Als Luther vom Kirschbaum fiel und in der Gegenwart landete. Albrecht Gralle

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Als Luther vom Kirschbaum fiel und in der Gegenwart landete - Albrecht Gralle

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es schon, in kleinen Häppchen …“

      „Was? Echt?“

      „Ja, wenn du mit einem Raumschiff mit einer Geschwindigkeit, die in die Nähe der Lichtgeschwindigkeit kommt, sagen wir mal, zehn Jahre durch den Weltraum fliegst, und du kommst dann auf die Erde zurück, bist du ein paar Monate oder Jahre jünger, als wenn du auf der Erde geblieben wärst. Die Zeit ist relativ. Insofern bist du in die Zukunft der Erdbewohner gereist …“

      „Ach so.“

      „Klingt ja nicht begeistert …“

      „Ich meine, ist es möglich, dass jemand … sagen wir, aus dem Mittelalter plötzlich bei uns auftaucht?“

      Sonnhüter sah förmlich vor sich, wie sein Schwager den Kopf schüttelte. „Wie gesagt: Ein bisschen in die Zukunft könnte möglich sein, aber nicht in diesen Zeiträumen. Und andersherum, also Reisen in die Vergangenheit, geht überhaupt nicht. Das scheitert am Großvaterparadoxon.“

      „Dem was?“

      „Stell dir vor, es würde dir gelingen, in die Vergangenheit zu reisen und deinen eigenen Großvater zu erschießen …“

      „Das würde ich nie machen!“

      „Ist doch egal. Aber nur mal angenommen. Dann würdest du etwas tun, das deine eigene Existenz auslöscht. Du wärst nie geboren worden und könntest deshalb auch deinen Großvater nicht erschießen. Man verstrickt sich in irrsinnige logische Widersprüche.“

      „Also keine Zeitmaschine …“

      „Na ja, es gibt theoretisch noch die Möglichkeit, dass jemand aus einem Paralleluniversum bei uns landet, dessen Planet noch ein Zeitalter zurückliegt. Das käme uns dann so vor, als ob jemand aus der Vergangenheit bei uns auftaucht.“

      „Hm. Aber du denkst, dass jemand aus dem Mittelalter durch einen Blitz bei uns landet, das ist … unmöglich?“

      „Das ist möglich – allerdings nur in Hollywood.“

      „Na ja, vielen Dank. Hat mich mal interessiert.“

      „Nichts zu danken. Also, du brauchst nicht zu befürchten, dass jemand aus dem Mittelalter an deiner Tür klingelt.“

      „Alles ist möglich“, brummte Sonnhüter, legte auf und ärgerte sich, dass er schon wieder einen biblischen Ausdruck gebraucht hatte.

      Luther wunderte sich, wie leicht die Bücher heutzutage waren und wie viele Exemplare dieser einfache Pfarrer in seiner Bibliothek untergebracht hatte. Er musste ein reicher Mann sein.

      Die „Tschiens“, wie Andreas die dicken Hosen genannt hatte, fühlten sich steif und schwer an. Da waren die engen Beinlinge, die Luther unter der Kutte trug und die man mit Bändern am Gürtel befestigte, bequemer gewesen.

      Aber über den „Rasierapparat“ hatte Luther noch mehr gestaunt. Winzige Räder und Messer, die sich von selbst bewegten. Überhaupt bewegten sich die Dinge in diesem Jahrhundert fast alle von selbst: Rührlöffel, Spülmaschinen, die Messer einer lauten Sense, das Wasser, das durch einen Hebel plötzlich aus einem unsichtbaren Brunnen strömt, und vor allem die Bilder in dem magischen Spiegel. Sonnhüter hatte ihm erklärt, dass diese selbstbewegenden Dinge keine Magie waren, sondern dass man die Stromkraft entdeckt hatte, die in Gottes Schöpfung gewissermaßen eingewickelt gewesen war – und die die Menschen nun ausgewickelt hatten und benutzten.

      Luther würde dieses Zeitalter, in dem er jetzt lebte, das „Selbstbewegte Zeitalter“ nennen.

      Worüber er insgeheim staunte, es aber nicht sagte, das waren die Weiber mit ihren kurzen Röcken und den Männerhosen. Manchmal blieb ihm der Mund offen stehen, wenn er eine Frau mit abgeschnittenen Hosen entdeckte.

      Im Augenblick saß Luther auf Sonnhüters Terrasse, hatte die Beine hochgelegt und trank Apfelsaft. Auf seinen Knien lag eines dieser leichten Bücher, und er versuchte gerade, die neue deutsche Sprache zu verstehen. Das Buch trug den merkwürdigen Titel „Pünktchen und Anton“. Bevor ihm Sonnhüter die deutschen Fürstentümer zeigen wollte, sollte er sich in dieser neueren Sprache besser auskennen. Sie kam ihm irgendwie blasser und leerer vor als seine eigene, als ob man alle Verzierungen abgeschnitten habe. Den Konjunktivus las man nur selten.

      Auch vollkommen neue, unverständliche Wörter tauchten auf. Luther hatte zu diesem Zweck einen Zettel und einen Bleistift neben sich liegen und schrieb gerade das Wort „Eisenbahn“ auf. Was sollte das sein? Eine Straße aus Eis oder Eisen?

      Dieser Kästner hatte zuweilen gute Einfälle, er schrieb: „Wahr ist eine Geschichte dann, wenn sie hätte passieren können.“

      Aber was bedeutete: „Bei euch piept’s wohl?“

      Die Terrassentür öffnete sich. Luther schaute hoch. „Wie wär’s mit einem Tee und einem Stück Kuchen oder Gebäck?“

      Sonnhüter trug ein Tablett und stellte es auf den Tisch. Luther wunderte sich, dass keine Knechte und Mägde da waren, aber das war ja bei ihm zu Hause auch nicht anders gewesen. Sie waren alle ausgeflogen, und deshalb hatte er ja diese Kirschen selbst pflücken müssen.

      Andreas verteilte Tassen und Teller, stellte Zucker und eine Schale mit kleinen gebogenen Teilen hin.

      „Du kennst doch Tee, oder?“

      „Oh ja. Meine Käthe bereitet ein Haufen Sorten zu: Hagebutten, Zitronenmelisse, Lindenblüten …“

      „Das hier ist Tee aus Indien.“

      „Das muss gar kostspielig sein.“

      „Nein, ganz und gar nicht. Die Welt ist kleiner geworden. Du kannst mit einer fliegenden Autokutsche in einem Tag dort sein.“

      „Was? Ihr könnet machen, dass eine Kutsch tut fliegen?“

      „Nicht nur das. Wir können durch einen kleinen Apparat mit Menschen aus Indien reden.“

      „Ich erinner mich. Die Magd in der … in jenem Schloss hat so einen Stein an ihr Ohr g’halten und geredt!“

      Sonnhüter goss ein. „Bedien dich, wenn du Zucker haben willst …“

      „Zuckra?“

      „So etwas wie Honigpulver, ist ziemlich süß.“

      „Ja, hab davon gehört. Ist aber nur was für die reich Leut. Mein Käthe hat den Honig verwendt aus ihren eigen Bienenstöck.“

      Luther steckte den Zeigefinger in die Zuckerdose und probierte. Dann nickte er und ließ drei gehäufte Löffel in seinem Tee verschwinden.

      Er rührte mit dem Löffel gedankenvoll herum und fragte: „Wie heißt eigentlich der Kaiser, der jetzt regieret?“

      Sonnhüter trank einen Schluck und zögerte. „Wir haben in Deutschland keinen Kaiser mehr. Der letzte hat uns vor hundert Jahren einen furchtbaren Krieg beschert. Die Regierung wird vom Volk gewählt oder von den Volksvertretern. Das nennt man eine Demokratie …“

      „Und …

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