Der mondhelle Pfad. Petra Wagner
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Читать онлайн книгу Der mondhelle Pfad - Petra Wagner страница 62
Silvanus winkte beschwichtigend ab.
„Kannst du dich noch an die Geschichte mit den Brennnesseln erinnern, Loranthus?“
„Klar. Du hast dir als Kind ein Mähwerk äh … ausgeborgt, damit bist du einen Hang runtergefahren, unten in die Brennnesseln reingeprescht und an einem Stein hängengeblieben. Bei dem vielen Schwung hast du leider das Mähwerk zerschmettert.“
„Genau. Heimlich zurückstellen ging zu meinem Leidwesen nicht mehr. Die Eisenschneiden waren aber noch einigermaßen zu gebrauchen und auch etwas Holz war heil geblieben. Daraus bauten Großvater und ich ein viel kleineres Mähwerk mit tiefsitzenden Schneidebalken. Damit musste ich zur Strafe immer das Gras im Dorf mähen. Großvater meinte, ich würde mich gut als Ochse machen, und ich hab natürlich immer ordentlich dazu geschnaubt.“
Silvanus sah verträumt vor sich hin.
„Ach, unser Großvater Anu … Ich habe ihm nie verraten, wie viel Spaß ich als Ochse hatte. Sogar Großmutter Dana wollte sich das kleine Mähwerk mal ausborgen, weil sie angeblich nicht so gerne mit der Sense Gras mähte. Sie kam extra mit einem Ochsenkarren zu Besuch und hat es mit in ihr Königreich genommen. Ein Jahr später hatte Großvater drei neue Aufträge für ein kleines Mähwerk, weil auf den Höhenzügen von Raino plötzlich etliche Leute nicht mehr mit einer Sense umgehen konnten.“
Loranthus kicherte und tat so, als wolle er mit einer Sense mähen, was er wirklich noch nicht so gut konnte.
„Dein Großvater hat also immer die Wagen bei euch gebaut.“
„Ganz genau. Er konnte alles bauen, was Räder hatte.“
„Und das hier …“ Loranthus klopfte auf das große Mähwerk. „ … ist also ein neues, echtes Mähwerk von deinem Großvater. Sieht es genauso aus wie das alte?“
„Ja, natürlich! Die gleiche Konstruktion und ich musste beim Bauen helfen. Vater hat übrigens die Messerschienen geschmiedet.“
Loranthus schürzte anerkennend die Lippen und schlenderte um das breite Mähwerk herum. Seine Hand glitt von den scharfen Messerzacken über das große Rad zu einem Holzkasten mit enormen Fassungsvermögen.
„Diese Konstruktion … einfach genial! Wenn ich das richtig sehe, funktioniert das Ganze folgendermaßen: Der Ochse schiebt das Mähwerk vor sich her. Dabei drehen sich die Räder, die Messerschienen laufen gegeneinander … und weil sie so weit oben sind, schneiden sie das Korn gleich unter der Ähre ab. Die Ähren fallen nach hinten in den großen Kasten und den braucht ihr nur ausleeren. Ohne großen Aufwand bekommt ihr schnell viele Säcke voll und stapelt sie auf einem anderen Wagen. Wenn ihr es richtig anstellt, seid ihr so hurtig mit der Getreideernte fertig, wie der Ochse das Mähwerk vor sich herschiebt.“
„Korrekt, Loranthus“, rief Silvanus, trabte auf der Stelle und wischte sich hechelnd über die Stirn, als würden dort Bäche von Schweiß rinnen. „Wenn der Ochse schneller gehen täte, würde ich alle Getreidefelder an einem Tag schaffen! Aber ich darf ihn ja nicht überfordern. Schließlich bin ich der beste Ochsenführer weit und breit. Einen Wettkampf im Getreideernten würde ich garantiert gewinnen, vorausgesetzt meine Helfer kommen hinter mir her.“
Loranthus nickte eifrig und bemühte sich um eine ehrfürchtige Miene. „Aber wie hast du dieses Riesending den Hang hinauf befördert, Silvanus? Du warst doch damals noch klein?!“
„Nur ein Stückchen kleiner!“, korrigierte Silvanus und hörte auf zu traben. „Aber wozu habe ich ältere Brüder!? Viviane und ich hatten gewettet, wer von uns schneller den Hang wieder unten ist. Sie, wenn sie rennt oder ich mit dem Mähwerk. Noeira war damals auch schon mit von der Partie und hätte Conall das Mähwerk am liebsten auf den Rücken gehievt, wenn wir dadurch schneller den Berg hochgekommen wären. Weil das schlecht ging, haben wir es abwechselnd mit unseren Freunden hochgezerrt.“
„Naschu und Ninive waren also auch mit dabei?“
„Sogar noch viele mehr! Beth, Harthu, Nora, Oen, Susanne, Mirja … sogar Nion und Medan sind uns hinterher geschlichen, obwohl beide damals kaum über die Tischplatte gucken konnten, Medan jedenfalls nicht.“
„Gar nicht wahr!“, kam es von draußen, aber Medan hatte wohl gerade etwas anderes zu tun, als die Angelegenheit richtig zu stellen.
„Ich kann euch förmlich vor mir sehen …“, feixte Loranthus und drückte mit aller Kraft gegen das große Mähwerk. „ … wie ihr alle zusammen den Berg hinauf keucht. Als die Griechen das hölzerne Pferd vor Trojas Tore gezerrt haben, ging es ihnen bestimmt genauso.“
Loranthus musste über seinen eigenen Vergleich lachen und entdeckte dabei ein technisches Problem.
„Aber es hat ja nur zwei Räder! Wie bist du denn damit einen Hang runter gefahren, Silvanus? Das kippt doch sofort!“
„Ach, ich habe ein paar Bretter zurecht gezimmert und eine Achse mit kleinen Rädern festgemacht. Du weißt doch, Loranthus: Die Räder, die wir unter die Eggen machen, um sie auf die Felder zu fahren. Die Konstruktion habe ich mit Stricken am Mähwerk festgebunden. Auf dem Brett konnte ich gut stehen und mit den Stricken sogar lenken.“
Loranthus musterte Silvanus nachdenklich und begann zu kichern. Er wurde immer lauter. „Kein Wunder …“ quietschte er die ersten verständlichen Wörter. „ … wenn dich dein Großvater ‚Ochse‘ genannt hat! Du warst ja wirklich der Ochse!“
Loranthus imitierte Stierhörner, muhte und alle lachten, bis auf Silvanus.
„Ja, ja! Lacht ihr nur! Bald habt ihr keine Luft mehr dafür, wenn ich den Ochsen führe und ihr hinter mir her rennen müsst! In drei Tagen könnt ihr nur noch japsen und keuchen! Und euer Gemuhe schrumpft zu einem kläglichen quaaak!“
Loranthus klatschte ihm versöhnlich die Hand auf die Schulter.
„Das kann ich mir vorstellen, oh erhabenster Führer aller Ochsenfrösche!“, säuselte er und sprang schnell hinter Arminius in Deckung. „Was macht ihr eigentlich mit den Halmen, die stehen bleiben?“
Silvanus tat so, als hätte er nichts gehört, drehte sich um und prüfte die Schärfe des Messerbalkens mit einem Strohhalm, während sich Arminius der Frage von Loranthus widmete.
„Kommt drauf an. Das Vieh kann es abweiden oder es wird mit der Sense abgeschnitten. Für Strohmatten, Körbe, Seile, Schuhe, Einstreu für die Tiere im Winter, für unsere Betten und was man sonst noch so alles gebrauchen kann. Es eignet sich auch hervorragend als Dämmstoff, wenn ein Haus gebaut wird. Das Stroh kommt zusammen mit Mist in den Lehm für die Flechtwände und auch mit Laub und Astwerk ins Fundament unter die Dielenbretter. Weil Viviane und Silvanus bald ihr Haus bauen, werden wir also diesmal alles absensen.“
„Ihr könntet auch eure Häuser damit decken. Anderswo machen sie das auch.“
Arminius schüttelte den Kopf.
„Hierzulande sind Tannenschindeln besser. Und jetzt auf, an die Arbeit! Vom Schwatzten trägt sich das Korn nicht in die Scheune! Es muss alles ordentlich gewogen sein und die Wagen müssen wir auch noch schmücken, wenn wir die Abgaben zur Burg hochfahren.“
„Schon wieder Blumen pflücken“, maulte Tarian.
Conall tätschelte