Rassismus und kulturelle Identität. Stuart Hall

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Rassismus und kulturelle Identität - Stuart  Hall

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für die es keine absolute Garantie eines unproblematischen, transzendentalen ›Gesetzes des Ursprungs‹ gibt.

      Diese zweite Sichtweise der kulturellen Identität ist uns weniger vertraut und verunsichert uns stärker. Wenn Identität nicht in einer direkten, ungebrochenen Linie aus einem fixierten Ursprung hervorgeht, wie können wir dann ihre Formierung verstehen? Wir könnten uns schwarze, karibische Identitäten so vorstellen, dass sie von zwei gleichzeitig wirksamen Achsen oder Vektoren, einem der Ähnlichkeit und Kontinuität und einem der Differenz und des Bruches, ›eingerahmt‹ werden: Karibische Identitäten müssen immer als die dialogische Beziehung zwischen diesen beiden Achsen gedacht werden. Die eine gibt uns eine gewisse Grundlage in der Vergangenheit und Kontinuität im Verhältnis zu ihr. Die zweite erinnert uns daran, dass das, was wir miteinander teilen, gerade die Erfahrung tiefgreifender Diskontinuität ist: Die Völker, die in die Sklaverei, Deportation, Kolonisation und Migration getrieben wurden, kamen vor allem aus Afrika – und als das Angebot an Menschen aus Afrika zurückging, wurde es vorübergehend durch Vertragsarbeiter/innen vom asiatischen Subkontinent aufgefrischt. (Diese oftmals vernachlässigte Tatsache erklärt, weshalb wir in Guayana oder auf Trinidad die paradoxe ›Wahrheit‹ des Fehlers von Christoph Columbus sehen können, die in den Gesichtern der dort ansässigen Völker symbolisch eingeschrieben ist: Wir können Asien‹ finden, wenn wir nach Westen segeln, wenn wir wissen, wo wir suchen müssen.)

      In der Geschichte der modernen Welt gibt es kaum traumatischere Brüche als diese erzwungenen Trennungen von Afrika – ein Bruch, der in der europäischen Vorstellung von Afrika als ›dem dunklen Kontinent‹ bildlich zum Ausdruck kommt. Dabei kamen die Sklaven ebenso aus unterschiedlichen Ländern, Stammesgemeinschaften und Städten und hatten unterschiedliche Sprachen und Götter. Die afrikanische Religion, die das geistige Leben der Bewohner/innen der Karibik so maßgeblich bestimmt, unterscheidet sich deutlich vom christlichen Monotheismus in dem Glauben, dass Gott so mächtig ist, dass er lediglich durch eine Vervielfältigung geistiger Manifestationen erfahren werden kann, die überall in der natürlichen und sozialen Welt präsent sind. Diese Götter leben weiter in einer untergründigen Existenz, in einem religiösen Universum, das aus haitianischem Voodoo, Pocomania, Native Pentecostalism, Black Baptism, Rastafarianismus und dem lateinamerikanischen Katholizismus der schwarzen Heiligen zusammengemischt ist. Das Paradoxon besteht darin, dass es die Entwurzelung der Sklaverei und der Deportation und die Eingliederung in die Plantagenwirtschaft (sowie in die symbolische Ökonomie) der westlichen Welt waren, welche diese Menschen über ihre Unterschiede hinaus gerade in dem Moment ›vereinten‹, als sie vom direkten Zugang zu ihrer Vergangenheit abgeschnitten wurden.

      Aus diesem Grund bleibt die Differenz in und neben der Kontinuität bestehen. Nach einer längeren Abwesenheit bedeutet eine Rückkehr in die Karibik, den Schock der ›Dopplung‹ von Gleichheit und Differenz erneut zu erfahren. Als ich die französische Karibik zum ersten Mal besuchte, sah ich sofort den Unterschied zwischen Martinique und beispielsweise Jamaika, der nicht eine bloße Differenz der Topografie und des Klimas ist, sondern eine tiefgreifende kulturelle und historische Differenz. Sie positioniert die Bewohner/innen von Martinique und Jamaika sowohl als Gleiche als auch als Verschiedene. Darüber hinaus werden die Trennungslinien der Differenz immer wieder in Beziehung zu unterschiedlichen Referenzpunkten neu positioniert. Für den entwickelten Westen sind wir mehr oder weniger ›das Gleiche‹. Wir gehören zum Marginalisierten und Unterentwickelten, zur Peripherie, zum ›Anderen‹. Wir sind der äußere Rand, die ›Kante‹ der metropolitanen Welt, immer der ›Süden‹ in Bezug auf das, was für andere El Norte ist.

      Gleichzeitig stehen wir nicht alle in der gleichen Beziehung des Andersseins‹ zu den metropolitanen Zentren. Jede Gruppe hat ihre ökonomische, politische und kulturelle Abhängigkeit unterschiedlich ausgehandelt. Und diese ›Differenz‹, ob sie uns gefällt oder nicht, ist bereits in unsere kulturellen Identitäten eingeschrieben. Zudem ist es dieses Aushandeln von Identität, das uns von anderen lateinamerikanischen Menschen mit einer sehr ähnlichen Geschichte unterscheidet – wir sind Menschen aus der Karibik, les Antilliens (›Inselbewohner‹ von ihrem Festland aus gesehen), und wir unterscheiden uns auch untereinander als Menschen aus Jamaika, Haiti, Kuba, Guadeloupe, Barbados etc. …

      Wie kann nun dieses Spiel von ›Differenz‹ innerhalb der Identität beschrieben werden? Die gemeinsame Geschichte – Deportation, Sklaverei, Kolonisierung – hat all diese Gesellschaften maßgeblich gestaltet und vereint uns über unsere Differenzen hinweg. Doch sie konstituiert keinen gemeinsamen Ursprung, weil sie nur eine Übertragung im metaphorischen wie im wörtlichen Sinne darstellte. Die Einschreibung der Differenz ist ebenso spezifisch und entscheidend. Ich benutze das Wort ›Spiel‹, da die Doppelbedeutung dieser Metapher wichtig ist. Einerseits weist sie auf die Instabilität, die Unbestimmtheit, auf das Fehlen einer abschließenden Lösung hin. Andererseits erinnert sie uns daran, dass der Ort, an dem diese ›Doppelung‹ am deutlichsten zu hören ist, das vielfältige ›Spiel‹ der karibischen Musik ist. Daher kann das kulturelle ›Spiel‹ nicht wie im Film durch eine einfache binäre Opposition – ›Vergangenheit/Gegenwart‹, ›die Anderen/Wir‹ – repräsentiert werden. Seine Komplexität geht über diese binäre Repräsentationsstruktur hinaus. An verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten, in Bezug auf verschiedene Fragen werden die Trennungslinien wieder neu gezogen. Sie werden nicht nur zu sich wechselseitig ausschließenden Kategorien, was sie hin und wieder sicherlich gewesen sind, sondern auch, was sie manchmal sind, zu Differenzialpunkten entlang einer gleitenden Skala.

      Ein triviales Beispiel ist die Art und Weise, wie Martinique sowohl ›französisch‹ ist als auch nicht ›französisch‹ ist. Natürlich ist es ein département von Frankreich, was sich in seinem Lebensstandard und Lebensstil widerspiegelt. Fort de France ist wesentlich reicher und ›modischer‹ als Kingston. Kingston ist nicht nur augenscheinlich ärmer, sondern befindet sich an einem Übergangspunkt zwischen einer anglo-afrikanischen und einer afro-amerikanischen Mode, für all jene, die sich Modetrends überhaupt leisten können. Das typisch ›Martinikanische‹ besteht in der speziellen und eigentümlichen Ergänzung, die die schwarze und farbige Haut der Menschen zur ›Verfeinerung‹ und Kultiviertheit der aus Paris stammenden Haute Couture beiträgt: eine Verfeinerung, die, weil sie schwarz ist, immer grenzüberschreitend ist.

      Wollen wir diesen Sinn von Differenz, der nicht pures ›Anderssein‹ meint, einfangen, müssen wir das Wortspiel eines Theoretikers wie Jacques Derrida entfalten. Derrida benutzt bei seiner Schreibweise von ›Differenz‹ ein regelwidriges ›a‹ – différance – als eine Markierung, die unser gewohntes Verständnis bzw. unsere Übersetzung des Wortes/Begriffs stören soll. Dadurch wird das Wort zu neuen Bedeutungen in Bewegung gesetzt, ohne die Spur seiner anderen Bedeutungen auszulöschen. Christopher Norris zufolge verbleibt Derridas Verständnis von différance

      Dieser zweite Sinn von Differenz stellt die binären Oppositionen, welche Bedeutung und Repräsentation stabilisieren, in Frage und zeigt, dass Bedeutung nie endgültig und vollständig ist, sondern sich weiterbewegt und andere zusätzliche oder ergänzende Bedeutungen einschließt. Dies bringt – wie Norris an anderer Stelle gezeigt hat (Norris 1987, 15) – die klassische Ökonomie von Sprache und Repräsentation durcheinander. Ohne Differenzbeziehungen könnte es keine Repräsentation geben. Was dann aber innerhalb der Repräsentation konstituiert wird, ist für weitere Aufschiebungen, Schwankungen

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