schlichte Belanglosigkeitsausdifferenzierung diese Verwandlung besorgt.

      Aufschlussreich – und als künstlerischerseits gratis gelieferte Bestätigung meiner Ansichten über diese M. d. K. – erscheint mir, dass Künstler auch bereits dazu übergegangen sind, Belanglosigkeitsausdifferenzierung ganz unverhohlen zu thematisieren, statt dass sie ihnen bloß unterliefe. Nämlich wenn zum Beispiel sorgsam zum Raster gehängte Fotografien eines aus vermeintlich mannigfachen Blickwinkeln erfassten Objekts bewusst eine falsche Fährte legen, indem sie in uns die Vermutung anstacheln, hier sei ein Naturphänomen minutiös erkundet worden, es sich in Wahrheit aber um bloße Konstruktion eines Modells handelt – und eben diese Konstruiertheit durch die Betrachter erfahrbar werden soll.

      Übrigens weisen auch die Fotosammlungen des Hamburgers Peter Piller in diese Richtung: Von Kunstliebhabern hochgeschätzt ob seiner Fähigkeit, den absurdesten und trivialsten Themen gerade dadurch Komik und Relevanz zu entlocken, dass er unbeirrbar umfangreiche Bildsammlungen dazu anlegt, könnte seine Arbeit doch auch als ironischer Reflex auf den dank Belanglosigkeitsausdifferenzierung gleichsam automatisch sich einstellenden Aufwertungseffekt gelesen werden.

      Postskriptum:

      Monate nach Fertigstellung dieses Artikels, ich hatte im Rahmen einer Vorlesung zu M. d. K. auch das Thema »Belanglosigkeitsausdifferenzierung« behandelt, machte mich eine meiner Studentinnen aufmerksam auf das von mir für nicht möglich Gehaltene: Es gibt da tatsächlich Simone Demandts Serie Freude am Leben (seit 2001), quadratische »Color-Prints hinter Plexiglas, die die autolose Innenansicht von Garagen« zeigen. Die Selbstbeschreibung der Fotografin und die instruktiven Erläuterungen eines Kunsthistorikers zu dieser Serie liefern denn auch eine gleichermaßen belustigende wie gespenstische Bestätigung meiner Überlegungen, weil die Künstlerin und ihr Autor zwar etliches von dem erfassen, was auch in meinem Text zu finden ist. Mit dem gravierenden Unterschied freilich, dass ich mir eine Serie über dieses Sujet samt Deutungen dazu eben wirklich nur ausgedacht hatte – was ja gerade deshalb funktionierte, weil es dazu in der Hauptsache deutungshungriger Betrachter und nur in der Nebensache inspirierender Fotografien bedurfte! Über die wirklich in Angriff genommenen Garagenbilder heißt es dann im Katalog des Museums Ritterhaus, Offenburg, (2003) in aller Ernsthaftigkeit:

      »Das Sujet der Serie ›Freude am Leben‹ (…) ist auf den ersten Blick ungeheuer banal: Garagen. Dadurch jedoch, dass die Photographin einen systematischen, streng geregelten photographischen Blick auf dieses scheinbar banale Sujet richtet, dass sie eine weitgehend neutrale, in ihren äußerlichen Determinationen festgelegte Reihe erzeugt, in welcher sie eine Art typologischer Aufzeichnung unternimmt, beginnt dieses scheinbar banale Sujet, eine erstaunliche Vieldeutigkeit und Unlesbarkeit zu enthüllen … «

      Wenn ›Prestigerente‹ die schmeichelhafte Nachwirkung ehemaligen Ansehens meint, dann könnte gelten: Wer Bildformatrente kassiert, der profitiert von Effekten bildformattypischer Eigenschaften auch noch jenseits des tatsächlichen Mediums ›Bild‹. Voraussetzung dafür wäre natürlich die Ablösbarkeit solcher Eigenschaften vom Bild selbst – sie würden im Ensemble zum stabilen Schema.

      Nun könnte bildformattypisch ja vieles sein: das Zentrierende einer bildbegrenzenden Quadrat- oder Kreisform, das den Umriss einer Sache Bekräftigende eines Versatzstücks, das Additive eines Panoramas, das modular Gefügte oder das von innen nach außen Entwickelte eines Shaped Canvas, das Fortlaufende eines Frieses oder das Vielzellige eines Polyptychons. Doch sind dies sämtlich Spezialfälle, Ausnahmen von einer Regel, die auf das rechtwinklige Format in maßvollem Verhältnis von Höhe zu Breite hinauswill, eines Formates, das die Wände eines jeden gut sortierten Museums der Malerei füllt, und zwar mindestens die Abteilungen vom 16. Jahrhundert bis in unsere Zeit.

      Zu den Ursachen für den unerhörten Erfolg dieses Modells gehören historisch gesehen gewisse Konventionen. Es ist nicht übertrieben, mittlerweile sogar von regelrechten Instituierungen auszugehen – bis hin zu entsprechend vorformatiert aufgezogenen Leinwänden des Malereibedarfshandels. Aber es kommt auch ein Faktor ins Spiel, den jeder Kulturalist am liebsten ausblenden würde: das Naturgesetz der Schwerkraft. Ihm antwortet auf unserem Planeten ein aufrechtes Stehen, sprich ein rechter Winkel sowohl des Menschen als auch vieler Tiere und Bäume zur Horizontale der Erdoberfläche, in der Folge aber auch all der Bauten und unzähligen Dinge, mit denen der Mensch sich umgibt. Diese gewissermaßen von Natur aus vorbereitete, per Kultur fortgesetzte Vorstrukturierung findet im rechtwinkligen, lotrecht auf horizontal zu denkenden

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