Rassismus und kulturelle Identität. Stuart Hall

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Rassismus und kulturelle Identität - Stuart  Hall

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›Wurzeln‹ ist weitreichend, doch komplex. Sie kann nicht einfach oder unvermittelt sein. Wie uns das der Film Dreaming Rivers ins Gedächtnis ruft, ist sie durch Erinnerung, Phantasie und Verlangen komplex vermittelt und umgeformt; oder ihre Verbindung ist, wie uns sogar ein explizit politischer Film wie Handworth Songs klar verdeutlicht, intertextuell – vermittelt durch eine Vielfalt anderer ›Texte‹. Daher kann es auch keine einfache ›Wiederkehr‹ oder ›Wiederentdeckung‹ einer ursprünglichen Vergangenheit geben, die nicht durch die Kategorien der heutigen Zeit hindurch erfahren wird: Es gibt für kreative Aussagen keine Basis in einer einfachen Reproduktion von traditionellen Formen, die nicht durch neue Technologien und Identitäten der Gegenwart transformiert sind. Das wurde durch einen Film wie Blacks Britannica schon früh und kürzlich durch Paul Gilroys wichtiges Buch There Ain’t no Black in the Union Jack (1987) erneut signalisiert. Vor fünfzehn Jahren haben wir uns oder zumindest ich mich nicht darum gekümmert, ob im Union Jack schwarz vorkommt. Nun tun wir es nicht nur, wir müssen es auch tun.

      Übersetzt von Joachim Gutsche und Dominique John

      Kulturelle Identität und Diaspora

      Ein neuer karibischer Film ist im Entstehen, der das Genre des ›Dritte-Welt-Films‹ ergänzt. Er ähnelt den pulsierend-lebendigen Filmen und anderen Formen visueller Repräsentation afrokaribischer (und asiatischer) ›Schwarzer‹ – den neuen postkolonialen Subjekten – in der Diaspora des Westens, und doch unterscheidet er sich von ihnen. Alle diese kulturellen Praktiken und Formen der Repräsentation rücken das schwarze Subjekt in ihr Zentrum und stellen das Thema der kulturellen Identität in Frage. Wer ist dieses sich entwickelnde, neue Subjekt des Films und von wo aus spricht es? Tätigkeiten der Repräsentation schließen immer Positionen ein, von denen aus wir sprechen oder schreiben: Positionen der Artikulation (enunciation). Während wir meinen, sozusagen in ›unserem eigenen Namen‹, von uns selbst und unserer eigenen Erfahrung zu sprechen, legen neue Artikulationstheorien nahe, dass der Sprechende und das Subjekt, über das gesprochen wird, niemals identisch sind und niemals exakt den gleichen Platz einnehmen. Identität ist weder so vollkommen transparent noch so unproblematisch, wie wir denken. Statt Identität als eine schon vollendete Tatsache zu begreifen, die erst danach durch neue kulturelle Praktiken repräsentiert wird, sollten wir uns vielleicht Identität als eine ›Produktion‹ vorstellen, die niemals vollendet ist, sich immer in einem Prozess befindet und immer innerhalb – nicht außerhalb – der Repräsentation konstituiert wird. Diese Sichtweise hinterfragt die Autorität und Authentizität, die der Begriff der ›kulturellen Identität‹ für sich beansprucht.

      Wir versuchen hier, einen Dialog, eine Untersuchung zum Thema kulturelle Identität und Repräsentation zu eröffnen. Selbstverständlich muss auch das ›Ich‹, das hier schreibt, selbst als ein ›artikuliertes‹ gedacht werden. Wir alle haben einen bestimmten Ort, eine bestimmte Zeit, eine spezifische Geschichte und Kultur, von denen aus wir schreiben und sprechen. Was wir sagen, steht immer ›in einem Kontext‹ und ist positioniert. Ich wurde in Jamaika geboren und verbrachte dort meine Kindheit und Jugend in einer Familie der unteren Mittelschicht. Als Erwachsener habe ich in England, im Schatten der schwarzen Diaspora – ›im Bauch der Bestie‹ – gelebt. Ich schreibe vor dem Hintergrund einer lebenslangen Beschäftigung mit Cultural Studies. Wenn der Eindruck entsteht, der vorliegende Text sei von den Erfahrungen der Diaspora und von ihren Erzählungen über Verschleppung bestimmt, dann sollten wir uns daran erinnern, dass jeder Diskurs ›platziert‹ ist, und somit auch das, woran das eigene Herz hängt, seine Gründe hat.

      Es gibt mindestens zwei unterschiedliche Wege, über ›kulturelle Identität‹ nachzudenken. Die erste Position bestimmt ›kulturelle Identität‹ im Sinne einer gemeinsamen Kultur, eines kollektiven ›einzig wahren Selbstes‹, das hinter vielen anderen, oberflächlicheren oder künstlich auferlegten ›Selbsten‹ verborgen ist und das Menschen mit einer gemeinsamen Geschichte und Abstammung miteinander teilen. Nach dieser Definition reflektieren unsere kulturellen Identitäten die gemeinsamen historischen Erfahrungen und die gemeinsam genutzten kulturellen Codes, die uns als ›einem Volk‹, unabhängig von den sich verändernden Spaltungen und Wechselfällen in unserer aktuellen Geschichte, einen stabilen, gleichbleibenden und dauerhaften Referenz- und Bedeutungsrahmen zur Verfügung stellen. Diese ›Einheit‹, die allen anderen oberflächlicheren Differenzen zugrunde liegt, ist die Wahrheit oder das Wesen des ›Karibischseins‹ bzw. der schwarzen

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