Cultural Studies - Ein politisches Theorieprojekt. Stuart Hall
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Zudem war ich auch der Meinung, dass ich oft genug die jährliche interne Krise durchlebt hatte. Die neuen StudentInnen für das Aufbaustudium kamen immer im Oktober und November und dann gab es auch immer die erste Krise, das Diplomprogramm funktionierte nicht gut, alles ging drunter und drüber. Ich hatte das wieder und wieder und wieder erlebt und ich dachte: »Du wirst einer dieser typischen desillusionierten Akademiker, du musst hier raus, solange die Erfahrungen gut sind, bevor du in diese altertümlichen Gewohnheiten verfallen musst.«
Die Frage des Feminismus war auch schwierig und zwar aus zwei Gründen: Der erste war, dass ich kein Gegner des Feminismus war, das wäre etwas anderes gewesen, aber ich war dafür. Zum »Feind« gemacht zu werden als die leitende patriarchale Figur, brachte mich in eine unmögliche, widersprüchliche Position. Natürlich mussten sie es tun. Es war absolut richtig, dass sie es taten. Sie mussten mich zum Schweigen bringen; das war das feministische politische Programm. Wenn die Rechte mich zum Schweigen gebracht hätte, wäre das in Ordnung gewesen. Wir hätten alle bis zum Letzten dagegen gekämpft. Aber ich konnte meine feministischen Studentinnen nicht bekämpfen. Man kann das auch als einen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis begreifen. Man kann für eine Praxis sein, aber das ist etwas ganz anderes, als wenn plötzlich eine echte Feministin vor einem steht und sagt: »Lass uns Raymond Williams aus dem Programm nehmen und stattdessen Julia Kristeva einsetzen«. Die Politik zu leben ist etwas anderes als abstrakt dafür zu sein. Ich wurde von den Feministinnen Schachmatt gesetzt. Im Arbeitsprozess des Zentrums konnte ich damit nicht fertig werden. Das war nichts persönliches. Ich stehe vielen Feministinnen aus der Periode immer noch sehr nahe. Es war eine strukturelle Angelegenheit. Von meiner Position aus konnte ich keine sinnvolle Arbeit mehr leisten. Es war Zeit zu gehen.
Zu Beginn waren wir am Zentrum eine Art »alternative Universität«. Es gab keine Trennung zwischen StudentInnen und MitarbeiterInnen. Was ich dann entstehen sah, war eine Trennung zwischen den Generationen, zwischen den Positionen – StudentInnen und LehrerInnen – und das wollte ich nicht. Wenn ich schon die Verantwortung als Lehrer zu übernehmen hatte, wollte ich das in einem mehr traditionellen Rahmen tun. Ich konnte nicht damit leben, die Hälfte der Zeit der Lehrer zu sein und die andere Hälfte der Vater, gehasst zu werden als Vater und aufgebaut zu werden als antifeministischer Mann. Es war unmöglich, diese Politik zu leben.
Aus all diesen Gründen wollte ich weg. Die Frage war nur – wohin? Es gab kein anderes Institut für Cultural Studies. Ich wollte nicht irgendwohin gehen, um Direktor eines Instituts für Soziologie zu werden. Da ergab sich die Sache an der Open University. Ich hatte dort ohnehin schon gearbeitet. Catherine war dort von Anfang an Tutorin. Ich dachte, die Open University sei eine bessere Option. In dieser offeneren, interdisziplinären, unkonventionellen Anordnung würden vielleicht einige der Ziele meiner Generation verwirklicht werden können – zu alltäglichen Menschen sprechen, zu Frauen und schwarzen StudentInnen außerhalb des universitären Rahmens. Es diente einigen politischen Zielen. Darüber hinaus dachte ich, das sei auch eine Gelegenheit, das hochkomplexe Paradigma der Cultural Studies, das in dieser Treibhausatmosphäre des Zentrums entwickelt worden war, auf eine mehr alltägliche Ebene zu bringen, denn die Kurse der Open University sind offen für Leute ohne akademische Ausbildung. Wenn man die Ideen der Cultural Studies dort zum Leben bringen will, dann muss man sie übersetzten, dann muss man bereit sein, auf dieser mehr popularen, zugänglicheren Ebene zu schreiben. Ich wollte, dass sich die Cultural Studies dieser Herausforderung stellten. Ich sah nicht, warum sie nicht als eine mehr populare Pädagogik leben könnten.
Das Zentrum war ein Treibhaus: die klügsten StudentInnen schrieben dort ihre Dissertationen. Sie wollten sich als organische Intellektuelle mit einer breiteren Bewegung verbinden, aber sie selbst waren die höchste Stufe eines sehr selektiven Erziehungssystems. Das war die Open University nicht. Sie stellte eine Herausforderung für das selektive System der Hochschulausbildung dar. Die Frage war also: Können Cultural Studies dort gelehrt werden?
KHC: Kommen wir zurück zur Frage der Diaspora. Einige der Diaspora-Intellektuellen haben, wie ich weiß, ihre Macht zu Hause genutzt, du jedoch nicht. Und einige von ihnen versuchen jetzt auf unterschiedliche Weise zurückzukehren. Was das angeht, fällst du also aus der Rolle.
SH: Ja, aber du musst bedenken, die Diaspora kam zu mir: Ich gehörte zur ersten Welle der Diaspora. Als ich nach Britannien kam, waren die einzigen Schwarzen, die es hier gab, StudentInnen, und alle schwarzen Studierenden wollten nach ihrem Studium zurückkehren. Während meines Promotionsstudiums und in den frühen Tagen der Neuen Linken ließ sich langsam eine schwarze Arbeiterbevölkerung hier nieder und sie wurde zur Diaspora einer Diaspora. Die Karibik ist schon eine Diaspora Afrikas, Europas, Chinas, Asiens, Indiens und diese Diaspora hat sich hier neu zur Diaspora geformt. Deshalb handeln meine jüngsten Arbeiten nicht bloß vom Postkolonialen, sondern von schwarzen FotografInnen, FilmemacherInnen, von Schwarzen am Theater, sie handeln von der dritten Generation der Schwarzen Britanniens.
KHC: Aber du hast niemals versucht, deinen intellektuellen Einfluss zu Hause geltend zu machen?
SH: Es gab Momente, in denen ich zu Hause interveniert habe. Vor 1968 stand ich im Gespräch mit Leuten, die ich aus meiner Generation kannte. Es ging im Wesentlichen darum, die Differenzen zwischen einer schwarzen marxistischen Gruppierung und einer schwarzen nationalistischen Gruppe zu lösen. Ich sagte, »ihr solltet miteinander sprechen«. Die schwarzen Marxisten suchten nach einem jamaikanischen Proletariat, aber es gab keine Schwerindustrie in Jamaika; und sie hatten kein Ohr für den kulturrevolutionären Schub der schwarzen Nationalisten und der Rastafarians, die eine überzeugendere kulturelle, oder subjektive Sprache entwickelten. Aber insgesamt habe ich nie versucht, dort eine größere politische Rolle zu spielen. Teilweise, weil der Bruch in der Politik dort – die Kulturrevolution, die aus Jamaika in den Siebzigern zum ersten Mal eine schwarze Gesellschaft machte – zusammenfiel mit einem Bruch in meinem eigenen Leben. Ich wäre zurückgegangen und hätte versucht, dort politisch zu wirken, wenn die Karibische Föderation Bestand gehabt hätte. Dieser Traum war 1950 vorbei, als ich beschloss zu bleiben und ein »Gespräch« mit denen zu beginnen, die dann die Neue Linke bildeten. Die Möglichkeit eines Szenarios, in dem ich in der Karibik politisch aktiv gewesen wäre, war in dem Moment vorbei, als ich hier persönlich eine neue politische Wirkungssphäre gefunden hatte. Nachdem ich einmal beschlossen hatte, hier und nicht dort zu leben, und nachdem Catherine und ich geheiratet hatten, wurde die Möglichkeit zur Rückkehr schwierig. Catherine war eine englische Sozialhistorikerin, eine Feministin; ihre politische Praxis fand hier statt. Allerdings, paradoxerweise arbeitet sie jetzt über Jamaika und die imperiale Beziehung, weiß mehr über die Geschichte Jamaikas als ich und ist sehr gerne dort. Aber in den sechziger Jahren war es für eine weiße britische Feministin schwierig, sich in der Politik Jamaikas nicht als Außenseiterin zu fühlen. Ich knüpfte wieder Kontakte mit der Karibik wegen der Formierung einer schwarzen Diaspora-Bevölkerung hier. Im Zusammenhang mit den Studien über Ethnizität und Rassismus für die UNESCO und mit Policing the Crisis11, wo »Rasse« und Rassismus und ihre inneren Beziehung zur Krise der britischen Gesellschaft im Zentrum standen, begann ich darüber wieder zu schreiben. Und jetzt schreibe ich sehr viel im Kontext von kulturellen Identitäten.
KHC: Die Diaspora ist also definiert durch die persönlichen und strukturellen Konjunkturen und die Kreativität und die Kraft der Diaspora entstehen zum Teil aus dieser unlösbaren Spannung?
SH: Ja, aber sie ist immer sehr spezifisch und diese Spezifik verliert sie nie. Das ist der Grund, warum die Art und Weise, in der ich die Frage der Identität denke, sich von dem postmodernen Begriff des »Nomadischen« unterscheidet. Ich glaube, die kulturelle Identität ist nicht fixiert, sie ist immer hybrid. Aber gerade weil sie aus sehr spezifischen historischen Formationen entsteht, aus sehr spezifischen historischen Geschichten und kulturellen Repertoires der Enunziation, kann sie eine »Positionalität« konstituieren, die wir vorläufig Identität nennen. Sie ist nicht einfach irgendetwas. Jede dieser Identitätsgeschichten ist eingeschrieben