Weihnachtswundernacht 1. Группа авторов

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Weihnachtswundernacht 1 - Группа авторов

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Gedanken zu singen begann. Sehr leise und sehr zaghaft zunächst. Kaum wahrnehmbar. Doch dann immer lauter. Immer forscher. Und schließlich unüberhörbar.

      »Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll gerettet werden, wenn er dem Kinde glaubt!«

      Galt das mir? Galt das wirklich mir? Gerettet wird, wer dem Kind glaubt? Dem Kind in der Krippe von Bethlehem?

      Es war eine Melodie aus dem Himmel an diesem Tag. Eine Botschaft direkt von dem Kreuz, das da vor mir an der Wand hing. »Glaub nicht deiner Schuld! Glaub nicht deinem Gewissen! Glaub dem Kind! Glaub Jesus! Der gekommen ist, um die mit dem Himmel zu belohnen, die die Hölle verdient haben! Dich!«

      Ich weiß nicht mehr, ob ich geweint habe. Aber ich weiß noch, dass mir zum Weinen zumute war. Vor Scham und Schreck und vor Staunen. Vor Freude und vor Begeisterung. Weihnachten und Ostern und Geburtstag und Jubiläum auf einmal. Mein Fest!

      Wie der verlorene Sohn bin ich in Gottes Arme gefallen. In sein Erbarmen. Hab neu Platz genommen an seinem Tisch. An seinem Herzen. Hab mich satt gestaunt und satt gegessen. Und war im Himmel. Irgendwie.

      JÜRGEN WERTH

       Ankunft in 24 Minuten

      »Ankunft in 24 Minuten.« Sagt der Navi. Eigentlich ja das Navi. Neutrum. Ein satellitengesteuertes Ortungs-Programm mit Straßenkarten-Display und erotischer Frauenstimme.

      »Wer’s glaubt, wird selig«, brummt Wolf-Rüdiger grimmig.

      Er biegt auf die Bundesstraße ein und stellt den Scheibenwischer schneller. Schneeregen. Matschwetter. Zwei Baustellen stehen ihm noch bevor, wahrscheinlich sogar Umleitungen wegen der Weihnachtsmärkte in den zwei Dörfern auf dem Weg. Außerdem ist es Freitagspätnachmittag. Eine knappe halbe Stunde nur, pah. Soll man das glauben?

      Sein Patenkind Frederike spielt um halb acht einen Engel. Im Gemeindehaus der übernächsten Stadt, abseits von Wolf-Rüdigers üblicher Heimfahrtstrecke.

      Ausgerechnet heute ist es länger geworden im Büro. Erst streikte der Drucker, dann gab es Rückfragen, was will man machen.

      »Noch 24 Tage bis Heiligabend, dann haben Sie Ihr Ziel erreicht.«

      Wolf-Rüdiger reibt sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. Hat der Navi, also das Navi, eben »Heiligabend« gesagt? Nie im Leben. Ich bin völlig überarbeitet, denkt Wolf-Rüdiger, ich bin überdreht und müde. Höre schon Stimmen, meine Güte.

      Früher, als man noch Straßenkarten benutzte, hatte seine Frau Roswitha auf dem Beifahrersitz den Autoatlas immer rumgedreht. Weil Ziele, die eine Frau anstrebt, »oben« sein müssen. Also jetzt nicht moralisch, sondern mehr so hirnphysiologisch gemeint. Frauen wollen nach »oben«. Auf jeden Fall. Auch auf der A 5, wenn man Richtung Basel fährt.

      Heute macht dieses Rumdrehen ein Display. Freiburg im äußersten Südwesten Deutschlands ist rechts oben. Und Berlin ist links unten. Wenn man nach Freiburg fährt. Jetzt mal von sich aus gesehen. In dieser seiner streng subjektivistischen Weltsicht ist das Navigationsgerät eigentlich weiblich. Müsste also die Navi heißen. Sagt aber keiner. Besitzt ein Mann wie Wolf-Rüdiger noch einen Rest Geographiekenntnisse – Geographie, liebe Kinder, das ist, wenn man weiß, dass Dänemark oben und Österreich unten ist –, dann muss dieser Mann umdenken. Radikal umdenken.

      Da. Die erste der befürchteten Baustellen-Ampeln. So ein Navi ist wie der Pfarrer auf der Kanzel, denkt Wolf-Rüdiger: Kriegt die Signale von ganz oben. Erwartet einfach, dass man seine Anweisungen befolgt. Behauptet Dinge, die der persönlichen Erfahrung widersprechen. Und manchmal sogar der konkreten Realität. Und provoziert dauernd die Frage: Soll man das glauben?!

      »Ankunft Gottes als Mensch auf der Welt in 24 Tagen«.

      Hat er das jetzt nur gedacht oder tatsächlich akustisch gehört? Wolf-Rüdiger starrt verwirrt aufs Display, prüft dann im Innenspiegel seine nervös geröteten Augen und verpasst dadurch beinah die Grünphase. Hinter ihm hupt es.

      Umdenken, geht es Wolf-Rüdiger durch den Kopf. Radikal umdenken. Nicht nur räumlich, auch zeitlich. Natürlich kommt Jesus nicht erst an Heiligabend auf die Welt, verschwindet an Himmelfahrt wieder, und dann, »a-lle Jaa-hre wie-der, kommt da-has Christus-kind …«, nee nee. Der Kalender des Kirchenjahres erinnert lediglich daran, dass jedes einzelne Menschenleben und die Welt als Ganzes auf ein Ziel zusteuern. Und dass niemand weiß, wie viel Zeit ihm noch bleibt.

      »Wenn ich nur noch 24 Tage zu leben hätte …«

      Wolf-Rüdiger zuckt zusammen. Es gibt iPhones und Navis mit Sprachsteuerung, ja sicher, aber können diese kleinen Tyrannen jetzt schon Gedanken lesen und sie in Sprache umwandeln?! Jetzt werd’ nicht auch noch sentimental, Menschenskind! So fängt wahrscheinlich ein Burnout-Syndrom an. Wenn ich nur noch 24 Tage zu leben hätte, würde ich nicht freitagabends in einem Feierabendstau stehen, sondern … Ja, was eigentlich? Der kleinen Frederike weise Vorträge halten? Fotos sortieren, versöhnliche Briefe schreiben, alte Freunde aufsuchen und die Verwandten zu einem Abschiedsessen einladen? Mein Testament machen, Bücher und Bargeld verschenken, Meditationskurse belegen, beten und singen?

      Wolf-Rüdiger drückt auf den Schalter über dem Türgriff, lässt die Seitenscheibe ein Stück herunter und atmet die feuchte Winterluft ein. Tief durchatmen, gaaanz tief durchatmen. Und logisch denken:

      Ob Gott auf mich zukommt oder ich mich mit jedem Tag verbrauchter Lebenszeit auf ihn zu bewege, ist nur eine Frage der Perspektive. So gesehen ist das ganze Leben ein einziger Advent. Die Zeitspanne nämlich, in der ich auf eine Begegnung mit Gott zusteuere. Aber diese Begegnung muss doch nicht erst stattfinden, wenn ich sterbe, oder?

      Dass Gott »oben« im Himmel ist und in Jesus »auf die Erde ni-hieder« kommt, »wo-ho wir Menschen sind« – auch das ist nur die räumliche Vorstellung eines netten Kinderliedes zu Weihnachten. Gott ist hier, überall, vermutet Wolf-Rüdiger. Um mich herum in dieser Mittelklassenkutsche, an mir dran in meinem mittelmäßigen Leben und in mir drin in meinem mittelprächtigen Charakter. Hat man weniger Angst vor dem Tod, wenn man Gott schon vorher ein paarmal begegnet ist?

      Wolf-Rüdiger schließt das Fenster wieder und wischt sich die Regentropfen von der linken Schulter.

      Die Graupelschauer da draußen verwandeln sich in Schneetreiben. Die endlose Kette aus Blech und roten Rückleuchten schiebt sich durch den adventlich geschmückten Ortskern wie eine schläfrige Python. Ampel Nr. zwei ist grün, Ampel Nr. drei wieder rot, Ampel Nr. vier ist kaputt. Vorwärts geht es trotzdem nicht.

      »Neuberechnung. Neuberechnung.«

      Aha. Seine neunmalkluge Mutti im Armaturenbrett hat die Umleitung um den Weihnachtsmarkt im nächsten Ort gecheckt. Soll er ihr vertrauen, obwohl er die Nebenstrecke nicht kennt? Wie oft hat er schon regelrechte Machtkämpfe mit ihr ausgefochten! Ja, die Navi wies ihm den kürzesten Weg nach Hause. Aber dass es 600 Meter raufging und dort oben Nebel und Glatteis herrschten, wusste sie nicht. Ja, geradeaus ging die Goethestraße weiter. Aber als Fußgängerzone. Mit Treppenstufen vorne dran. Und die abknickende Vorfahrt hieß Gotenstraße.

      Wolf-Rüdiger ist nicht der Typ für »blinden« Gehorsam. Nicht im Auto und nicht in der Kirche. Einen Rest gesunde Skepsis hat er sich immer erhalten, Navis und Pfarrern gegenüber

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