Wenn ich das geahnt hätte. Anne Christina Mess

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Wenn ich das geahnt hätte - Anne Christina Mess

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aus. Sie fragen sich, was sie verkehrt gemacht haben, und schämen sich für die Tat. Dennoch sollte man zumindest im Freundeskreis ehrlich sein und den Selbstmord oder Suizidversuch trotz des weitverbreiteten Tabus beim Namen nennen. Es kann sehr entlastend sein, zu merken, dass auch andere Menschen schon in vergleichbaren Situationen waren.

      Selbstmord bedeutet für die nächsten Angehörigen ein massiv einschneidendes Lebensereignis, das ihr Leben stark beeinträchtigt und meistens auch verändert. Man spricht im Zusammenhang mit der nach einem Tod folgenden Traurigkeit und Trauer sehr treffend von Trauerarbeit, die ein Mensch zu leisten hat.

      Zu Tod und Sterben gehört Trauerarbeit, die jedoch unterschiedlich verläuft, je nachdem, ob jemand z. B. nach einer längeren qualvollen Krankheit, nach einem Unfall oder aber durch eigenes geplantes Dazutun stirbt. Im letzteren Fall fragen Angehörige und Freunde, nicht selten auch Arbeitskollegen oder Nachbarn, wie weit sie mit am Geschehen schuldig sind. Diese Gewissensbisse sind umso stärker, je konflikthafter die Beziehung zur suizidierten Person war. Auch wenn beispielsweise eine Scheidung oder Trennung, die dem Suizid vorausgegangen ist, mit zum Entschluss, dem eigenen Leben ein Ende zu bereiten, beigetragen haben, ist dies zwar eine mit auslösende Bedingung, aber keine hinreichende. Es gehört stets der Entschluss des Menschen dazu, einen Schlussstrich zu ziehen. Damit räumt er der derzeitigen Krise keine Entwicklungschance mehr ein.

      Es gibt selbstverständlich real begangene Schuld und Schuldigwerden am anderen. Menschen haben unterschiedliche Strategien, mit dieser Schuld umzugehen. Jedoch ist und bleibt es jeweils die Aufgabe des »Opfers«, sich dafür oder dagegen zu entscheiden, diese Schuld immer wieder hervorzuholen, sie dem anderen anzukreiden und nachzutragen. Derjenige, der nachträgt, erschwert sich das Gehen selbst. Wenn ein Hinterbliebener durch eigene Erkenntnis oder einen Abschiedsbrief auf begangene Schuld stößt, muss er entscheiden, wie weit die Vorwürfe gerechtfertigt sind und er sich mit ihnen identifizieren möchte. Manchmal entlastet es Hinterbliebene, wenn sie die Frage nach der Schuld umformulieren in Überlegungen zu eigenen Anteilen.

       Ein unabgeschickter Brief an …

       Die folgenden Impulse sind als Anregungen gedacht, … einen Brief zu schreiben, der das ausdrückt, was … nicht mehr gesagt werden kann. Die Bausteine können einzeln oder komplett verwendet und auch erweitert werden. Der Brief kann z. B. bei der Beerdigung mit in den Sarg gegeben oder zum Jahrestag aufs Grab gestellt oder auch verbrannt werden usw.

       Liebe, lieber …

       (oder welche Anrede wäre für meinen Adressaten passend?)

       Wer war … für mich?

       Woher kannten wir uns?

       Welche Rollen hat … gespielt (Vater, Mutter, Geschäftsmann, Mannschaftsmitglied)?

       Welche meiner Gedanken und Gefühle zu seinem Tod möchte

       ich ihm in dem Brief mitteilen (Entsetzen, Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Warum-Fragen usw.)?

       Was wünsche ich …?

       (Sie finden dieses Arbeitsblatt Nr. 1 auch im Internet unter www.acmess.de.)

      Die Frage nach der tatsächlichen Mitschuld und den Anteilen am Suizid (z. B. Übersehen von Vorboten) ist nicht einmalig zu beantworten, sondern kann beispielsweise am Geburtstag des Selbstmörders oder an seinem Todestag wieder auftauchen.

      Üblicherweise stellt sich die Schuld- oder Mitschuldfrage zu keiner Zeit in Reinform, sondern bildet zusammen mit Gefühlen von Traurigkeit, Wut, Selbstzweifeln sowie anderen Gefühlen und Gedanken ein Konglomerat.

      Trauerarbeit braucht Zeit und Kraft, es handelt sich dabei tatsächlich um seelische Schwerarbeit. Ursprünglich wurde dieser Begriff 1915 von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, eingeführt. Interessanterweise ist Trauern bis heute mit einem gewissen Tabu behaftet, und doch ist es etwas, das zum Menschsein genauso gehört wie das Eingehen von Beziehungen. Unterschiedliche Disziplinen und Fakultäten haben sich unter verschiedenen Fragestellungen damit befasst, wie Menschen trauern und welche Rituale sie haben (z. B. das Tragen von schwarzer Kleidung als äußeres Zeichen der Trauer). Es gibt in den verschiedenen Kulturen sehr unterschiedliche Formen des Trauerns, die hier nicht ausführlich dargestellt werden können. Jeder Mensch entwickelt aufgrund seiner Lebenserfahrungen, seiner Vorbilder im Bereich des Trauerns und seiner Persönlichkeit einen individuellen Umgang mit der Trauerarbeit.1

      Menschen sind Beziehungswesen, deren Selbstbild und Weltbild stark von zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflusst wird. Durch den Tod eines geliebten Menschen werden Selbst- und Weltverständnis stark erschüttert und es geht etwas aus der kleinen privaten Welt verloren.

      Der Ausruf einer Witwe am Grab ihres soeben beerdigten Mannes: »Hermann, warum lässt du mich allein?!«, ist Ausdruck des Entsetzens über den erlittenen Verlust. Bereits in der Anfangsphase des Trauerns gehört neben dem Schmerz über den Verlust des anderen auch Wut bis hin zu Hass auf sein Weggehen, auf den Tod und manchmal auch auf eine göttliche Instanz. Manche Hinterbliebene denken jetzt an Selbstmord, um den nun häufig anstehenden Problemen zu entfliehen.

      Für diese Problem-«Lösung« entscheiden sich nur wenige Hinterbliebene. Manche versuchen, sich den Kummer über den Konsum von Drogen jedweder Art zu erleichtern (z. B. Alkohol, Rauchen, Essen, Einkaufen u. a.), sowie durch ständiges Unterwegs-Sein. Bereits der alte Kirchenvater Augustinus bemerkt, dass der Hinterbliebene in der ersten Phase nach einem Verlust durch den Tod eines Freundes diesen noch sucht. Lindenmann spricht von einer Ruhelosigkeit, die Personen nach einem schweren Verlust empfinden: »Dem Drang, etwas zu tun, auf der Suche nach etwas zu sein, steht ein Mangel an Zielgerichtetheit gegenüber.« Parkes bezeichnet dieses Suchverhalten nicht als ziellos, sondern weist darauf hin, »dass das Suchverhalten das Ziel habe, den eben verlorenen Partner wiederzufinden« (zitiert nach Kast, S. 14, 15, s. Anhang).

      Die Trauer als Emotion des Abschiednehmens, der Aufarbeitung zerbrochener Beziehungen und der Verinnerlichung von Eigenschaften der verlorenen Person hilft uns, unser aus den Fugen geratenes Selbst- und Weltbild neu zu festigen. Üblicherweise lebt die lebendige Erinnerung an die verstorbene Person, wenn wir eine nähere persönliche Beziehung zu ihr hatten, in uns weiter.

      Unmittelbar nach dem Tod eines nahestehenden Menschen sind intensive Träume eine normale seelische Reaktion, das Todeserlebnis zu verarbeiten. Manchmal bekommt der Träumer nachts eine Art Anleitung aus seinem Unbewussten, wie er trauern kann, wodurch die Identität des trauernden Menschen neu geformt wird.

      Es gibt außerdem Träume von einer geliebten toten Person erst viele Jahre nach seinem Tod, was oft darauf hinweist, dass uns diese Person noch beschäftigt, unsere Seele nachts noch weiter an der Verarbeitung des Todes arbeitet. Es besteht häufig noch eine starke Bindung zu dem Verstorbenen oder gar eine Sorge um ihn. Der Träumer sollte den Toten oder die Sorgen um ihn ganz loslassen.

      Wie wir aus der Traumdeutung wissen, können die Traumfiguren auch symbolhaft für einen anderen Menschen oder für Persönlichkeitsanteile des Träumenden selbst stehen. Träume von Verstorbenen müssen also nicht immer eine seelische Auseinandersetzung mit dem Toten bedeuten.2

      Trauer ist

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