Auf leisen Sohlen. Horst Bosetzky

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Auf leisen Sohlen - Horst Bosetzky

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die Sonnenallee und die Urbanstraße waren sie in zehn Minuten am Ziel. Das Krankenhaus Am Urban war in offener Pavillonbauweise errichtet und 1890 eingeweiht worden. Ein zentraler Neubau war schon geplant, aber noch musste sich Heideblick mühsam durchfragen, ehe er seinen Onkel in einem der gelben Backsteinbauten gefunden hatte. «574 Betten ham wa hier, Meesta, und ick kann ma unmöjlich alle merken, die se bei uns einliefan tun.»

      «Gott, du Armer!», rief Heideblick, als er endlich auf dem Bettrand seines Onkels saß. Freie Stühle gab es nicht mehr, denn alle drei Zimmernachbarn Wittenbecks hatten ebenfalls Besuch. «Wo hat dich denn dieser Kerl getroffen?»

      Wittenbeck hob seine Bettdecke ein wenig an. «Zum Glück nur hier an der rechten Seite in den Bauch. Galle und Leber sind aber nicht verletzt. Es sah anfangs schlimmer aus, als es tatsächlich ist. Ich habe wirklich gedacht, dass ich sterben werde.»

      Heideblick strich ihm über die Hand. «Das ist ja schrecklich.»

      «Nein, das ist gar nicht schrecklich. Ich wäre gern gestorben.»

      «Du kannst doch Tante Gisela nicht allein lassen!», rief Heideblick.

      Der Onkel hatte plötzlich Tränen in den Augen. «Die hat mich doch verlassen und ist auf und davon. Darum wäre ich ja am liebsten tot. Die Einsamkeit da draußen in Kladow, und in der Kaubstraße ist es auch noch so leer – das alles ertrage ich nicht. Schade, dass der Kerl mich nicht richtig getroffen hat, dann wäre ich wenigstens von allem erlöst.»

      Uwe Dreetz hatte den Tresor der Pulmo Sanitatem Berlin in den Höfen am Südstern ohne große Mühe und ohne Schneidbrenner knacken können und neben einem Bündel grüner Banknoten auch einige Schmuckstücke erbeutet – Ringe, Armbänder, Broschen. Offenbar hatte dieser Wittenbeck geglaubt, sie seien in seiner Firma sicherer als bei ihm in Kladow oder in seinem neuen Haus in der Kaubstraße.

      Beim ersten Rendezvous war es Dreetz gelungen, Gisela Wittenbeck ein paar Schlüssel zu entwenden, um Nachschlüssel anfertigen zu lassen. Darunter waren die für die Firma ihres Mannes und für die Villen in Kladow und in der Kaubstraße. Wo genau sich diese dort befand, wusste er noch nicht, aber das ließ sich sicher irgendwie herausfinden. Noch würde Wittenbeck ja einige Zeit im Krankenhaus verbringen müssen. Dreetz verfluchte sich, weil er ihn niedergestochen hatte. Das war im reinen Affekt geschehen. Er war in Panik geraten, weil er sich in Gedanken schon wieder im Knast gesehen hatte. Er hatte nicht vorgehabt, Wittenbeck zu attackieren oder gar zu ermorden. Denn er wusste, dass die Aufklärungsquote bei Morden bei nahezu hundert Prozent lag, und er wollte den Rest seines Lebens nicht in der JVA Tegel verbringen.

      Dreetz nahm sich eine Taxe, um zu seinem Hehler zu fahren. Der Schmuck musste verhökert werden. Wahrscheinlich gehörte er Gisela Wittenbeck. Er überlegte, ob es klug war, sie heute Abend wiederzusehen. Oder sollte er besser untertauchen?

       DREI

      OBERKOMMISSAR OTTO KAPPE kam es manchmal so vor, als wäre er ein Feuerwehrmann. Dieser Beruf hatte mit dem seinen nicht nur die Angst um andere Menschen, das Riskieren des eigenen Lebens, sondern auch das Warten auf den nächsten Einsatz gemeinsam. Und was machte man in dieser Zeit, in der man auf einen Einsatz wartete? Die Feuerwehrleute übten den Einsatz mit Löschfahrzeugen, den richtigen Umgang mit Motorsägen und Schneidewerkzeugen. Aber was taten Kriminalbeamte? Die besuchten Fortbildungsveranstaltungen, gingen auf den Schießstand und arbeiteten ungelöste Fälle auf. Manchmal aber langweilte sich Otto Kappe auch. Dann spazierte er durch die anderen Abteilungen in der Gothaer Straße, um Kollegen zu treffen und ein wenig mit ihnen zu plaudern. Mitte September lief ihm auch der Kollege Friedhelm Dörner vom Dezernat 22 des LKA 2, sonstige Vermögens- und Fälschungsdelikte über den Weg. Man kannte sich vom Faustball her. Dörner war in Begleitung eines Mannes etwa seines Alters, der Kappe irgendwie bekannt vorkam. Wahrscheinlich hatte er dessen Foto schon einmal in der Zeitung gesehen.

      «Otto, darf ich dir Werner Brink vorstellen?»

      «Ah!», rief Kappe, um sofort hinzuzufügen: «Es geschah in Berlin.» Das war der Name der legendären Krimireihe, die der RIAS seit dem Februar 1951 ausstrahlte und für die Werner Brink jede Folge schrieb, Monat für Monat. «Ich habe gerade die Sendung gehört, in der ein Gauner durch Berliner Gaststätten zieht, naiven Zeitgenossen angeblich todsichere Tipps für Pferderennen auf der Trabrennbahn Mariendorf andreht, die einzig und allein seiner Fantasie entspringen, und ihnen auch gleich das Geld für die Wette abnimmt. Sehr schön! Auch, dass unser fiktiver Kollege Kommissar Zett dem Kerl auf die Schliche kommt.»

      Werner Brink bedankte sich für das Lob. «Das sind ja alles reale Fälle, es heißt ja im Abspann auch: ‹In Zusammenarbeit mit der Berliner Kriminalpolizei.›»

      «Teilweise sind die Fälle so aktuell», fügte Dörner hinzu, «dass die Hörer durch den Ansager dazu aufgefordert werden, der Polizei nach Möglichkeit bei der Aufklärung von noch unklaren Sachverhalten zu helfen.»

      «Und jede Folge ist ein Straßenfeger. Nur …», Kappe seufzte hörbar, «… kommt unsere Mordkommission leider nie zu Ehren.»

      «Tut mir leid, dass in unseren Geschichten niemals eine Leiche vorkommt», sagte Werner Brink. «Aber mir geht es um die alltägliche Kriminalität und das Berliner Milieu. Wie agieren die kleinen Ganoven, was treibt sie an? Wenn Sie das große Krimi-Ballyhoo wollen, dann müssen Sie sich 77 Sunset Strip, Auf der Flucht mit Richard Kimble oder Mit Schirm, Charme und Melone ansehen.»

      Der Kollege Dörner und Werner Brink zogen weiter, und Kappe fragte sich, wie er die Zeit bis zum Feierabend totschlagen sollte. Er blieb am Fenster stehen und sah auf die Straße hinunter, bevor er an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte.

      Bald darauf traf Hans-Gert Galgenberg ein. Er kam etwas zu spät, denn er war gerade umgezogen und wohnte nun weit draußen in Steinstücken. Dort gab es günstig kleine Häuser zu kaufen, denn Steinstücken war eine West-Berliner Exklave in der DDR. Seit dem 13. August 1961 durften die Einwohner nicht mehr in die sie umgebenden Ortsteile Neubabelsberg, Babelsberg und Potsdam. West-Berlin war nun nur noch über einen Waldweg nach Kohlhasenbrück zu erreichen, wobei man aber zwei Grenzübergänge passieren musste. Nachdem es eine Reihe von Fluchtversuchen aus der DDR gegeben hatte, war Steinstücken noch stärker mit Mauer und Stacheldraht abgesichert worden als das übrige West-Berlin. Wer wollte hier schon wohnen?

      Galgenberg pflegte nun zu sagen: «Im Jahre 2061 werden wir die Wiedervereinigung Deutschlands feiern, und meine Ururenkel werden mir ein Denkmal dafür setzen, dass ich ihnen ein so schönes Stück Land vererbt habe.»

      «Und bis dahin halten dich die Grenzkontrollen so lange auf, dass du nicht pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen kannst», scherzte Kappe.

      Galgenberg schüttelte den Kopf. «Nein, ich habe noch eine Weile an der Bahnstrecke nach Potsdam gestanden und auf einen Postzug gewartet. Anders können doch arme Beamte wie wir nicht zu ein bisschen Geld kommen.» Er spielte damit auf den spektakulären Überfall auf einen Postzug an der Strecke Glasgow—London an, der sich vor gut einem Monat, am 8. August 1961 ereignet hatte. «Ein paar Millionen D-Mark könnte ich auch ganz gut gebrauchen.»

      Kappe lachte. «Wenn du mir ein bisschen davon abgibst, verpfeife ich dich auch nicht.»

      Ihre Witzeleien wurden unterbrochen, denn die Kollegen Gerhard Piossek und Günter Kynast betraten das Büro. Jürgen Rückert war momentan krank und deshalb nicht im Dienst. Galgenberg winkte ihnen nur kurz zu und verschwand dann in Richtung Kantine.

      Otto Kappe wandte sich den beiden Kollegen zu. «Was verschafft mir die Ehre?»

      «Bist

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