Bubishi. Roland Habersetzer

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sie bis 1879, als König Shô Tai abdanken mußte und Okinawa dem japanischen Kaiserreich einverleibt wurde. Von großer Bedeutung ist die Tatsache, daß Iehiza Shimazu, der Herrscher des Satsuma-Klans zur Zeit der Invasion, das Verbot für die einheimische Bevölkerung, Waffen zu tragen, erneuerte. Man konfiszierte selbst kleinste Eisenwerkzeuge und zerstörte die Schmieden. Shimazu belebte auf diese Weise ungewollt den Widerstandsgeist der Einheimischen. Eine neue Blütezeit der Nahkampftechniken, unbewaffnet oder mit landwirtschaftlichen Geräten22, war die Folge des Hasses auf die japanischen Okkupanten. Das Okinawa te wurde somit weiter vervollkommnet. Techniken, die offensichtlich von den Besatzern kopiert wurden, flossen ein, und damit wieder einmal japanische Kampfkünste (Jûjutsu, Jigen-ryû-Kenjutsu).

      Zumindest teilweise wurden diese Techniken offiziell durch Abgesandte des ehemaligen Königreichs von Okinawa (die Uchinan no Peichin) auf der Insel eingeführt, die in den Süden von Kyûshû und vor allem direkt in die Stadt Satsuma (das heutige Kagoshima) kamen. Es heißt beispielsweise, daß die Kobudô-Techniken des Rokushaku-Bôjutsu (Stock mit einer Länge von 6 Fuß) erst nach dem Aufenthalt des berühmten Chikudon Peichin23 „Tôde“ Sakugawa24 und des Chikudon Peichin Tsuken Koura in der Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert aufkamen.

      Eine weitere berühmte Persönlichkeit, die als einer der Gründerväter des Karate auf Okinawa angesehen wird, war der Chikudon Peichin Matsumura Sôkon (1792 - 1896), besser bekannt als „Bushi“ Matsumura. Er begab sich gleichfalls nach Satsuma, wo er als Leiter der königlichen Leibwache diente. Später erhielt Matsumura das Recht, die Techniken des Jigen ryû Kenjutsu in Satsuma zu lehren. – Soweit zum unleugbaren japanischen Einfluß auf das lange Reifen dessen, was heute unter dem Gattungsbegriff Okinawa te bekannt ist, der Urform des Karate.

      Von größerer Bedeutung für die Kampftechniken, die zu jener Zeit auf Okinawa existierten, sind jedoch die Techniken des Tô-De (Tôde, auch Tô-Di, „chinesische Hand“). Diese heute gut bekannte Entwicklungsgeschichte, an die hier nur in groben Zügen erinnert werden soll, begann im 14. Jahrhundert und liegt somit zwischen den beiden Perioden des japanischen Einflusses.

      Im Jahre 1372 sandte der chinesische Kaiser Ming Zhu Yuanzhang erstmals Emissäre nach Chuzan, einem der drei miteinander rivalisierenden Königreiche auf Okinawa. Er verlangte Tribute. Der in Chuzan herrschende König Sattô (1350 - 1395) hatte keine andere Wahl, als sich dem Verlangen des mächtigen Nachbarn zu beugen. 20 Jahre später begann schließlich die berühmte Geschichte der „36 Familien“. Diese 36 Familien stellten die ersten offiziellen chinesischen Abgesandten dar, und sie ließen sich auf Okinawa in dem unweit der Stadt Naha gelegenen Kumemura („das Dorf Kume“ oder „das Dorf Kuninda“) nieder. Diese wichtige chinesische Abordnung setzte sich aus Diplomaten, Händlern und Experten aller Art zusammen, deren Auftrag darin bestand, die chinesische Kultur mit all ihren Facetten auf Okinawa einzuführen. Kumemura wurde somit zur Eingangspforte für die Sprache, die Kunst und die Sitten Chinas. In der Folge gelangten auf gleichem Wege auch militärische Kenntnisse aus dem Reich der Mitte nach Okinawa, darunter die Techniken des chinesischen Boxens (Quanfa). Im 19. Jahrhundert spielte Kumemura schließlich die Rolle einer Schaltstelle, von der aus diese Techniken sich weiterverbreiteten. Verschiedene Okinawaner erlangten hier Zugang zur chinesischen Quelle dieser Techniken oder konnten von hier aus gar ins Innere Chinas reisen.

      Unter den ersten Kampfkunstlehrern, die von China nach Kumemura gekommen waren, gibt es einige Persönlichkeiten, deren Namen im Zusammenhang mit den Ursprüngen der modernen Karatestile immer wieder genannt werden, auch wenn zumeist über die genaueren Lebensumstände dieser Männer kaum etwas bekannt ist:

      Ason unterrichtete seine Schüler Sakiyama, Nagahama, Gushi und Tomoyori aus Naha in den Techniken des Shaolin Kempô (Shaolin ryû, auch Shôrinji Kempô oder Shôrei ryû, auf chinesisch Zhao Ling Liu), aber diese erste Linie des Naha te endete mit Tomigusuku.

      Ko Sho Kun (auch Ku Shan Ku, auf chinesisch Kwang Shang-Fu) kam im Jahre 1756 als Mitglied einer Delegation chinesischer Abgesandter nach Okinawa. Die Kata Kûshankû, aus der im Shôtôkan die Kata Kankû wurde, verdankt ihm seinen Namen. Über ihn ist lediglich bekannt, daß er fähig war, sich gegen einen Angreifer, der größer und schwerer war als er, zu verteidigen, indem er ihn mit Hilfe einer Technik, die heute als „Beinschere“ bekannt ist, zu Boden warf. Man findet diese Technik gleichermaßen im Jûjutsu wie auch im später entstandenen Jûdô.

      Ryû Ruko (Ru Ruku, Do Ryûko oder Ryû Ryûko, auf chinesisch Liu Lugong oder Liu Lu Kung oder Liu Lianguo genannt) soll von 1852 bis 1930 gelebt haben. Im Jahre 1874 nahm er Higaonna Kanryô als Schüler an, der aus Okinawa nach China gereist war, um sich in der Technik des Tôde zu vervollkommnen (er hatte diese Kampfkunst zuvor bei Aragaki Seisho, der von 1840 bis 1920 lebte, gelernt). Ryû Ruko wurde auf diese Weise zum Begründer eines Karate-Stils, den Miyagi Chojûn, der Nachfolger von Higaonna Sensei, Gôjû ryû taufte. Welche Techniken lehrte dieser Mann? Tokashi Iken, Leiter des „Okinawanischen Gôjû Tomari te Karatedô Kyokai“, schrieb in seinem 1993 erschienenen Werk „Gohaku“, Frucht ausführlicher Forschungen über den aus der Provinz Fujian stammenden Quanfa-Stil, daß Ryû Ruko (den er Xie Ruru nannte) am Anfang „eines der Stile“ des Weißen Kranichs stand. Ryû Ruko besuchte Okinawa im Jahre 1914. Es besteht die Möglichkeit, daß er das Bubishi mitbrachte. Ebenso möglich ist es jedoch, daß er seinem Schüler Higaonna (1853 - 1916), der mehr als zehn Jahre bei ihm in China verbrachte, eine Kopie des Buches anvertraute.25

      Wai Xinxian (Waishinzan oder Woo Lu-chin) ist eine geheimnisumwitterte Persönlichkeit. Es ist nicht einmal bekannt, ob Waishinzan und Woo Lu-chin tatsächlich ein und dieselbe Person gewesen sind. War er ein älterer Schüler Ryû Rukos oder gar Ryû Ruko selbst? Die Quellen widersprechen einander. Sicher ist allein, daß die Namen Ryû Ruko und Waishinzan am Anfang jenes Stils stehen, den Higaonna nach Okinawa brachte.

      Wu Xianhui (auf japanisch Go Ken Ki) lebte von 1886 bis 1940. Dieser chinesische Shifu kam 1912 aus Fuzhou nach Okinawa, um dort als Teehändler zu leben. Er lehrte in Naha den Weißen Kranich, und unter seinen Schülern befanden sich einige der zukünftigen Meister der okinawanischen Linie des Karate. Zu ihnen zählten Miyagi Chojûn, dem er gemeinsam mit anderen Shifu chinesisches Boxen beibrachte, Mabuni Kenwa, Matayoshi Shinpô (1921 - 1997) und Kiyôda Juhatsu (1887 - 1968). Letzteren lehrte er die Kata Nepai, die aus dem von Fang Jin Jang entwickelten Weißer-Kranich-Stil abgeleitet worden war. Kiyôda Juhatsu gründete einen eigenen Stil, das Toon ryû. Go Ken Ki immigrierte schließlich nach Japan, wo er den Namen Yoshikawa annahm. Seine okinawanischen Schüler nannten ihn jedoch Busama-gunku, was Samurai bedeutet.

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