Cultural Studies - Ein politisches Theorieprojekt. Stuart Hall

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Cultural Studies - Ein politisches Theorieprojekt - Stuart  Hall

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Weges stehe. Nach und nach fing ich an zu begreifen, dass ich ein schwarzer Westinder war, wie jeder andere auch, ich konnte mich dazu verhalten, ich konnte von dieser Position aus, aus ihr heraus schreiben. Es hat eine sehr lange Zeit gedauert, bis ich so schreiben konnte, persönlich. Zunächst konnte ich darüber nur analytisch schreiben. Wenn man so will, habe ich fünfzig Jahre gebraucht, um zu Hause anzukommen. Das Problem war nicht so sehr, dass ich irgendetwas zu verheimlichen hatte. Es war der Raum, den ich nicht besetzen konnte. Ich musste lernen, diesen Raum einzunehmen.

      Es wird vielleicht deutlich wie diese Formierung – diese ganze destruktive Kolonialerfahrung gemacht zu haben – mich auf England vorbereitete. Ich werde nie vergessen, wie ich hier landete. Meine Mutter brachte mich her – mit meinem Fellhut, meinem Mantel und meinem Seemannskoffer. Sie brachte mich, wie sie dachte, auf dem Bananenschiff »nach Hause« und lieferte mich in Oxford ab. Sie übergab mich dem erstaunten Collegediener und sagte: »Dies ist mein Sohn, sein Koffer, seine Sachen. Pass auf ihn auf.« Sie lieferte mich mit Unterschrift und Siegel ab, brachte mich dorthin, wohin ihr Sohn ihrer Meinung nach schon immer hingehört hatte – nach Oxford.

      Meine Mutter war eine unglaublich dominante Person. Meine Beziehung zu ihr war eng und antagonistisch. Ich hasste das, wofür sie stand, was sie für mich zu repräsentieren versuchte. Aber wir hatten alle eine enge Bindung zu ihr, weil sie unser Leben dominierte. Sie dominierte das Leben meiner Schwester. Hinzu kam, dass mein Bruder, der älteste, der sehr schlecht sehen konnte, schließlich blind wurde. Von frühester Kindheit war er sehr von meinen Eltern abhängig. Als ich geboren wurde, war dieses Muster der Mutter-Sohn-Abhängigkeit fest etabliert. Sie versuchte es mit mir zu wiederholen, Als ich begann, meine eigenen Interessen und meine eigenen Auffassungen zu haben, entstand der Antagonismus. Gleichzeitig war die Beziehung intensiv, weil meine Mutter immer sagte, ich sei die einzige Person, die mit ihr kämpft. Sie wollte mich beherrschen, aber sie hasste auch diejenigen, die sich von ihr beherrschen ließen. Sie verachtete meinen Vater, weil er ihr nachgab. Sie verachtete meine Schwester, weil sie ein Mädchen war und meine Mutter meinte, Frauen seien nicht interessant. Während der Pubertät bekämpfte meine Schwester sie die ganze Zeit, aber sobald meine Mutter sie gebrochen hatte, verachtete sie sie. Also hatten wir diese antagonistische Beziehung. Ich war der Jüngste. Meine Mutter meinte, ich sei dazu bestimmt, ihr Widerstand zu leisten, aber sie respektierte mich deshalb. Als sie schließlich wusste, was ich in England geworden war – dass ich alle ihre paranoiden Phantasien über den rebellischen Sohn verwirklicht hatte – wollte sie nicht, dass ich nach Jamaika zurückkomme, weil ich mittlerweile meine eigene Sache repräsentierte und nicht mehr ihr Bild von mir. Sie erfuhr von meiner politischen Haltung und sagte: »Bleib drüben, komm nicht zurück und mach uns mit deinen komischen Ideen keinen Ärger hier.«

      Meine Beziehung zu Jamaika wurde einfacher, nachdem meine Eltern tot waren. Wenn ich vorher zurückkam, musste ich Jamaika immer durch sie hindurch wahrnehmen. Nachdem sie tot waren, war es möglich, eine neue Beziehung zu dem neuen Jamaika aufzubauen, das sich in den siebziger Jahren entwickelte. Es war nicht das Jamaika, in dem ich aufgewachsen war. Es war kulturell eine schwarze Gesellschaft geworden, eine Gesellschaft jenseits der Sklaverei, jenseits der Kolonialzeit. Ich dagegen hatte dort am Ende der kolonialen Ära gelebt, ich konnte also meine Beziehung als die eines »bekannten Fremden« bestimmen.

      Paradoxerweise hatte ich genau die gleiche Beziehung zu England. Vorbereitet durch meine koloniale Erziehung kannte ich England von innen. Aber ich bin nicht und werde nie »englisch« sein. Ich kenne beide Orte genau, aber ich gehöre zu keinem Ort völlig. Und das ist genau die Diaspora-Erfahrung: genügend Entfernung, um das Gefühl des Verlustes und des Exils zu erleben und genügend Nähe, um das Rätsel einer auf ewig aufgeschobenen »Ankunft« zu verstehen.

      Das ist das Interessante in meiner Beziehung zu Jamaika. Die Freunde, die ich zurückließ, machten Erfahrungen, die ich nicht machte. Sie erlebten 1968 dort, die Geburt des schwarzen Bewusstseins und das Aufkommen des Rastafarianismus, mit seinen Erinnerungen an Afrika. Sie erlebten diese Jahre dort anders als ich in Britannien, also gehöre ich auch nicht ihrer Generation an. Ich ging mit ihnen zur Schule und bin mit ihnen in Kontakt geblieben, aber sie haben eine völlig andere Erfahrung als ich. Diese Kluft lässt sich nicht füllen. Man kann nicht wieder »nach Hause« gehen.

      Du bist also in der Situation, von der Simmel sprach: die Erfahrung drinnen und draußen zu sein, du bist der »bekannte Fremde«. Wir nannten das früher »Entfremdung« oder Entwurzelung. Aber heutzutage ist das zum archetypischen spätmodernen Zustand geworden. Es beschreibt zunehmend die Art und Weise, in der alle leben. So denke ich die Artikulation des Postmodernen und des Postkolonialen. Auf merkwürdige Weise bereitet einen die Postkolonialität darauf vor, in einer »postmodernen« Gesellschaft zu leben, bzw. auf eine Diaspora-Beziehung zu Identität. Paradigmatisch ist das eine Diaspora-Erfahrung. Da die Migration weltweit das historische Geschehen der Spätmoderne geworden ist, ist die Diaspora-Erfahrung zur klassischen postmodernen Erfahrung geworden.

      KHC: Aber wann wurde die Diaspora-Erfahrung bewusst?

      SH: In der Moderne, seit 1492, mit dem Beginn des euro-imperialen Abenteuers, und in der Karibik seit der europäischen Kolonialisierung und dem Sklavenhandel. Seitdem hat sich die Kultur in den »Kontaktzonen« der Welt in Form einer Diaspora entwickelt. Als ich in den sechziger Jahren über Rastafarianismus und Reggae schrieb, als ich über die Rolle der Religion im Leben der Karibik nachdachte, hat mich die »Übersetzung« zwischen Christentum und afrikanischer Religion interessiert oder die Mischungen in der karibischen Musik. Ich war sehr lange schon an dem interessiert, was jetzt zum Thema der Diaspora geworden ist, ohne dass ich es so genannt habe. Lange Zeit habe ich den Begriff nicht benutzt, weil er im Wesentlichen in Bezug auf Israel gebraucht wurde. Das war der dominante politische Gebrauch und damit habe ich Probleme wegen des palästinensischen Volkes. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs »Diaspora« ist eingebettet in einen heiligen Text, fixiert in einer ursprünglichen Landschaft, und sie verlangt, dass man alle anderen vertreibt, ein Land beansprucht, das schon von mehreren Völkern besiedelt ist. Dieses Diaspora-Projekt der »ethnischen Säuberung« war für mich nicht haltbar. Aber ich muss auch sagen, dass es sehr enge Beziehungen gibt zwischen der schwarzen Diaspora und der jüdischen Diaspora – zum Beispiel die Erfahrung des Leidens und des Exils und die Kultur der Erlösung und Befreiung, die daraus erwachsen. Deshalb benutzt der Rastafarianismus die Bibel, deshalb benutzt Reggae die Bibel, weil sie die Geschichte eines Volkes im Exil ist, das von einer fremden Macht beherrscht wird, eines Volkes, das weit weg von »zu Hause« und der symbolischen Macht des Erlösungsmythos ist. Die ganze Geschichte des Kolonialismus, der Sklaverei und der Kolonisierung wird neu in die jüdische eingeschrieben. Und in der postemanzipatorischen Periode gab es viele afrikanisch-amerikanische SchriftstellerInnen, die die jüdische Erfahrung sehr wirkungsvoll als Metapher benutzten. Für die schwarzen Kirchen in den USA waren die Flucht aus der Sklaverei und die Erlösung von »Ägypten« parallele Metaphern.

      Momente der Neuen Linken

      KHC: Was geschah als du 1951 nach England gingst?

      SH: Mit meiner Mutter auf einem Schiff in Bristol angekommen, fuhr ich in einem Zug Richtung Paddington durch diese westliche Country-Landschaft. Ich hatte sie

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